Elisabetta, Ruedi, Leo und Giacomo

«Die Gesellschaft sollte die Wahl des Familienmodells akzeptieren»

Elisabetta und Ruedi sind liebend gerne präsente Eltern von Leo und Giacomo. Und beide gehen zugleich leidenschaftlich ihrer Arbeit nach. Das macht sie glücklich – aber nicht nur.

Dass in der Wohnsiedlung im Winterthurer Eisweiherquartier etliche Kinder wohnen, überrascht nicht. Schon von Weitem leuchtet die Siedlung einem knallblau entgegen. Ein idealer Ort für Familien, das zeigt sich auch von nah: Die breiten Gassen zwischen den Häuserzeilen sind wie geschaffen für nachbarschaftliches Miteinander. Und genau so empfinden es Elisabetta und Ruedi auch: «Man schaut hier unkompliziert gegenseitig den Kindern, es fühlt sich sehr gemeinschaftlich an. Ich geniesse das», sagt die Mutter von Leo (10) und Giacomo (7).

Die beiden sind ein gut eingespieltes Paar, seit zwanzig Jahren zusammen, seit zehn Jahren verheiratet und Eltern. Sie ist engagierte Journalistin, er selbstständiger Zeichner geistreicher Cartoons in verschiedenen Zeitungen. Eigentlich sind sie die urbane Vorzeigefamilie par excellence: Beide lieb­en ihre Kinder über alles – und geniessen ihre Arbeit ausserordentlich. Hätten sie keine Kinder, würden sie wohl mehr arbeiten. Allerdings: Auf ein «Eigentlich» folgt in aller Regel ein «Aber». Das Aber hier steht wie bei so manchen Familien, in denen beide Eltern viel und gerne arbeiten, für innere Konflikte. Vor allem Elisabetta als Mutter kann davon erzählen. Mit 60 Prozent arbeitet sie deutlich weniger als die meisten ihrer kinderlosen Kolleginnen – und mehr als viele Frauen kleiner Kinder. Sie fragt sich oft: «Wie kann ich eine präsente Mutter sein und gleichzeitig im Beruf ernst genommen werden?» Besonders als die Kinder noch kleiner waren, fühlte sie immer wieder diese innere Zerrissenheit: «Ich musste mir sagen, dass ich ja für die Familie mitsorge, indem ich arbeiten gehe. Und dass mir das Arbeiten guttut – also auch der ganzen Familie. Zu diesem inneren Konflikt finde ich wenig Resonanz in der öffentlichen Diskussion rund um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – da werden die Gefühle ja meistens ausgeklammert», sagt die 42-Jährige.

Auch zur typischen Beide-arbeiten-nicht-zu-knapp-Familie von heute pas­st, dass Ruedi (46) ganz andere Er­fahrungen macht: «Wenn ich sage, ich arbeite Vollzeit, haben alle Verständnis. Wenn ich wiederum sage, dass ich gerade Papa-Tag habe, schwappt mir respektvolle Anerkennung entgegen. Niemand kommt auf die Idee zu fragen, warum ich nicht an zwei Tagen die Woche zu den Kindern schaue.»

Streng getaktet und gezwungenermassen diszipliniert sind beider Leben, «das fängt früh am Morgen damit an, dass Ruedi das Frühstück zubereitet, während ich dusche, und gleichzeitig bei den Kindern der Wecker klingelt», erzählt Elisabetta, «nur so sind wir alle rechtzeitig parat». Dann sind da all die Rituale, die man mit Kindern wieder lebt, so Ruedi: «Kindergeburtstage, die Adventszeit mit all ihren Aktivitäten, dann natürlich auch bei den Hausaufgaben präsent sein und vieles mehr. Das dichte Programm ist Dauerzustand.» Er vermisse zwar erstaunlicherweise die Konzertbesuche nicht, die früher zu seinem Alltag gehörten, «aber man mutiert schon ein wenig zu einer geteilten Persönlichkeit mit der Zeit, wenn man sowohl die Familie als auch das Arbeiten ernst nimmt. Man hat stets das Gefühl, beidem nicht genügen zu können.»

Wir sind total privilegiert im Vergleich zu Eltern, die beide so viel als irgend möglich arbeiten müssen, um überhaupt über die Runden zu kommen.

Und plötzlich ist da im freundlichen Haus der Familie mit Sinn für Humor ein Hauch von Melancholie. Ja, das schlechte Gewissen gehöre als Konstante dazu, sagt Elisabetta, und Ruedi: «Auch eine leise Trauer darüber, dass die Zeit so schnell vergeht, dass die Kinder so schnell gross werden. Ich vermisse diese verrückte Zeit bereits, wenn ich darüber nachdenke.» Einem Moment des Schweigens folgt der Gedanke an andere Familien. Solche, von denen es heutzutage auch nicht wenige gibt. Ruedi: «Wir sind ja sehr privilegiert mit unseren Berufen. Manchmal frage ich mich, wie es für Eltern ist, wo beide in prekären Jobs arbeiten müssen, möglichst viel, um überhaupt über die Runden zu kommen …», und Elisabetta: «Ja genau, wie fühlt sich wohl ihre Zerrissenheit an?»

Text: Esther Banz