Auswärtsschlafen – Das sagt die kjz-Expertin

Was steckt hinter dem Heimweh und wie können Eltern damit umgehen?

Wenn Kinder alleine verrei­sen, leiden sie häufig an Heimweh. Eine gute Vorbe­rei­tung auf die Ferien ohne Eltern kann ihnen viel Stress erspa­ren. Simone Gruen-Müller, Psycho­lo­gin und Erzie­hungs­be­ra­te­rin im kjz-Affol­tern, gibt Tipps.

Simone Gruen-Müller, die Ferien stehen vor der Tür und mit ihnen auch die Feri­en­la­ger. Ab welchem Alter kann man Kinder alleine in die Ferien schi­cken?
Es gibt keine verbind­li­chen Angaben, da die Entwick­lung jedes einzel­nen Kindes indi­vi­du­ell verläuft und äussere Fakto­ren mitspie­len. Wichtig ist, dass das Kind von sich aus dazu bereit ist und sich darauf freut. Im Alter von 4 bis 6 Jahren kann es zu ersten Über­nach­tun­gen bei befreun­de­ten Kindern kommen, im Alter von 6 bis 9 Jahren zu ersten kurzen Schul- und Vereins­la­gern und ab 10 bis 12 Jahren zu einwö­chi­gen Klassen- und Feri­en­la­gern.

Wie viele Kinder sind von Heimweh betrof­fen?
Heimweh ist etwas ganz Norma­les. Nebst der Vorfreude gehört auch die Angst vor dem Neuen und Unbe­kann­ten dazu. Ange­kom­men am neuen Ort, wird es für alle Kinder Momente der Sehn­sucht nach dem Zuhause geben. Doch bei manchen Kindern wird die Sehn­sucht, das Heimweh, so stark, dass weder Ablen­kung, Trost noch Zuspruch helfen und sie nur noch nach Hause wollen.

Heimweh ist etwas ganz Norma­les. Die Angst vor dem Neuen und Unbe­kann­ten gehört dazu.

Gibt es Kinder, die beson­ders stark von Heimweh betrof­fen sind?
Es sind vorwie­gend jüngere Kinder, die noch stärker an die Eltern gebun­den sind. Aber auch andere Fakto­ren können die Tendenz dazu verstär­ken. Beispiels­weise wenn Kinder wenig Übung und Erfah­rung mit dem Schla­fen ohne Familie gemacht haben oder in einer beson­de­ren Lebens­si­tua­tion sind, wie zum Beispiel bei einer Tren­nung der Eltern, Erkran­kung eines Eltern­teils oder bei einem Todes­fall inner­halb der Familie. Auch Kinder, die unselbst­stän­dig, schüch­tern oder ängst­lich sind, keinen oder weniger schnell Anschluss finden oder unter einer Sozi­al­angst leiden, neigen dazu. Schwie­rig kann auch sein, wenn Eltern über­ängst­lich sind, ihrem Kind sagen, sie werden es vermis­sen und ihm verspre­chen, es gleich abzu­ho­len, wenn es sich dies wünsche. Kinder können sich aber auch von einem anderen «Heimweh-Kind» anste­cken lassen.

Was können Eltern präven­tiv tun?
Mögli­che Ideen sind: sich mit dem Kind freuen, es dem Kind zutrauen, darüber reden, sich gemein­sam über den Ort oder die Akti­vi­tä­ten erkun­di­gen, offen über Sorgen und Ängste reden, nach­fra­gen, worauf sich das Kind freut, von eigenen Erfah­run­gen berich­ten, gemein­sam Lösun­gen entwi­ckeln oder einen vertrau­ten Gegen­stand mitge­ben, zum Beispiel ein Fami­li­en­foto, Kuschel­tier, Kissen­über­zug oder einen Talis­man.

Was sollten sie besser unterlassen?
Die Eltern sollten dem Kind nicht verspre­chen, es abzu­ho­len, wenn es dies wünscht. Damit vermit­teln sie ihm Unsi­cher­heit. Auch sollten sie keine tägli­chen Anrufe abma­chen. Wenn, dann wird der Anruf an einem bestimm­ten Tag verein­bart. Wenn möglich sollten sie den Abschied kurz halten. Dadurch signa­li­sie­ren sie dem Kind, dass sie ihm die Reise ohne Eltern zutrauen.

Wie lernen Kinder, mit Heimweh fertig zu werden?
Indem sie von den Eltern dazu ermu­tigt werden, sich den Betreu­en­den anzu­ver­trauen und über ihre Ängste, Befürch­tun­gen und Sorgen zu reden. Auch hilf­reich kann es sein, dem Kind ein Reise­ta­ge­buch mitzu­ge­ben, damit es die Erleb­nisse vom Tag fest­hal­ten und sie nach der Rück­kehr zusam­men mit den Eltern und Geschwis­tern teilen kann.

Eltern sollten den Abschied kurz halten.

Wann ist der Leidens­druck so hoch, dass Eltern eingrei­fen müssen?
Nach zwei Tagen soll die Betreu­ung den Kontakt mit den Eltern aufneh­men. Die Eltern können dem Kind in einem ersten Schritt am Telefon Mut machen und nach­fra­gen, was es bis jetzt alles gemacht und erlebt hat, was ihm gefal­len hat und was es gerne noch machen möchte. Wenn dies nicht hilft, sollte das Kind mit ermu­ti­gen­den Worten abge­holt werden: «Du hast es zwei oder drei Tage lang geschafft!»

Und wie klappt es beim nächs­ten Mal besser?
Die Eltern sollen weder enttäuscht sein noch Vorwürfe machen. Es ist ganz normal, dass einige Kinder mehr Zeit bezie­hungs­weise mehrere Anläufe brau­chen. Sie können das Posi­tive hervor­he­ben und stolz darauf sein, dass das Kind dazu bereit war, zu gehen und es geschafft hat, zwei oder drei Tage lang dabei zu sein. Auch können sie mit dem Kind über das Erlebte reden und die schönen Momente und Situa­tio­nen hervor­he­ben, die dem Kind in Erin­ne­rung geblie­ben sind. Das Kind lernt aus dieser Erfah­rung und beim nächs­ten Mal klappt es bestimmt besser.

Inter­view: Angela Bernetta

Dieser Text wurde zuerst im Anzei­ger aus dem Bezirk Affol­tern vom 9. Juli 2021 publi­ziert.

Simone Gruen-Müller ist Erziehungsberaterin im kjz Affoltern. Sie ist Fachpsychologin SBAP in Kinder- und Jugendpsychologie, Kinder- und Jugendpsychotherapeutin SBAP und Spezialistin bei OHG-Befragungen.

Simone Gruen-Müller

Simone Gruen-Müller ist Erziehungsberaterin im kjz Affoltern. Sie ist Fachpsychologin SBAP in Kinder- und Jugendpsychologie, Kinder- und Jugendpsychotherapeutin SBAP und Spezialistin bei OHG-Befragungen. Während vieler Jahre war sie im schulpsychologischen Dienst, in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie in der eigenen Praxis tätig.