Das sagt der kjz-Experte

Die Flunkerei mit dem Christkind – aus erzieherischer Sicht ein Problem?

Kinder sagen immer die Wahr­heit, heisst es. Eltern dagegen nicht wirk­lich. Schliess­lich tischen sie ihren Kindern an Weih­nach­ten mit dem Christ­kind eine ziem­li­che Mogel­pa­ckung auf. Ist das proble­ma­tisch? Der Psycho­loge und kjz-Experte Claude Ramme im Gespräch.

Mit dem Christ­kind, das die Geschenke unter den Baum legt, flun­kern Eltern ihren Kindern ganz schön etwas vor, ob sie nun Weih­nach­ten mit dem Chris­ten­tum verbin­den oder nicht. Ist das aus erzie­he­ri­scher Sicht ein Problem, Claude Ramme?
Ich halte das für nichts Schlech­tes – der Zauber, der damit einher­geht, ist viel wert. Meine Kinder können sich nicht mehr erin­nern, wann und wie ihr Glaube kippte und ob sie enttäuscht waren. Im Moment der Erkennt­nis machten sie aber einen weite­ren Schritt Rich­tung Erwach­sen­sein. Schliess­lich unter­schei­det sich das wissende Kind von denen, die immer noch ans Christ­kind oder den Oster­ha­sen glauben. Diese Abgren­zung nach unten kann ein Kind stärken. Die Enttäu­schung wird positiv umge­lenkt.

Gibt es ein kriti­sches Alter, bis zu dem Eltern spätes­tens über das Christ­kind aufklä­ren sollten?
Ich behaupte, dass die meisten Kinder das selbst heraus­fin­den und ihre Eltern dann damit konfron­tie­ren. Kinder eignen sich ihr Welt­wis­sen ausser­dem nicht nur über die Eltern an. Das gesamte soziale System spielt eine Rolle. Irgend­je­mand mag sich da schon einmal verplap­pern oder gar damit hänseln: «S’Chrischtkind git’s gar nöd!» und dann im Nach­satz «Bisch no es Baby?» Spätes­tens jetzt findet die Desil­lu­sio­nie­rung statt. Von daher gibt es kein kriti­sches Alter. Auch Eltern, die die Christ­kind-Figur spie­le­risch nutzen, um die Tradi­tion oder den schönen Anlass zu leben, müssen nie aufklä­ren. Aber es lassen sich irgend­wann kriti­sche Fragen stellen, wie zu jeder Fanta­sie­fi­gur.

Welche Reak­tion empfeh­len Sie Eltern, wenn sie «aufflie­gen»? Schliess­lich stehen sie ja einen Moment lang als Unholde da, die ihren Kindern etwas vorgau­keln.
Wenn meine Kinder mir ins Gesicht schleu­dern, dass ich gelogen habe, dann versu­che ich gelas­sen zu bleiben oder gar mit Humor zu reagie­ren: «Wow, wie hast du das denn heraus­ge­fun­den?» oder «Dir kann man nichts mehr vorma­chen, wie? Du bist viel zu schlau.» Indem ich ein Kind in diesem Moment stärke, kann es, glaube ich, ziem­lich schnell gelas­sen zurück­bli­cken auf das Christ­kind und fest­hal­ten: War eine gute Zeit, aber ab sofort wünsche ich mir meine Geschenke von Oma und Opa. Ich glaube nicht, dass Kinder hierbei Schaden nehmen. Schliess­lich ertap­pen sie uns täglich bei einer grossen oder kleinen «Lüge».

Claude Ramme hat Psychologie, Soziologie und Erziehungswissenschaft an der Universität Zürich studiert.

Claude Ramme

Claude Ramme hat Psychologie, Soziologie und Erziehungswissenschaft studiert und eine psychoanalytisch orientierte Psychotherapie-Ausbildung am Freud-Institut Zürich absolviert. Als Sozialpädagoge arbeitete er in verschiedenen Institutionen sowie als Psychotherapeut in der ipw BSJ, der Beratungsstelle für Jugendliche und junge Erwachsene in Winterthur und Glattbrugg. Seit 2021 ist er als Erziehungsberater im kjz Dielsdorf tätig.