Tag der Kinderrechte

Die Rechte unserer Kinder

Erzie­hung ohne Gewalt. Bildung. Gesund­heit. Mitspra­che­recht. Frei­zeit. Dies sind fünf von 41 von der UNO in der Kinder­rechts­kon­ven­tion fest­ge­schrie­bene Rechte, die alle Kinder und Jugend­li­chen von 0 bis 18 Jahren fast (die USA haben die Konven­tion nicht unter­schrie­ben) auf der ganzen Welt genies­sen sollten. So selbst­ver­ständ­lich, wie das bei manchen Schlag­wor­ten klingen mag, ist es aber nicht immer.

Es ist ein Abend wie so viele. Marta (14) liegt im Bett und hört, wie sich ihre Eltern im Wohn­zim­mer strei­ten. Heute scheint es nicht so schlimm zu sein, Vater wird zwar auf der Couch schla­fen, aber es flog nichts durch die Wohnung – und ihre Tür blieb auch zu …

Als ihre Eltern Marta einige Wochen später erzäh­len, dass sie sich schei­den lassen werden, weiss sie nicht, was das für sie bedeu­ten wird. Einer­seits strei­ten sich die beiden dann nicht mehr ständig, und sie bekommt dann nicht mehr die Wut des Vaters oder den Frust der Mutter ab – aber sie mag doch trotz­dem beide …

Darf sie denn mitre­den, wie viel Zeit sie bei Mama und wie viel Zeit bei Papa verbringt? Wird sie gefragt, wo sie künftig wohnen möchte?

Mitspra­che in der Schweiz nicht syste­ma­tisch gewähr­leis­tet

Die Antwort auf Martas bange Frage lautet: Ja, sie ist alt genug und darf mitre­den. Ihre Meinung zählt und muss von ihren Eltern und den in die Schei­dung invol­vier­ten Behör­den und Insti­tu­tio­nen ange­hört und berück­sich­tigt werden. Martas Recht, ange­hört und berück­sich­tigt zu werden in dieser Ange­le­gen­heit, die sie direkt betrifft, ist in Artikel 12 der UNO-Kinder­rechts­kon­ven­tion fest­ge­hal­ten:

Die Vertrags­staa­ten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berüh­ren­den Ange­le­gen­hei­ten frei zu äussern, und berück­sich­ti­gen die Meinung des Kindes ange­mes­sen und entspre­chend seinem Alter und seiner Reife.

In der Schweiz ist zwar gesetz­lich fest­ge­schrie­ben, dass Kinder in Schei­dungs­ver­fah­ren ange­hört werden müssen, Behör­den und Gerichte können aber das Alter, ab welchem ein Kind als urteils­fä­hig gilt, sehr streng defi­nie­ren, weswe­gen in vielen Kanto­nen Kinder unter zehn oder zwölf Jahren gar nie ange­hört werden. Und selbst urteils­fä­hige Kinder werden laut einer Natio­nal­fonds­stu­die von vor einigen Jahren nur in jedem zehnten Fall ange­hört.

Eine ganz neue Studie des Schwei­ze­ri­schen Kompe­tenz­zen­trums für Menschen­rechte hat die Umset­zung zum oben erwähn­ten Artikel 12 in verschie­de­nen Kanto­nen unter­sucht. Sie wurde im Septem­ber veröf­fent­licht: Sie kommt zum Schluss, dass Parti­zi­pa­tion als Grund­recht aner­kannt wird, dass aber nach wie vor kein syste­ma­ti­scher Einbe­zug von Kindern und Jugend­li­chen in sie betref­fende Ange­le­gen­hei­ten erfolgt.

Regel­mäs­sige Status­be­richte an die UNO

In insge­samt 54 Arti­keln – 41 davon beinhal­ten die Kinder­rechte, die übrigen 13 drehen sich um die Rechts­gül­tig­keit und die Pflich­ten der unter­zeich­nen­den Staaten – werden die funda­men­ta­len Grund­rechte aller Kinder von 0 bis 18 Jahren fest­ge­hal­ten und die Vertrags­staa­ten verpflich­ten sich, diese Rechte durch geeig­nete und notwen­dige Mass­nah­men umzu­set­zen und zu gewähr­leis­ten. Die Schweiz hat die Kinder­rechts­kon­ven­tion 1997 rati­fi­ziert und in Kraft gesetzt.

