Martin Furrer, ein Portrait aus den 1980er- und 1990er-Jahren

Während seine Grosseltern noch ein klassisches Familienmodell gelebt haben, sind seine Eltern Teilzeit erwerbstätig

Martin Furrer* absol­viert an der Kantons­schule Oerli­kon das Gymna­sium. In seinem Eltern­haus disku­tiert er leiden­schaft­lich gerne über das Welt­ge­sche­hen und den Ost-West-Konflikt. Während seine Gross­el­tern noch ein klas­si­sches Fami­li­en­mo­dell gelebt haben, sind seine Eltern Teil­zeit erwerbs­tä­tig. Die Gross­el­tern übernehmen eben­falls einen Teil der Kinder­be­treu­ung. Martin Furrers Familie wohnt in der Agglo­me­ra­tion von Zürich, alle pendeln jeweils zur Arbeit und zur Schule. 1980 ist Martin Furrer sech­zehn Jahre alt. Inter­es­siert verfolgt er die Jugend­un­ru­hen in Zürich, die sich anläss­lich der Bewil­li­gung eines Sechzig-Millio­nen-Kredi­tes für das Zürcher Opern­haus entzün­det hatten. Er schliesst sich den Protes­ten an und fordert mit der «Bewegig» ein Jugend­zen­trum. Im Juni 1980 wird das Auto­nome Jugend­zentrum beim Haupt­bahn­hof Zürich eröff­net, bereits im Septem­ber jedoch wegen Drogen­kon­sums vorübergeh­end wieder geschlos­sen. Die Jugend­li­chen grenzen sich vom «Bünz­li­tum» der Nach­kriegs­ge­nera­tion ab, pochen auf eigene Räume und finden avant­gar­dis­ti­sche kultu­relle Ausdrucks­for­men. Mit zwanzig Jahren beginnt Martin Furrer an der Univer­si­tät Zürich Sozio­lo­gie zu studie­ren. Er erhält ein Stipen­dium, das einen Teil seiner Lebens­un­ter­halts­kos­ten deckt. Mit Studi­en­kol­le­gin­nen und -kolle­gen be­treibt er im Kreis 4 eine ille­gale Bar.

Opernhaus in der Stadt Zürich: Anzahl Aufführungen nach Spielsaison, 1953 / 54 –1989 / 90

Fakt

Bis 1960 wies die Gesell­schaft des Kantons Zürich in kultu­rel­ler Hinsicht tradi­tio­na­lis­ti­sche Züge auf. Zwischen Stadt und Land verlief eine klare Trenn­li­nie. Mit beson­de­rem Miss­trauen begeg­nete man der Jugend, vor allem deren Orien­tie­rung an der ameri­ka­ni­schen Kultur. In einem langen gesell­schaft­li­chen Trans­for­ma­ti­ons­pro­zess hatten sich die Unruhen von 1968 schon vorher ange­kün­digt. Beson­ders seit den 1960er-Jahren veränder­ten sich der Lebensstil und die Genera­­tio­nen- und Geschlech­ter­be­zie­hun­gen. Dieser Wandel lässt sich auch an der stag­nierenden Nach­frage nach klas­si­scher Kultur wie Theater, Konzert und Oper ablesen. Alter­na­tive Kultur­for­men gewan­nen dafür an Bedeu­tung.

* Die Prot­ago­nis­tin­nen und Prot­ago­nis­ten der Zeit sind fiktive Figuren. Sie sind bei ihrer Erst­nen­nung durch einen Aste­risk gekenn­zeich­net.