Tamara und Gloria

«Mütter sollen arbeiten können»

Tamara hatte knapp die Matura im Sack, als sie Gloria zur Welt brachte. Und bald wurde sie allein­er­zie­hend. Sie lernte schnell, sich gut zu orga­ni­sie­ren.

Der Rütihof hat wie kein anderes Quar­tier Zürichs etwas von einer Satel­litenstadt. Bis in die Sieb­zi­ger­jahre ein kleiner Weiler, leben heute rund 4000 Menschen im erhöht gele­ge­nen nord­west­li­chen Zipfel der Stadt, viele von ihnen in Genos­sen­schafts­woh­nun­gen. Es sind vor allem Fami­lien mit Kindern. Eine davon bilden Tamara (31) und ihre Tochter Gloria (11). Die beiden werden bald Zuwachs erhal­ten: In Glorias Zimmer steht alles bereit für den Einzug der Renn­mäuse. Klar werde sie diese selber füttern, strei­cheln und auch ausmis­ten, sagt die vife Primar­schü­le­rin, die sich sonst vor allem mit einem grös­se­ren Tier auskennt: Im histo­ri­schen Teil des Rüti­hofs steht auf einem Bauern­hof das Pferd, das Gloria seit einein­halb Jahren einmal die Woche reiten darf, «es heisst Harmony, ist eine Stute und die Besit­ze­rin gibt mir Reit­un­ter­richt.» Was für ein Glück: Der Stall befin­det sich in Gehdi­stanz zur Wohnung, das Reiten kostet wenig, die Mutter beglei­tet sie. Die beiden schauen sich kurz an und kichern. Das tun sie oft, wie sie in ihrer grossen, hellen Küche sitzen und dem Besuch von ihrem Leben als Kleinst­fa­mi­lie erzäh­len. Manch­mal gibt sich eine von beiden auch empört, etwa als es um die Frage geht, wie alt Tamara bei Glorias Geburt war: «20», sagt die Mutter, «ich dachte 21!», ruft die Tochter, die Mutter: «Nein, wirk­lich, 20, rechne mal!»

Tamara ist allein­er­zie­hend. Sie und Glorias Vater trenn­ten sich, als das Mädchen noch klein war. Die ersten beiden Jahre lebten sie alle mitein­an­der in Brasi­lien, wo Gloria zur Welt kam, anschlies­send im Appen­zell, wo Tamara aufge­wach­sen ist. Später zogen sie – nun zu zweit – nach Zürich. Die Mutter hat die Matura, studierte der frühen Mutter­schaft wegen aber nicht. Sie arbei­tet heute Voll­zeit bei einem Phar­ma­un­ter­neh­men im Kunden­dienst, «ich kann mit dem Velo zur Arbeit fahren, was fantas­tisch ist. Morgens beginne ich um 8.30 Uhr, so können wir jeweils um 8 Uhr gemein­sam aus dem Haus, das schät­zen wir sehr», sagt die Mutter und die Tochter nickt fest mit dem Kopf.

Eltern­sein ist ja grund­sätz­lich oft streng, ob man nun alleine oder zu zweit erzieht.

Die beiden sind ein gut einge­spiel­tes Team. Eltern­sein sei ja grund­sätz­lich oft streng, sagt Tamara, ob man nun alleine erziehe oder zu zweit, «man muss sich zu orga­ni­sie­ren wissen.» Sie habe grosses Glück: «Gloria ist so eine Gute und Umgäng­li­che.» Sie selbst sei aber auch aktiv, sagt die Mutter, recher­chiere sich die Dinge zusam­men, die sie wissen müsse, treffe ohne Mühe Entschei­dun­gen. «Und ich bin gut orga­ni­siert.» Ein Beispiel? «Ich hasse es, putzen zu müssen. Also mache ich einfach wenig Dreck.» Eine Putz­hilfe wäre aber toll. Sie hat aller­dings noch einen grös­se­ren Wunsch, respek­tive drei: erstens, dass alle Frauen, die das wollen, einen Beruf ausüben können und Arbeits­be­din­gun­gen haben, die eltern­ge­recht sind. Zwei­tens, dass Allein­er­zie­hende oder über­haupt alle Fami­lien besser unter­stützt werden, etwa mit einem Eltern­ur­laub, der diesen Namen verdient. Und drit­tens, dass jedes Fami­li­en­mo­dell als völlig normal ange­se­hen wird, egal ob ein Kind nun einen oder drei Eltern­teile hat. «Das Krite­rium sollte doch einfach sein, dass es dem Kind gut geht.»

Tamara und Gloria freuen sich an diesem Winter­tag auf die bevor­ste­hen­den Fest­tage bei Glorias Gross­mutter. Tamara: «Ich bin intro­ver­tiert, lebe gerne alleine mit Gloria und am Wochen­ende auch mit meinem Freund, der dann jeweils aus Deutsch­land anreist, ich brauche nicht viele Leute um mich herum – aber dass wir Weih­nach­ten im Kreis meiner Eltern und Geschwis­ter feiern können, das schätze ich sehr!» Wer füttert dann die Renn­mäuse, wenn sie weg sind? «Och», sagen Mutter und Kind und grinsen sich wieder gegenseitig an, «das wissen wir dann auch noch zu orga­ni­sie­ren.»

Text: Esther Banz