Lehrstellensuche in Zeiten von Corona

Berufsberaterin Regula Finsler arbeitet jetzt intensiver mit Jugendlichen zusammen

«In meiner Tätig­keit ist Erfah­rung sehr wert­voll», sagt Regula Finsler, seit 20 Jahren als Berufs-, Studien- und Lauf­bahn­be­ra­te­rin in verschie­de­nen Berufs­be­ra­tungs­stel­len tätig. Doch Mitte März, sah sie sich plötz­lich mit einer Situa­tion konfron­tiert, mit der weder sie noch ihre Arbeits­kol­le­gin­nen und -kolle­gen im biz Uster oder ihre Klien­ten Erfah­rung hatten: Statt im persön­li­chen Gespräch findet die Bera­tung seither am Telefon, in Video­kon­fe­ren­zen oder im eigens einge­rich­te­ten Chat auf dem Berufs­wahl-Portal statt. Wie ist die Umstel­lung auf die Distanz­be­ra­tung geglückt? «Ich fand sie gar nicht so schwie­rig», antwor­tet Regula Finsler, «im Gegen­teil: Ich arbeite jetzt noch näher an den Jugend­li­chen als zuvor.»

Als Berufs­be­ra­te­rin ist sie in norma­len Zeiten regel­mäs­sig in mehre­ren Schul­häu­sern präsent. Die Schü­le­rin­nen und Schüler, die sie dort in der Sprech­stunde aufsu­chen, werden meis­tens von ihren Klas­sen­lehr­per­so­nen geschickt. «Jetzt nehme ich mit den Jugend­li­chen, die dies wünschen, aktiv Kontakt auf und der Austausch mit ihnen ist erstaun­li­cher­weise viel inten­si­ver», erzählt Regula Finsler. Nach einer Sprech­stunde weiss sie manch­mal nicht, ob und wann sie den Schüler oder die Schü­le­rin wieder sieht. Am Telefon wird nun konse­quent gleich der nächste Termin verein­bart. «Die Gesprä­che sind zwar oft kürzer, aber vertief­ter und häufi­ger. Und nicht selten bringen sich auch die Eltern verstärkt ein.»

Die Zeit sinn­voll nutzen

Seitens der Jugend­li­chen und ihrer Eltern nimmt sie zurzeit viele Verun­si­che­run­gen und Ängste wahr. «Ich hatte schon Mütter am Telefon, die in Tränen ausbra­chen, weil Schnup­per­leh­ren ihrer Kinder abge­sagt worden waren oder die befürch­te­ten, dass ihr Sohn oder ihre Tochter nun keine Lehr­stelle mehr finden würde.» Jugend­li­chen und Eltern in dieser Situa­tion Mut zuzu­spre­chen, sei ganz wichtig. «Natür­lich standen nach dem Shut­down erst einmal zahl­rei­che Firmen vor Proble­men und offenen Fragen, ange­sichts derer die Rekru­tie­rung neuer Lernen­den zunächst zurück­ge­stellt wurde», sagt die Berufs­be­ra­te­rin. Sehr schnell sei aber neuer Schwung entstan­den und die Firmen hätten Möglich­kei­ten gefun­den, den Berufs­wahl- und Bewer­bungs­pro­zess in anderer Form fort­zu­set­zen: virtu­el­les Schnup­pern oder Bewer­bungs­ge­sprä­che per Video-Schal­tung zum Beispiel. Um zu einer Lehr­stelle zu kommen, brauche es viel­leicht mehr Zeit, aber: «Aktuell gibt es im Kanton Zürich noch über 3000 offene Lehr­stel­len. Ich denke, da wird in den nächs­ten Wochen einiges aufge­holt.»

Regula Finsler ermun­tert die Jugend­li­chen auch, diese zusätz­li­che Zeit zu nutzen – um sich genau zu infor­mie­ren über Berufe und Betriebe, ihre Bewer­bungs­un­ter­la­gen «tiptop» auf Vorder­mann zu bringen, sich auf Bewer­bungs­ge­sprä­che inten­siv vorzu­be­rei­ten.

Alter­na­ti­ven braucht es immer

Natür­lich dürften Lehr­stel­len dieses Jahr in gewis­sen Bran­chen Mangel­ware sein. Konjunk­tu­relle Schwan­kun­gen bei Angebot und Nach­frage auf dem Lehr­stel­len­markt seien aber nicht unge­wöhn­lich. «Unsere Botschaft an die Jugend­li­chen lautet deshalb, dass sie sich stets mit verschie­de­nen Berufen ausein­an­der­set­zen und Alter­na­ti­ven zum Wunsch­be­ruf in Betracht ziehen sollen.

Geht es für sie nächste Woche, wenn der Schul­be­trieb wieder aufge­nom­men wird, aus dem Home­of­fice zurück in die Schulen? Sicher nicht sofort, meint sie. «Ich habe für die kommen­den Wochen schon verschie­dene Tele­fon­ter­mine mit Jugend­li­chen verein­bart und werde diese wahr­neh­men. Mit den Lehr­per­so­nen ist abge­spro­chen, dass diese Schü­le­rin­nen und Schüler dazu den Unter­richt verlas­sen dürfen.» Wie es im biz weiter­geht, ist eben­falls noch offen. Was für sie hinge­gen heute schon fest­steht: Zusätz­lich zu den Sprech­stun­den im Schul­haus, den regel­mäs­si­gen Besu­chen in den Klassen, der Einfüh­rung der 2. Sekun­dar­klas­sen im biz und dem Erst­ge­spräch mit den Jugend­li­chen und deren Eltern in ihrem Büro würde sie nach der Krise gern weiter­hin Bera­tun­gen per Telefon, Video­kon­fe­renz oder Chat anbie­ten können. «Als nicht ‹digital native› bin ich positiv über­rascht von den Möglich­kei­ten, die sich dadurch eröff­nen. Die verschie­de­nen Kommu­ni­ka­ti­ons­mit­tel sollten wir auch in Zukunft mehr einbe­zie­hen.»

Dieses Portrait wurde von Jacque­line Olivier geschrie­ben und erst­mals im Schul­blatt veröf­fent­licht. Das Foto stammt von Marion Nitsch.