Gesundheit beim Arbeiten

Trotz oder wegen chronischer Erkrankung im Arbeitsleben bleiben?

Nach der Diagnose einer schwe­ren Erkran­kung stellt sich oft auch die Frage, wie es beruf­lich weiter­geht. Dabei kann der rich­tige Job entschei­dend zur Gesund­heit beitra­gen.

Eine belas­tende Diagnose wie etwa eine Krebs­er­kran­kung lässt viele Fragen aufkom­men. Dazu gehört oft: Wie weiter im Beruf? Kann ich meine bishe­rige Tätig­keit über­haupt weiter ausüben? Wenn das aus gesund­heit­li­chen Gründen nicht mehr möglich ist, sollte in Abspra­che mit den behan­deln­den Ärztin­nen und Ärzten früh­zei­tig eine Anmel­dung bei der Inva­li­den­ver­si­che­rung erfol­gen, etwa für allfäl­lige Unter­stüt­zungs­mass­nah­men. Aber auch wenn die weitere Ausübung der ange­stamm­ten Tätig­keit an sich möglich wäre, stellt sich nach einem so einschnei­den­den Erleb­nis viel­leicht die Frage: „Tut mir mein bishe­ri­ger Job gut, ist er mit meiner Krank­heit länger­fris­tig verein­bar, oder will ich die beruf­li­chen Weichen jetzt neu stellen?“ Für eine Antwort kann ein Blick auf die Salu­to­ge­nese hilf­reich sein.

Was ist Salu­to­ge­nese?

Was erhält bezie­hungs­weise macht uns gesund? Damit beschäf­tigte sich der ameri­ka­nisch-israe­li­sche Medi­zin­so­zio­loge Aaron Anto­novsky inten­siv und entwi­ckelte aufgrund seiner Erkennt­nisse in den 1970er Jahren das Modell der Salu­to­ge­nese. Das Wort setzt sich aus dem latei­ni­schen Salus (Gesund­heit, Wohl­be­fin­den) und dem grie­chi­schen Genese (Entste­hung) zusam­men. Salu­to­ge­nese könnte also als „Entste­hung von Gesund­heit“ über­setzt werden.

Die Salu­to­ge­nese beruht auf einem Grund­ge­fühl, das sich laut Anto­novsky aus dem Wech­sel­spiel von drei Fakto­ren zusam­men­setzt.

Zunächst einmal ein Gefühl von Versteh­bar­keit: Inwie­weit verstehe ich, was mit mir und in meinem Umfeld geschieht? Das Gegen­teil wäre chao­tisch, will­kür­lich, zufäl­lig, uner­klär­lich. Auf die Arbeits­welt ange­wen­det bedeu­tet das oft: Kann ich die Arbeits­ab­läufe nach­voll­zie­hen? Weiss ich über­haupt, was von mir erwar­tet wird?

Ferner ein Gefühl von Hand­hab­bar­keit: Habe ich selbst Einfluss auf dieses Gesche­hen? Kann ich meine Lebens­um­stände selbst mitge­stal­ten oder muss ich sie passiv über mich ergehen lassen? Es geht also um Selbst­wirk­sam­keit. Zudem läuft ein gesun­des Mass an Hand­hab­bar­keit letzt­lich auf die Frage hinaus: Bin ich weder über- noch unter­for­dert?

Dazu kommt ein Gefühl von Sinn­haf­tig­keit: Kann ich meinem Leben und dem, was um mich herum geschieht, einen Sinn zuord­nen? Daraus ergibt sich die zentrale Frage für die beruf­li­che Tätig­keit: Ist es wert, dafür Ener­gien und Ressour­cen einzu­set­zen?

Das Lebens­eli­xier Sinn

Alle drei Fakto­ren sind wichtig. Aber welcher ist der wich­tigste? Laut Anto­now­sky ist es die Sinn­haf­tig­keit. In der Psycho­lo­gie ist daraus, schon vor der Salu­to­ge­nese, eine eigene Thera­pie­rich­tung entstan­den: die Logo­the­ra­pie (von Grie­chisch Logos „der Sinn“). Für den Begrün­der der Logo­the­ra­pie, den Wiener Arzt Viktor Frankl, war es unbe­strit­ten, dass das erlebte Gefühl von Sinn – oder umge­kehrt der Mangel an Sinn­haf­tig­keit – letzt­lich über die Entwick­lung Rich­tung Gesund­heit oder Krank­heit entschei­den kann.

So sind auch gesund­heit­li­che Gründe häufig der Auslö­ser, weshalb jemand eine beruf­li­che Verän­de­rung anstrebt. Schliess­lich kann eine attrak­tive beruf­li­che Perspek­tive entschei­dend sein für umfas­sende Lebens­qua­li­tät und Gesund­heit. Auch das Bedürf­nis nach Sinn ist für viele Menschen ein starker Antrieb für beruf­li­che Verän­de­rung. Mitt­ler­weile ist aus der Forschung gut belegt, dass Leute, die ihre Arbeit und Lauf­bahn als sinn­voll wahr­neh­men, mehr Enga­ge­ment bei der Arbeit zeigen, aktiver ihre Lauf­bahn gestal­ten und über eine höhere (psychi­sche und physi­sche) Gesund­heit berich­ten.

Lauf­bahn­ge­stal­tung lohnt sich

Entspre­chend geht es bei der moder­nen Lauf­bahn­be­ra­tung immer mehr darum, eine persön­lich sinn­volle Berufs­bio­gra­phie zu konstru­ie­ren. Lauf­bah­nen werden zuneh­mend indi­vi­du­ell gestal­tet und aus persön­li­chen Vorzü­gen zusam­men­ge­stellt. Diese aktive Selbst­kon­struk­tion und Inte­gra­tion von verschie­de­nen Iden­ti­tä­ten (Beruf, Familie, Frei­zeit) in eine gesamt­haft sinn­ge­bende Berufs­bio­gra­phie ist in unserer sich schnell verän­dern­den Arbeits­welt eine anspruchs­volle Heraus­for­de­rung. Lassen Sie sich deshalb bei Ihrer Lauf­bahn­ge­stal­tung von Profis unter­stüt­zen – Ihre beruf­li­che Zufrie­den­heit, und nicht zuletzt auch Ihre Gesund­heit, wird es Ihnen danken.

Dieser Text wurde zuerst in der Bildungs­bei­lage des Zürcher Ober­län­ders und des Anzei­gers von Uster vom 1. Septem­ber 2021 publi­ziert.

Michael Chiller, Berufs-, Studien- und Laufbahnberater

Michael Chiller

Michael Chiller ist Berufs-, Studien- und Laufbahnberater im biz Uster. Daneben ist er als systemischer Gesundheitscoach IPEG tätig. Er hat sich auf die Beratung von Krebsbetroffenen spezialisiert und arbeitet seit Jahren mit der Krebsliga Zürich zusammen. Die Erarbeitung und Umsetzung einer sinnstiftenden beruflichen Perspektive sieht er als wirksame Ergänzung zu medizinischen Behandlungen.