Pubertät – Halt und Orientierung geben

«Bis hier … und nicht weiter!» Grenzen sind für Teenager wichtig

Plötz­lich sitzt uns am Tisch ein Teen­ager gegen­über, der nur noch wenig an das Kind von gestern erin­nert. Die Tochter findet Mutter und Vater pein­lich, der Sohn bleibt am liebs­ten in seinem Zimmer. Was läuft da ab? Eine kleine Gebrauchs­an­wei­sung, wie Sie und Ihre Kinder die Puber­tät unbe­scha­det über­ste­hen.


Es liegt in der Natur der Puber­tät, dass Teen­ager einen grossen Frei­heits­drang verspü­ren und «frecher» und unab­hän­gi­ger werden. Regeln und Grenzen zu respek­tie­ren ist dennoch wichtig. Achten Eltern darauf, geben sie ihrem Kind Halt und Orien­tie­rung. Gemein­sam getrof­fene Verein­ba­run­gen helfen dabei.

Heute wird gerne davon gespro­chen, dass Kindern und Jugend­li­chen «Grenzen gesetzt werden müssen». Denn fest­steht: Grenzen und Regeln dienen dazu, die Rechte und Bedürf­nisse aller zu schüt­zen, und sollten in der Regel einge­hal­ten werden. Dies ist in der Gesell­schaft so und gilt auch in Fami­lien. Die allge­meine Forde­rung nach mehr Grenzen oder grosse Sorge um ihr Kind verlei­ten Eltern aber oft dazu, «künst­li­che» Grenzen oder auch sehr enge Regeln und Verbote durch­zu­set­zen – weil man das doch «muss»!

Das rich­tige Mass finden

Wichtig ist, ein Mass zu finden, das eine gesunde Entwick­lung des Teen­agers ermög­licht. Klare Grenzen und Regeln sollen den Jugend­li­chen, inner­halb eines genug grossen Frei­raums, Halt und Orien­tie­rung geben. Dass das Kind dann einfach gedul­dig und verständ­nis­voll nickt, können wir (leider) nicht erwar­ten. Sagen Eltern «Nein», sind Wut und Enttäu­schung bei den Kindern normal. Bestehen Sie dennoch auf Dinge, die Ihnen wichtig sind und reagie­ren Sie auf Grenz­über­schrei­tun­gen.

Für das rich­tige Mass kann das Wissen helfen, dass Kindern Grenzen zu setzen viel mit den eigenen Grenzen und Bedürf­nis­sen zu tun hat.

Eigene Grenzen ernst nehmen

Eltern dürfen und sollen zu den Forde­run­gen ihrer Kinder «Nein» sagen, weil sie gleich­zei­tig zu ihren eigenen Gefüh­len und Über­zeu­gun­gen «Ja» sagen. Nehmen Sie also die Wünsche und Bedürf­nisse Ihres Teen­agers ernst, tun Sie das aber auch mit Ihren eigenen – und entschei­den Sie entspre­chend. So machen Regeln auch für die Kinder Sinn und sie lernen, die persön­li­chen Grenzen anderer Menschen zu respek­tie­ren. Gleich­zei­tig lernen sie an Ihrem Vorbild, auch ihre eigenen Grenzen zu achten und sich für diese einzu­set­zen.

Grenzen setzen – vier Beispiele

Beispiel 1: Laut Musik hören

Zwischen Jugend­li­chen und Erwach­se­nen kann sich punkto Musik so einiges unter­schei­den: Sowohl im Stil als auch beim Empfin­den für Laut­stärke. Was tun?

Mögli­che Lösung: Folgende Fragen können in solchen Fällen helfen: Werden meine Bedürf­nisse verletzt? Ist die Sicher­heit von jeman­dem gefähr­det? Falls ja, müssen Abma­chun­gen getrof­fen werden. Wahr­schein­lich ist hier Ihr eigenes Bedürf­nis nach Ruhe betrof­fen. Leben Sie in einem eigenen Haus, könnte die Rege­lung sein: Laute Musik gibt es nur, wenn Sie weg sind. Leben Sie in einer Wohnung, wäre Ihre Nach­bar­schaft mit dieser Abma­chung sicher nicht einver­stan­den. Verhan­deln Sie dann über eine maxi­male Laut­stärke oder einen Kopf­hö­rer.

