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Zum kjz-BeratungsangebotHerausforderung Vatersein – die Sicht vom Urvater der Väterberatung Egon Garstick
Egon Garstick gilt als Wegbereiter der Väterberatung und begleitet auch heute viele Väter und Paare bei ihren unzähligen Fragen und Anliegen rund um das Familienleben. Er sagt: Alle Anforderungen des Vaterseins unter einen Hut zu bringen, ist nicht einfach. Und – über die Herausforderungen müsste noch viel mehr geredet werden.
Allzu viele Väterberater gibt es in der Schweiz nicht. Im Kanton Zürich wurde gar erst im Jahr 2021 erstmals eine Stelle mit dem offiziellen Titel ausgeschrieben. Unter ihnen gilt Egon Garstick als Wegbereiter. Im PAPodcast unterhielt er sich mit dem Zürcher Väterberater Dani Bünter und dessen Moderationspartner über das Vatersein. Ein Auszug der acht wichtigsten Anregungen, die er heutigen Vätern ans Herz legt.
Das ganze Gespräch im Original im PAPodcast Das Krisenrisiko vom Vatersein
1 Redet über eure ambivalenten Gefühle – denn sie sind ganz normal
Ein Baby stellt die Welt auf den Kopf. Ohne die Aufmerksamkeit, Sensibilität und Empathie seiner Eltern kann es nicht überleben. Das verändert das Leben komplett. Hat man zuvor als Paar viel gemeinsam unternommen oder eigene Hobbys intensiv gepflegt, kann man sich dadurch plötzlich ausgebremst fühlen. Solche grossen Veränderungen lösen negative Gefühle aus! Das ist ganz normal. Wir Männer sollten darüber noch viel mehr reden dürfen und nicht befürchten müssen, dass uns die Gesellschaft dann gleich als schlechte Väter ansieht. Das gleiche Recht haben natürlich auch Mütter.
Grosse Veränderungen lösen negative Gefühle aus! Das ist ganz normal.
Egon Garstick
2 Es gilt, neue Aufgaben zu finden, die Befriedigung geben
Ein Kind beim Aufwachsen zu begleiten, ist mit Einschränkungen und persönlichen Entbehrungen verbunden. Besonders in den ersten Jahren. Oft fällt uns die Versöhnung damit leichter, wenn wir in den neuen Aufgaben neue Befriedigung finden und erfahren, dass diese Aufgaben wichtig sind. Dann kann unser Selbstwertgefühl wachsen. Hilfreich kann sein, sich vor Augen zu halten: Begleiten wir unser Kind dabei, die «Liebesaffäre mit der Welt» zu leben, leisten wir entscheidende Vorarbeit für den Erfolg in seinem Leben.
Im kreativen Spiel macht ein Kind zum Beispiel die so wichtige Erfahrung von Selbstwirksamkeit. Diese Erfahrung hat grossen Einfluss auf das lustvolle Lernen und letztlich auch auf das kreative Arbeiten. Im Wissen um diese Zusammenhänge gelingt es Vätern oft leichter, die neuen Aufgaben mit Begeisterung anzugehen.
3 Kinder brauchen nicht nur die Mutter, sondern ein ganzes Bindungssystem
Ein Kind braucht mehr als zwei sichere Bindungspersonen. Mindestens vier oder mehr. Das ist für alle in der Familie wichtig! Ansonsten kann man als Eltern schnell an den Anschlag kommen und es droht mitunter die Gefahr, dass keine Energie mehr da ist für die Paarbeziehung.
4 Wir Väter können die Rolle des Aussenministers übernehmen
Die ersten Lebensmonate eines Babys sind intensiv, die Herausforderungen gross. Viele Paare sind froh um Unterstützung. Auch drohen andere Dinge zu kurz zu kommen, etwa die sozialen Kontakte und Beziehungen. Hier können wir Väter einspringen. Würde zum Beispiel jemand im Umfeld für etwas Abwechslung vorbeikommen? Zur Entlastung mit dem Baby spazieren gehen? Oder für ein Treffen Spaghettisauce vorkochen? Organisation und Koordination sind gefragt.
5 «Unsere Paarbeziehung verändert sich – das wurde mir gar nie gesagt!»
In unserer aufgeklärten Gesellschaft wird viel zu oft tabuisiert, wie stark ein Kind die Paarbeziehung verändert. Auch an der scherzhaften Aussage «Kinder fressen die Libido auf» ist durchaus etwas dran. Schliesslich brauchen sie in den ersten Lebensmonaten unsere ganze Konzentration. Das macht müde. Dennoch erlebe ich so viele Paare, die sagen: «Mein Gott, endlich redet mal einer mit uns darüber.» Wenn man nicht darauf achtet, können gerade in den ersten Lebensjahren in einer Beziehung ganz viele Brüche passieren.
An der scherzhaften Aussage ‹Kinder fressen die Libido auf› ist durchaus etwas dran.