Wie es heute, 23 Jahre nach diesem Schritt, um die Kinder­rechte in der Schweiz steht zu bewer­ten, ist nicht ganz einfach. Denn es gibt wenig aktu­elle wissen­schaft­li­che Studien, die sich mit den Themen der Kinder­rechts­kon­ven­tion befas­sen, rsp. jene die es gibt, befas­sen sich mit Teil­aspek­ten oder einzel­nen Themen aus den Kinder­rech­ten. Die Schweiz muss aber alle fünf Jahre vor dem «Ausschuss für die Rechte der Kinder» der UNO Auskunft darüber geben, welche Mass­nah­men sie ergrif­fen hat. Dieses Jahr ist wieder ein solcher Bericht fällig. Der Ausschuss analy­siert die Mass­nah­men, beur­teilt die Entwick­lun­gen in der Schweiz und erklärt, bei welchen Kinder­rech­ten in der Schweiz noch Hand­lungs­be­darf besteht (hier der Bericht von 2015 sowie die Reak­tion des Bundes­ra­tes darauf).

Eine jüngere Studie der Zürcher Hoch­schule für ange­wandte Wissen­schaf­ten (ZHAW) aus dem Jahr 2018 befasst sich etwa mit dem Recht auf gewalt­freie Erzie­hung. Über 8300 Jugend­li­che zwischen 17 und 18 Jahren aus zehn Kanto­nen wurden für die Studie befragt. Das Resul­tat: 63,3 Prozent der Befrag­ten haben in ihrer Kind­heit und Jugend Gewalt in der Erzie­hung erlebt. Unter­schiede gibt es dabei bei der Schwere der erleb­ten Gewalt und auf Grund von sozia­lem, ethni­schem oder reli­giö­sem Hinter­grund. Aber: über alle mögli­chen Unter­schiede hinweg hat die Mehr­heit der Jugend­li­chen in der Schweiz, unab­hän­gig von Status und Herkunft, Gewalt erlebt. In der Schweiz ist aller­dings die Züch­ti­gung der Eltern noch immer erlaubt, obwohl das Recht auf gewalt­freie Erzie­hung in den UNO-Kinder­rech­ten expli­zit veran­kert ist. Die Autoren der Studie sehen darin einen Haupt­grund für die hohen Werte und verglei­chen die Situa­tion mit Deutsch­land, wo im Jahr 2000 ein Züch­ti­gungs­ver­bot gilt und die Zahl der Jugend­li­chen mit Gewalt­er­fah­rung deut­lich nied­ri­ger ist als in der Schweiz (40,7 Prozent).

Erzie­hungs­be­ra­tung hilft Eltern

Das Thema Gewalt in der Erzie­hung gehört zum beruf­li­chen Alltag von Simone Gruen-Müller. Sie ist Erzie­hungs­be­ra­te­rin im Kinder- und Jugend­hil­fe­zen­trum (kjz) in Affol­tern am Albis. Eltern, die in der Erzie­hung physi­sche oder psychi­sche Gewalt anwen­den, seien nicht per se böse Menschen. «Die meisten Eltern sind verzwei­felt und leiden darun­ter, dass sie ihr Kind schon wegen der kleins­ten Klei­nig­keit anschrei­ben und bestra­fen. Sie erschre­cken über sich selbst und leiden unter Schuld­ge­füh­len», sagt sie. Ziel ihrer Bera­tungs­ar­beit mit betrof­fe­nen Fami­lien ist es, den Eltern gewalt­freie Kommu­ni­ka­tion zu vermit­teln und beizu­brin­gen. «Gemein­sam mit den Eltern versu­chen wir, bishe­rige Lösun­gen zu hinter­fra­gen, das Verhal­ten der Eltern besser zu verste­hen sowie neue Lösungs­wege wie eben die gewalt­freie Kommu­ni­ka­tion auszu­pro­bie­ren», erklärt Simone Gruen-Müller.