Mehrsprachige Eltern

In welcher Sprache sollen Eltern vorlesen?

Güggerüggü, kikeriki oder cock-a-doodle-doo – mehrsprachige Eltern haben beim Vorlesen die Qual der Wahl. Für Kinder ist es am besten, wenn Eltern in ihrer «Herzenssprache» vorlesen, erklärt Gina Domeniconi, Expertin für Leseförderung.

Gina Domeniconi, in welcher Sprache sollen Eltern vorlesen, wenn sie mehrere Sprachen beherrschen?
Wichtig ist es, in jener Sprache vorzulesen, die wir am besten beherrschen und in der wir uns am wohlsten fühlen. Man spricht auch von der «Herzenssprache». In dieser Sprache profitieren die Kinder am meisten – nicht nur bezüglich Sprachförderung. Denn beim Vorlesen geht es auch um Geborgenheit und Nähe, um gemeinsame Zeit, Bindung und Beziehung. Deshalb ist es wichtig, in jener Sprache vorzulesen, in der wir auch unsere Gefühle am besten ausdrücken können.

Und wenn mehrsprachige Kinder die Sprachen durcheinander bringen?
Dieses sprunghafte Wechseln und «Durcheinander» macht Eltern manchmal unsicher, ist aber beim Spracherwerb bei Kindern, die mit mehreren Sprachen aufwachsen, ganz normal. Es kann sogar von besonders kompetentem oder kreativem Sprachgebrauch zeugen. Eltern müssen sich deshalb keine Sorgen machen oder gar auf Deutsch vorlesen, aus Angst, das Kind würde sonst nicht gut Deutsch lernen. Auch in diesem Fall dürfen sie bei jener Sprache bleiben, in der sie sich am wohlsten fühlen.

Beim Vorlesen geht es um Geborgenheit und Nähe, gemeinsame Zeit, Bindung und Beziehung.

Gibt es also kein bestimmtes Alter beim Kind, ab dem Eltern die Sprache wechseln sollten?
Nein, so etwas gibt es nicht. Umgekehrt sollte aber das Kind beim Vorlesen so zwischen den Sprachen wechseln dürfen, wie es möchte, ohne dass die Eltern auf eine bestimmte Sprache bestehen oder den Wechsel negativ bewerten. Denn als Regel in der mehrsprachigen Erziehung gilt: Das Kind hat freie Sprachwahl. Die Eltern dürfen aber unabhängig von den Antworten des Kindes in ihrer Wohlfühlsprache vorlesen. Fühlen sie sich in mehreren Sprachen sicher, dürfen sie natürlich auch selbst die Sprache je nach Situation und Kontext wechseln. So leben sie Neugierde und Interesse an Sprache vor und sind dem Kind in mehreren Sprachen Vorbild.

Wie ist es beim Schuleintritt, sollten Eltern dann besser zum Vorlesen auf Hochdeutsch wechseln?
Nein, auch beim Schuleintritt müssen Eltern nichts künstlich verändern, mit der Idee, dem Kind damit in Bezug auf seine schulischen Leistungen zu helfen. Das Vorlesen zuhause hat nichts mit dem Leseerwerb in der Schule zu tun. Eltern unterstützen ihr Kind dann am besten, wenn sie die Lust und Freude an Geschichten vorleben und diese mit ihm teilen.

Gina Domeniconi hat Germanistik studiert und arbeitet am Schweizerischen Institut für Kinder- und Jugendmedien (SIKJM).

Gina Domeniconi

Gina Domeniconi hat Germanistik studiert und ist seit 2015 Mitarbeiterin am Schweizerischen Institut für Kinder- und Jugendmedien SIKJM im Bereich Literale Förderung. Dort leitet sie das Leseförderungsprojekt «Schenk mir eine Geschichte – Family Literacy» mit Fokus auf der Erstsprachenförderung.

Hier finden Sie Kinderbücher in verschiedenen Sprachen

Auch mehrere Schweizer Bilderbuchverlage geben Titel in Migrationssprachen heraus. Zum Beispiel der Verlag Baobab Books oder der NordSüd Verlag.

Projekt «Schenk mir eine Geschichte»

Eltern und Kinder treffen sich zu gemeinsamen Geschichtenstunden in ihrer Erstsprache, ein Projekt von SIKJM. Erzählt wird je nach Region in den Sprachen Albanisch, Arabisch, Bosnisch, Chinesisch, Deutsch, Englisch, Französisch, Griechisch, Italienisch, Kroatisch, Kurdisch, Persisch, Polnisch, Portugiesisch, Serbisch, Somali, Spanisch, Tamil, Tibetisch, Tigrinya und Türkisch.

Projekt «Buchstart» für Kinder von 0-3 Jahren

Ziel vom Projekt Buchstart ist es, jedem Kind in der Schweiz die Begegnung mit Büchern zu ermöglichen. Jedes neugeborene Kind erhält zur Geburt ein Buchstart-Paket geschenkt.

Ein Projekt zur frühen Sprachbildung von Bibliomedia Schweiz und SIKJM. Die Bücher gibt es auf Deutsch, Französisch und Italienisch. Eine Ausgabe wurde zudem in 16 weitere Sprachen übersetzt.