Woher komme ich?

Die Entstehung und Abstammung des Kindes thematisieren – aber wie?

Sollten Eltern ihr Kind, das mit Hilfe Dritter entstan­den ist, über seine Entste­hung und Abstam­mung infor­mie­ren? Wie wichtig ist über­haupt die eigene Geschichte? Und wie kann ein gutes Gespräch darüber gelin­gen? Dieser Beitrag vermit­telt Ihnen Anhalts­punkte und Ideen, wie Sie als Eltern diese Fragen angehen können.

Wägen Sie ab zwischen Infor­mie­ren und Verschwei­gen

Die meisten Eltern, deren Kinder­wunsch mit Unter­stüt­zung von Dritten in Erfül­lung geht, möchten ihr Kind über die Geschichte seiner Entste­hung infor­mie­ren. Sie fragen sich, was sie ihm gegen­über offen­le­gen sollten und wann Kinder was erfah­ren möchten.

Manche Eltern möchten beson­dere Umstände der Entste­hung und der Abstam­mung ihres Kindes hinge­gen lieber für sich behal­ten oder ihm diese erst eröff­nen, wenn es erwach­sen gewor­den ist. Dieser Weg scheint auf den ersten Blick der einfa­chere zu sein, weil er Eltern und Kind vor mutmass­lich schwie­ri­gen Gesprä­chen und even­tu­ell belas­ten­den Reak­tio­nen zu schüt­zen verspricht.

Warum ist es trotz des Bedürf­nis­ses nach Verschwie­gen­heit wichtig, die Entste­hung und Abstam­mung eines Kindes zu doku­men­tie­ren und zugäng­lich zu halten?

Wenn Sie in Betracht ziehen, Ihr Kind nicht oder erst im Erwach­se­nen­al­ter über die Entste­hung und Abstam­mung zu infor­mie­ren, sollten Sie Folgen­des beden­ken:

  • Das Recht des Kindes: Ein Kind, das dank einer Spende entstan­den ist, hat in der Schweiz ab Voll­jäh­rig­keit das Recht auf Einsicht in die entspre­chen­den behörd­lich archi­vier­ten Infor­ma­tio­nen zu seiner Abstam­mung.
  • Gesund­heit­li­che Gründe: Beim Vorlie­gen gesund­heit­li­cher Inter­es­sen gesteht das Gesetz bereits dem unmün­di­gen Kind Infor­ma­tio­nen über seine Abstam­mung zu. Und dies mit gutem Grund, denn dies könnte im Krank­heits­fall über­le­bens­wich­tig sein. Deshalb gilt es dafür zu sorgen, dass gewisse Infor­ma­tio­nen über Spen­der­per­so­nen ausrei­chend doku­men­tiert und im Bedarfs­fall zugäng­lich sind.
  • Unge­wollte Aufde­ckung: Ein Geheim­nis, das mehr als eine einzige Person betrifft, ist nie vor Aufde­ckung geschützt. Unbe­dachte Äusse­run­gen oder gezielte Andeu­tun­gen können es jeder­zeit verra­ten.
  • Zugäng­lich­keit von Gentests: Es ist heut­zu­tage ganz einfach, über einen Gentest eine vermeint­li­che Abstam­mung aufzu­de­cken und so zu erfah­ren, dass eine andere Person an der eigenen Entste­hung betei­ligt gewesen sein muss.

Was sind die Vorteile eines offenen Umgangs mit der Entste­hung und der Abstam­mung von Kindern?

Es gibt verschie­dene Gründe, warum Sie früh einen Weg zwischen der Wahrung der Privat­sphäre und einem trans­pa­ren­ten Umgang finden sollten.

  • Kinder haben ein Recht und das Bedürf­nis, Umstände zu kennen, die sie ganz persön­lich betref­fen.
  • Ganz beson­ders Fami­li­en­ge­heim­nisse entfal­ten immer eine Wirkung auf die Bezie­hun­gen der davon Betrof­fe­nen. Kinder haben feine Anten­nen für Verschwie­ge­nes, auch wenn sie ihre Wahr­neh­mung even­tu­ell nicht einord­nen können.
  • Es ist wichtig für ein gesun­des Selbst­ge­fühl über beson­dere Umstände der Entste­hung und Abstam­mung früh­zei­tig und wenn möglich von nahe stehen­den Perso­nen infor­miert zu werden. Sehr belas­tend kann es hinge­gen sein, irgend­wann mehr oder weniger zufäl­lig davon zu erfah­ren oder von Ahnun­gen und Zwei­feln geplagt zu werden.
  • Wenn Eltern alters­ge­recht beson­dere Umstände ihrer Entste­hung mit Kindern anspre­chen, wird der Umgang damit selbst­ver­ständ­lich – zuerst für die Eltern selbst und in der Folge auch für die Kinder. Eltern können sich von Fach­per­so­nen persön­lich beraten und unter­stüt­zen lassen.

Schen­ken Sie Ihrem Kind seine Geschichte

Für ein Kind ist es schön zu erfah­ren, dass Sie es sich gewünscht und einen Weg gefun­den haben, diesen Wunsch zu reali­sie­ren.