Egon Garstick
Doch diese Veränderungen sind normal. In der Anfangszeit sollte man daher nicht voreilig darüber entscheiden, ob man als Paar zusammen bleiben will. Es ist aber sehr wichtig, dass wir offen über das veränderte Erleben reden! Und dass Paare ihre Beziehung schützen. Es kann für uns Väter kränkend sein, wenn die ganze Aufmerksamkeit der Partnerin neu auf dem Kind liegt. Doch es ist ganz wichtig, dass jemand diese schützende Rolle einnimmt.
6 Wir Väter dürfen uns mutig zum Hüter der Paarbeziehung machen
Die Rolle als Hüter der Paarbeziehung zu übernehmen, ist nicht immer einfach. Doch die Investition lohnt sich langfristig für die ganze Familie. Alleine schon fünf Minuten, in denen man sich etwas Persönliches mitteilt und einander dabei aufmerksam zuhört, können eine Beziehung neu stärken. In meiner Beratung gebe ich Paaren daher oft kleine Hausaufgaben mit.
«Was möchte ich in 3-4 Jahren erleben?»
Aufgabenbeispiel
- Organisiert euch «echt» ungestörte Zeit.
- Person 1 sucht sich einen Platz zum Wohlfühlen aus.
- Person 1 darf die Gedanken fünf Minuten lang ungestört fliessen lassen: Was möchte ich in 3-4 Jahren gerne erlebt haben?
- Person 2 macht sich Notizen und gibt am Ende Rückmeldung, was sie gehört hat.
- Anschliessend werden die Rollen vertauscht.
Diese Gedanken und Wünsche sollen sorgfältig aufbewahrt werden. Danach ist es wichtig, den Partner oder die Partnerin dabei zu unterstützen, dass sie später einmal umgesetzt oder erfüllt werden.
7 Kinder bringen Krisen mit sich
Auch hierfür sollte das Bewusstsein noch viel verbreiteter sein. Beim Paar, aber auch im Umfeld. Denn Familie, Beruf und Beziehung unter einen Hut zu bringen – und dabei auch noch sich selbst gut schauen – ist nicht einfach. Krisen können kommen, auch die postpartale Depression. Und dies bei Vätern genauso wie bei Müttern. Unterstützung ist daher für beide Geschlechter wertvoll.
8 Das Bewusstsein für postpartale Depressionen muss zunehmen
Tatsache ist: Mit dem Engagement für das Kind und der liebevollen Zuwendung erfolgt im Hormonhaushalt eine Zunahme des Bindungshormons Oxytocin. Wenn Männer sich stark auf diese fürsorgliche Rolle gegenüber Baby und Mutter einlassen, wird das männliche Hormon Testosteron vorübergehend reduziert, bei den einen stärker, bei den anderen weniger stark. Das ist ganz normal und auch nicht schlimm. Aber es kann uns Männer in unserem männlichen Selbstverständnis irritieren und bis hin zu depressiven Stimmungen* führen.
Hilfe zu holen, muss etwas Selbstverständliches werden.
Egon Garstick
Eine Depression beim Vater kann sich auch erst reaktiv einstellen, also nach einer möglichen postpartalen Depression der Partnerin. Ein Partner hat in dieser Zeit vielleicht alles in die Unterstützung der Partnerin investiert und kämpft nun selbst mit den Ressourcen. Das Wissen darum muss viel selbstverständlicher werden. Ebenso die Bereitschaft, sich Hilfe zu holen. Auch Umfeld, Familie und Freundeskreis müssen aufmerksam sein, gegebenenfalls mit Zivilcourage reagieren und Paare auf ihr Recht aufmerksam machen, sich Hilfe zu holen.
* Postpartale Depression bei Vätern
Eine Studie der Hochschule Luzern hat die Rolle der Väter bei der postpartalen Depression untersucht. Die Betroffenheit der Väter fällt noch viel zu oft vom Radar des öffentlichen Bewusstseins. Doch auch sie leiden mit, wenn ihre Partnerinnen davon betroffen sind, und können selbst daran erkranken. Anzeichen einer postpartalen Depression bei Vätern sind Erschöpfung, Antriebslosigkeit, ein Gefühl der Leere, aber auch Wut und Reizbarkeit. Darüber reden ist wichtig. Der Verein Postpartale Depression sowie auch der Väterberater im Kanton Zürich und die Kinder- und Jugendhilfzentren (kjz) Ihrer Region bieten Unterstützung.
Der Verein setzt sich dafür ein, dass Betroffene und Angehörige rasch die richtige Hilfe finden und bietet Fachpersonen eine kompetente Anlaufstelle.
Zum Verein Postpartale DepressionEine Anlaufstelle für Eltern am Anschlag, angeboten von Fachpersonen des Kinderspitals Zürich, des Marie Meierhofer Instituts für das Kind und Pro Juventute.
Zu re-feel.org