Beispiel 2: Eigen­stän­dige Anschaf­fun­gen

Teen­ager machen manch­mal Anschaf­fun­gen, bei denen wir nur den Kopf schüt­teln – Schuhe, die den nächs­ten Regen sicher nicht über­ste­hen; ein Töffli, das zwar billig, aber auch repa­ra­tur­an­fäl­lig ist; eine Handy­hülle, die zwar cool aussieht, aber das Telefon beim nächs­ten Sturz nicht genug schützt.

Mögli­che Lösung: Die folgende Frage kann helfen: Kann mein Kind die Verant­wor­tung selber über­neh­men und mit allfäl­li­gen Konse­quen­zen (evtl. mit Unter­stüt­zung) umgehen? Falls ja, sind keine Regeln nötig. Lassen Sie Ihren Teen­ager die eigenen Erfah­run­gen mit solchen Anschaf­fun­gen machen. Sprin­gen Sie aber nicht als Geld­ge­ber ein, wenn Ersatz ange­schafft werden muss.

Beispiel 3: Das ewige Chaos im Zimmer

Die fehlende Ordnungs­liebe von Teen­agern ist bei vielen Eltern ein Thema. Die Chance von Konflik­ten und Grenz­über­schrei­tun­gen steigt aller­dings mit der Anzahl an Regeln.

Mögli­che Lösung: Denken Sie daran, dass Grenzen mit den Kindern «mitwach­sen» müssen und geben Sie bei der Einhal­tung von Regeln auch etwas Spiel­raum. Solange das unauf­find­bare Schul­ma­te­rial von den Jugend­li­chen selber gesucht wird und sich das Chaos nicht ausser­halb des Kinder­zim­mers ausbrei­tet, könnten hier gelo­ckerte Regeln Konflikte vermin­dern.

Beispiel 4: Ausgang bis nach Mitter­nacht

Ihr Teen­ager möchte später vom Ausgang zurück­kom­men. Sie finden das gar nicht gut.

Mögli­che Lösung: Gemein­same Abma­chun­gen helfen! Damit ist nicht gemeint, dass Sie etwas vorschla­gen, und der Teen­ager nickt mehr oder weniger moti­viert. Fragen Sie: «Was hast du für einen Vorschlag?» Entwi­ckeln Sie dann gemein­sam eine Rege­lung. Dabei können Sie die Werte hinter Ihren Forde­run­gen erklä­ren. 
Gerade wenn es um den Ausgang geht, sind Abma­chun­gen unum­gäng­lich. Bespre­chen Sie mit Ihrem Teen­ager: Wann? Mit wem? Wo? Wie (Hin- und Rückweg)? Gibt es eine Rück­kehr­zeit, mit welcher beide Seiten leben können? Darf unter bestimm­ten Umstän­den eine Verlän­ge­rung bean­tragt werden? Bespre­chen Sie zudem recht­li­che Aspekte.

Grenzen über­schrei­ten – drei Beispiele

Beispiel 1: Zu spät vom Ausgang zurück

Ihre Tochter kommt nicht nach Hause, obwohl die verein­barte Zeit schon lange verstri­chen ist. Auch auf dem Handy ist sie nicht erreich­bar und Sie sorgen sich mehr und mehr. Dann steht sie in der Tür. Wahr­schein­lich sind Sie glei­cher­mas­sen wütend und erleich­tert. Wie reagie­ren

Mögli­che Lösung: Es ist zentral, dass Eltern auf Grenz­über­schrei­tun­gen reagie­ren. Die Eltern zeigen so: «Ich kümmere mich, du bist mir nicht egal». Nicht immer kann der Konflikt aller­dings sofort gelöst werden. Manch­mal müssen sich zuerst beide Seiten beru­hi­gen, bevor eine Ausspra­che möglich ist. In diesem Beispiel haben Sie gelit­ten. Genau dies könnten Sie nun beschrei­ben: «Ich bin fast umge­kom­men vor Sorge, zum Glück ist dir nichts passiert! Und ich bin auch fürch­ter­lich wütend, dass du unsere Abma­chung nicht einge­hal­ten hast! Jetzt muss ich mich erst mal beru­hi­gen – wir spre­chen morgen darüber». Bespre­chen Sie am nächs­ten Tag ruhig, aber auch nach­drück­lich, wie es nun weiter gehen soll.