  • Kinder haben ein feines Gespür dafür, wenn ein Thema tabu oder ihrem Gegen­über sehr unan­ge­nehm ist. Auch deshalb ist es bedeut­sam, wie Sie persön­lich zur Geschichte Ihres Kindes stehen. Eltern­wer­den und Eltern­sein sind meis­tens mit
    (Vor-)Freude, aber auch mit gemisch­ten Gefüh­len, Zwei­feln und Sorgen verbun­den.
  • Erzäh­len Sie sich selbst und gegen­sei­tig als Eltern in einfa­chen Worten die Geschichte Ihres Kindes. Begin­nen Sie damit bereits in der Vorbe­rei­tungs­zeit und in der Schwan­ger­schaft. So kann nach und nach für Sie selbst und für Ihr Kind seine Geschichte entste­hen.
  • Die Geschichte Ihres Kindes kann unter­schied­li­che Wurzeln haben. Fanta­sien von einem Kind oder von Eltern­schaft reichen manch­mal bis in die eigene Kind­heit zurück und manch­mal tauchen sie früher oder später im Erwach­se­nen­al­ter auf.
  • Nicht für alle Perso­nen sind diesel­ben Dinge an der Geschichte ihres Kindes wichtig. Sie kann für Sie, für Ihr Kind, für nahe Verwandte und Bekannte unter­schied­li­che Facet­ten beinhal­ten. Achten Sie aber darauf, dass sich diese nicht wider­spre­chen und im Kern nur eine einzige Geschichte Ihres Kindes erzählt wird.

Kommen Sie mit Ihrem Kind ins Gespräch

Kinder brau­chen keine abschlies­sen­den, aber wahre Antwor­ten. Die Antwor­ten können passend zu Ihrem Empfin­den eine gewisse Spiri­tua­li­tät und passend zum Denken des Kindes eine gewisse kind­li­che Magie beinhal­ten. Was Sie vermit­teln, sollte jedoch den Fakten zur Entste­hung und Abstam­mung nicht wider­spre­chen.

Am einfachs­ten kommen Sie mit Ihrem Kind über seine Entste­hung und Abstam­mung ins Gespräch, wenn Sie ihm bereits als Baby davon erzäh­len. Wenn Sie beim Wickeln, Spielen und Kuscheln ausdrü­cken, wie sehr Sie sich über das Kind freuen, fällt es leicht zu berich­ten, wer dazu beigetra­gen hat, dass es nun bei Ihnen ist.

Sie können beispiels­weise aufzäh­len, wer bei der Entste­hung des Kindes alles mitge­hol­fen hat: eine nette Person, die … gespen­det hat; eine Labo­ran­tin, die … , eine Ärztin, die …, ein Geburts­hel­fer, der …. ; eine Hebamme, die … usw.

Versu­chen Sie früh, für sich auch das in Worte zu fassen, was das Kind selbst noch nicht versteht. So vermei­den Sie, dass es später in den Gesprä­chen mit dem Kind zu Brüchen und «Geständ­nis­sen» kommt. So können Sie zum Beispiel bereits beim Gespräch am Wickel­tisch üben, gene­ti­sche und fort­pflan­zungs­me­di­zi­ni­sche Aspekte zu thema­ti­sie­ren. Ein paar Vorschläge:

  • «Babys entste­hen aus einer kleinen reifen Eizelle und aus einer noch viel klei­ne­ren, flinken Samen­zelle. Meine Eizel­len wurden nicht reif genug / meine Samen­zel­len waren zu wenig flink. Zum Glück haben wir eine nette Person gefun­den, die … gespen­det hat.».
  • «Die Labo­ran­tin mit den Locken hat gehol­fen, damit eine Eizelle von der Mama und eine Samen­zelle des Papas sich gefun­den haben. Dann konnten sie zusam­men­schmel­zen und daraus bist du entstan­den. Zuerst warst du ein winzi­ger Embryo.»
  • «Der Arzt mit der Glatze / die Ärztin mit kurzen Haaren hat gehol­fen, dass du dich in meinem Bauch gut einnis­ten und wachsen konn­test.»

Wenn Sie später im Gespräch mit dem Kind nicht exakt die zu seinen Fragen passende «Flug­höhe» treffen, ist das nicht weiter schlimm. Kinder nehmen aus dem Gespräch auf, was passt, und fragen bei Bedarf sofort oder später weiter nach.

Hilf­reich ist es, wenn Sie sich für die Ideen des Kindes inter­es­sie­ren und ihm manche seiner Fragen auch zurück­ge­ben: «Was meinst du denn, wie das geht?» «Was denkst du, wie das war?» So kann ein Gespräch entste­hen, das zum Wissens­durst des Kindes und zu seinen Gedan­ken passt. Berich­ti­gen und erwei­tern Sie diese dann, wenn das Kind es genauer wissen will.

Es gibt anspre­chende Bilder­bü­cher, um mit Kindern ins Gespräch über die oben skiz­zier­ten Themen zu kommen - zum Beispiel: Ein Baby! Wie eine Familie entsteht | Ein Sach­bil­der­buch über den Beginn jeder Familie für Gesprä­che zwischen Eltern und ihren Kindern | ab 5 Jahren.


Dieser Beitrag wurde von Dr. Heidi Simoni und Giuli­etta von Salis verfasst. Beide sind Psycho­lo­gin­nen und arbei­ten am Marie Meier­ho­fer Insti­tut für das Kind, Heidi Simoni als Insti­tuts­lei­te­rin.