Erziehung ohne Wut

Wenn Eltern kurz vor dem Explodieren stehen

«Gleich explo­diere ich …» – Dieses Gefühl kennen viele Eltern. Wer sich nahe­steht, steht sich auch manch­mal auf die Füsse. Doch was kann uns Eltern helfen, in hekti­schen Situa­tio­nen die Ruhe zu bewah­ren?

Sven ist fünf Jahre alt und eigent­lich ein Ritter. Der Besen ist sein Schwert, die Vasen in der Wohnung sind seine Kontra­hen­ten. Seine Mama sagt mehr­mals «Stop!» aber Sven schwingt weiter wild seine Waffe. Ans Aufhö­ren denkt er nicht.

Svens Mutter steht gerade unter Druck: Bald kommen Svens ältere Geschwis­ter nach Hause und das Mittag­essen muss bereit­ste­hen, für die Arbeit muss sie drin­gend noch vor zwölf Uhr ein Mail verschi­cken, sie darf den Arzt­ter­min von Svens Schwes­ter nicht verges­sen und für das Geburts­tags­fest vom Bruder fehlen ihr einige wich­tige Dinge. Eigent­lich liebt sie Svens Fanta­sie­wel­ten, doch für Scher­ben hat sie im Moment keine Zeit. Sie nimmt ihm den Besen weg. Sven soll lieber mit den Legos spielen.

Sven ist aber ein Ritter und braucht sein Schwert! Er verlangt es schimp­fend zurück und wird immer wüten­der – bis er aus Verse­hen doch noch eine Vase umwirft. Das ist zu viel für die Mutter. Wütend packt sie Sven, schreit ihn an und schüt­telt ihn so heftig, dass er vor Schreck verstummt …

Für Konflikte gibt es Lösun­gen

Der Konflikt zwischen Sven und seiner Mutter ist erfun­den, doch können ähnli­che Situa­tio­nen im Fami­li­en­all­tag vorkom­men. Wer sich nahe­steht, steht sich auch manch­mal auf die Füsse. Die meisten Eltern kommen irgend­wann an ihre Grenzen, und aus Verun­si­che­rung und Über­for­de­rung wird schnell Frust oder Wut. Doch auch in schwie­ri­gen Situa­tio­nen gibt es Lösun­gen ohne Gewalt. So können Sie Ihrem Kind ein Vorbild sein und ihm den Umgang mit Wut und Aggres­sion aufzei­gen. Und vor allem schüt­zen Sie es dadurch vor den Folgen von Gewalt.

Tipps vor der Explo­sion*

Bis zehn zählen
Bevor die ange­staute Wut aus Ihnen heraus­bricht, zählen Sie inner­lich bis zehn, gern auch bis 100. Noch besser: Zwischen den einzel­nen Zahlen tief ein- und ausat­men.

Alle Emotio­nen zulas­sen, nicht aber alle Taten
Alle Gefühle sind bei Ihnen und Ihrem Kind erlaubt, aber nicht alle Taten. Lassen Sie nega­tive Emotio­nen nicht durch Worte oder Taten an Ihren Kindern aus. Sagen Sie: «Jetzt bin ich furcht­bar wütend, ich muss mich zuerst beru­hi­gen». Nehmen Sie sich dann eine Auszeit, atmen Sie kurz durch, gehen Sie einmal ums Haus oder trinken Sie ein Glas Wasser.

Zuhören und verste­hen
Hören Sie Ihrem Kind aufmerk­sam zu und versu­chen Sie, seine Gefühle zu verste­hen. So fühlt sich das Kind ernst genom­men und gewinnt Selbst­ver­trauen.

Mitspra­che­recht geben
Suchen Sie im Alltag so oft wie möglich mit dem Kind gemein­sam nach Lösun­gen und geben Sie dem Alter entspre­chende Wahl­mög­lich­kei­ten. Über­le­gen Sie sich, wo Ihr Kind Mitspra­che­recht hat und wo Sie als Eltern entschei­den. Ihr Kind lernt so, dass seine Meinung wichtig ist und hält sich besser an Abma­chun­gen.

Das Eisen schmie­den, wenn es kalt ist
Klären Sie den Konflikt, wenn Sie und Ihr Kind wieder ruhig sind. Ihr Kind braucht Unter­stüt­zung im Umgang mit starken Gefüh­len. Suchen Sie gemein­sam passende Stra­te­gien, sobald sich die Emotio­nen abge­kühlt haben.

Hilfe holen
Eltern sein kann anstren­gend sein. Schauen Sie auf Ihr Wohl­be­fin­den. Nehmen Sie Hilfe von Freun­den, Verwand­ten oder Fach­per­so­nen in Anspruch. Es ist ok, Unter­stüt­zung zu holen.

* In Anleh­nung an die Hand­lungs­al­ter­na­ti­ven zur Gewalt der Stif­tung Kinder­schutz Schweiz.

Und wenn es trotz­dem kracht?

Entschul­di­gen Sie sich bei Ihrem Kind. Erklä­ren Sie ihm, warum Sie gerade über­re­agiert haben. Wählen Sie einfa­che, verständ­li­che Worte. Seien Sie aufrich­tig. Erwar­ten Sie von Ihrem Kind aber nicht, dass es Sie von Ihren Schuld­ge­füh­len entlas­tet. Wenn sich der Vorfall wieder­holt, reden Sie darüber und suchen Sie sich Hilfe.

Wenn Sie einmal nicht mehr weiter­wis­sen

  • Eltern­not­ruf: 24 h kosten­lose Hilfe per Telefon, E-Mail, Termine vor Ort
  • Eltern­be­ra­tung: 24 h kosten­lose Hilfe per Telefon, Chat oder E-Mail von Pro Juven­tute
  • männer.ch: Merk­blatt für Männer unter Druck auf Alba­nisch, Deutsch, Englisch, Fran­zö­sisch, Italie­nisch, Polnisch, Portu­gie­sisch, Russisch, Serbo­kroa­tisch, Spanisch, Unga­risch

Zurück zu Sven und seiner Mutter – mögli­che Lösung

Was hätte Svens Mutter tun können: Sven protes­tiert wütend und beschimpft seine Mutter. Eine mögli­che Lösung: Die Mutter geht auf Augen­höhe mit Sven, berührt ihn am Arm und sagt: «Ich möchte, dass die Vasen heil bleiben. Bitte spiel Ritter in deinem Zimmer oder wir suchen zusam­men ein neues Spiel. Was möch­test du?»

Wenn es doch eska­liert: Viel­leicht reagiert Sven noch nicht auf diesen Einwand der Mutter und spielt weiter. Aus Verse­hen wirft er eine Vase um. Die Mutter merkt, wie Wut in ihr aufkocht. Es gelingt ihr, sich zu bremsen: «Es macht mich sehr wütend, dass trotz­dem eine Vase kaputt gegan­gen ist. Ich muss mich jetzt kurz beru­hi­gen». Im Gang zählt sie für sich bis 10 und atmet tief ein und aus. Danach kehrt sie ins Wohn­zim­mer zurück und bittet Sven, mit ihr zusam­men die kaputte Vase aufzu­wi­schen. Dabei darf er sein Schwert einset­zen – nur diesmal als Besen. Sie nimmt sich vor, das Vorge­fal­lene mit Sven in Ruhe zu bespre­chen, wenn sich die Gemüter abge­kühlt haben.

Trai­nie­ren Sie Ihre Gelas­sen­heit