Beispiel 2: Betrun­ken Mofa gefah­ren

Ihr Sohn ist 16 und fährt ange­trun­ken Mofa. Ein leich­ter Sturz ist die Folge.

Mögli­che Lösung: Manch­mal reicht es aus, im gemein­sa­men Gespräch dem Kind «ins Gewis­sen zu reden». Manch­mal müssen Grenz­ver­let­zun­gen jedoch auch Konse­quen­zen nach sich ziehen. Diese sollen mit dem Regel­ver­stoss einen Zusam­men­hang haben. So sind sie für das Kind nach­voll­zieh­bar und bewir­ken, dass es verant­wor­tungs­vol­les Verhal­ten lernt. Konse­quen­zen sind im Gegen­satz zu Bestra­fun­gen nie verlet­zend, ernied­ri­gend oder demü­ti­gend.

Im Gespräch am nächs­ten Tag könnten Sie in etwa so dazu Stel­lung nehmen: «Wir sind sehr froh, ist nichts Schlim­mes passiert. Wir sind aber stink­sauer, dass du in einem solchen Zustand Mofa fährst. Das ist absolut gegen unsere Abma­chung. Du bist zwar alt genug, um Alkohol zu trinken. Wir können aber nicht zulas­sen, dass du alko­ho­li­siert durch die Gegend fährst. Lass uns schauen, wie es weiter gehen soll».
Vereinbaren Sie, dass Ihr Sohn die Repa­ra­tur selber orga­ni­siert und bezahlt. Erkun­den Sie gemein­sam Lösun­gen, wie eine Wieder­ho­lung der Situa­tion verhin­dert werden kann. Thema­ti­sie­ren Sie dann auch, was passiert, sollte es wieder nicht klappen. «Nun haben wir eine Lösung gefun­den, was du an der nächs­ten Party machen kannst. Für die Zukunft muss ich dir aber auch sagen: Soll­test du noch einmal auch nur leicht ange­trun­ken Mofa fahren, werden wir dieses für vier Wochen wegsper­ren».

Beispiel 3: Geborg­tes kommt kaputt zurück

Es kommt öfters vor, dass Teen­ager von ihren Geschwis­tern oder Eltern etwas auslei­hen, Klei­dung, Schminke, Schirme – es gibt hier manch­mal (leider) fast keine Grenzen. Wenn Ihr Teen­ager ein Verge­hen gesteht, werden Sie enttäuscht oder verletzt sein.

Mögli­che Lösung: Geht etwas kaputt oder verlo­ren, ist es am Jugend­li­chen, es wieder gut zu machen. Beden­ken Sie aber: Auch sich zu entschul­di­gen oder Wieder­gut­ma­chung zu leisten, muss geübt werden. Fordern Sie Ihr Kind auf zu über­le­gen, wie Fehl­ver­hal­ten wieder gut gemacht werden kann. Trotz Ihrer Enttäu­schung: Würdi­gen Sie aber auch seine Ehrlich­keit. Sie laufen sonst Gefahr, dass keine «Geständ­nisse» mehr kommen.

Gabriela Leuthard ist Mutter von drei Kindern und leitet die Geschäftsstelle Elternbildung im AJB.

Gabriela Leuthard

Gabriela Leuthard ist Mutter von drei Kindern und leitet die Geschäftsstelle Elternbildung im AJB. Diese sorgt für einen vielfältigen Elternbildungsmarkt und arbeitet mit zahlreichen Anbietern sowie auch mit Eltern zusammen.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf feel-ok.ch, der Gesund­heits­platt­form für Jugend­li­che.