Unter Druck

Jugendliche in der Krise: Wege zur inneren Widerstandfähigkeit

In einer Welt, die von stän­di­gem Wandel und wach­sen­dem Druck geprägt ist, sind Jugend­li­che immer wieder mit psycho­so­zia­len Krisen konfron­tiert. Was genau bedeu­tet dies und wie können die Betrof­fe­nen und ihr Umfeld damit umgehen? Im Inter­view mit Jugend­be­ra­ter Michael Bruder vom Zentrum Brei­ten­stein tauchen wir tiefer in dieses Thema ein und erfah­ren, wie solche Heraus­for­de­run­gen gemeis­tert werden können oder was in diesen Situa­tio­nen hilf­reich sein kann.

Herr Bruder, was bedeu­tet der Begriff «psycho­so­ziale Krise» bei Jugend­li­chen?
Es gibt verschie­dene Defi­ni­tio­nen, was unter einer psycho­so­zia­len Krise verstan­den wird. Im Allge­mei­nen spre­chen wir davon, wenn Jugend­li­che mit Lebens­um­stän­den konfron­tiert sind, die ihre übli­chen Bewäl­ti­gungs­stra­te­gien und Problem­lö­sungs­fä­hig­kei­ten über­for­dern. Dies kann dazu führen, dass sie aus dem seeli­schen Gleich­ge­wicht geraten und die Situa­tion als unüber­wind­bar empfin­den. Oft gehen mit einer solchen Krise Gefühle wie Angst, Wut und Hilf­lo­sig­keit einher.

Psycho­so­ziale Krisen von Jugend­li­chen können nicht isoliert betrach­tet werden. Das soziale Umfeld und die Familie sind in der Regel eng mit der Krise verknüpft. Die Jugend­li­chen inter­agie­ren mit dem sozia­len Umfeld und es kann zu Konflik­ten inner­halb dieser Felder kommen.

Wich­tigste Erkennt­nisse

  • Nicht den Kopf in den Sand zu stecken, sondern darüber spre­chen
  • Erwach­sene sollten die Jugend­li­chen ernst nehmen, immer wieder das Gespräch suchen und Inter­esse zeigen an den Hinter­grün­den der Probleme
  • Krisen und Verän­de­run­gen benö­ti­gen Zeit
  • Auch bei Jugend­li­chen ist Geduld gefragt, ebenso die Bereit­schaft, sich selbst und anderen – einschliess­lich Freun­den – zuzu­mu­ten

Gibt es allge­meine Anzei­chen oder Verän­de­run­gen im Verhal­ten bei Jugend­kri­sen?
Wir erhal­ten in der Jugend­be­ra­tung nur Einbli­cke in die Lebens­welt eines Teils der Jugend­li­chen. In der Regel wird die Jugend­be­ra­tung kontak­tiert, weil im Umfeld, sei es in der Schule oder zu Hause, Verän­de­run­gen am Verhal­ten des Jugend­li­chen bemerkt werden. Wenn jemand in einer Krise steckt, zeigt sich dies meist in einem verän­der­ten Verhal­ten. Die Reak­tio­nen von Menschen und Jugend­li­chen auf Krisen sind viel­fäl­tig und nicht einheit­lich.

Wie äussert sich eine solche Krise bei Jugend­li­chen?
Bei vielen Jugend­li­chen, die zu uns kommen, hat sich beispiels­weise die schu­li­sche Leis­tung verschlech­tert. Einige Jugend­li­che ziehen sich zurück, während andere Schlaf­stö­run­gen entwi­ckeln und Schwie­rig­kei­ten beim Ein- und Durch­schla­fen haben. Das Essver­hal­ten kann sich verän­dern, wobei Appe­tit­lo­sig­keit auftre­ten kann. Andere Jugend­li­che fallen durch aggres­si­ves oder delin­quen­tes Verhal­ten auf oder versu­chen, sich abzu­len­ken, indem sie vermehrt Medien nutzen oder Compu­ter­spiele spielen. Psycho­so­ma­ti­sche Symptome wie Bauch­schmer­zen und Kopf­schmer­zen, die zuneh­men, können eben­falls Anzei­chen sein. Kurz gesagt: Die Band­breite der Reak­tio­nen auf Jugend­kri­sen ist weit­ge­fä­chert.

Wie beein­flusst eine psycho­so­ziale Krise das Leben von Jugend­li­chen und ihren Fami­lien?
Eine psycho­so­ziale Krise hat oft tief­grei­fende Auswir­kun­gen auf das Leben von Jugend­li­chen und ihren Fami­lien. Es ist vergleich­bar mit einem Mobile – wenn man an einem Teil zieht, beein­flusst dies das gesamte System. Zum Beispiel kann ein Jugend­li­cher, der sich aufgrund einer Belas­tungs­si­tua­tion zurück­zieht und seine Inter­es­sen vernach­läs­sigt, die Eltern beun­ru­hi­gen und somit Konflikte in der Familie auslö­sen. Dies wiederum kann den Stress des Jugend­li­chen verstär­ken, da er in seiner Situa­tion Unter­stüt­zung und Verständ­nis benö­ti­gen würde.

Oft sind Konflikte ein wich­ti­ger Motor zur Lösung und sollten nicht nur negativ betrach­tet werden.

Wir können uns beispiels­weise eine Jugend­li­che vorstel­len, die mit einer Viel­zahl von Themen und Belas­tungs­auf­ga­ben konfron­tiert ist und sich dabei gut schlägt. Ihre Eltern neigen dazu, sich auf die Aspekte zu konzen­trie­ren, in denen es nicht so gut läuft. Dies führt immer wieder zu Konflik­ten zwischen ihnen und der Jugend­li­chen und verschärft ihre bereits bestehende Krise. Für sie wäre Unter­stüt­zung, Zuver­sicht und Rück­halt hilf­reich. Statt­des­sen bekommt sie oft nur Rück­mel­dun­gen darüber, was nicht zufrie­den­stel­lend ist. Dies trägt dazu bei, die Krise zu vertie­fen und die Span­nun­gen inner­halb der Familie zu verstär­ken. Eltern und Bezugs­per­so­nen spielen eine wich­tige Rolle. Sie können die Jugend­li­chen unter­stüt­zen, indem sie sich für sie inter­es­sie­ren und auf ihre Bedürf­nisse einge­hen, gleich­zei­tig aber klare Struk­tur anbie­ten. Konflikte können als Teil der Krise betrach­tet werden. Oft sind sie ein wich­ti­ger Motor zur Lösung und sollten nicht nur negativ betrach­tet werden.

Kommen Jugend­kri­sen häufig vor oder sind sie eher selten?
Psychosoziale Krisen sind gerade bei Jugend­li­chen häufig. Es ist normal, dass Jugend­li­che solche Jugend­kri­sen erleben, da sie eine Zeit inten­si­ver Verän­de­run­gen und Entwick­lun­gen durch­ma­chen. Die Jugend­li­chen reagie­ren jedoch unter­schied­lich auf diese Jugend­kri­sen, abhän­gig von ihren indi­vi­du­el­len Erfah­run­gen und Bewäl­ti­gungs­me­cha­nis­men. Krisen sind Teil des Lebens und können in der Regel bewäl­tigt werden. Und sie bieten die Möglich­keit, persön­li­ches Wachs­tum und Resi­li­enz zu entwi­ckeln.

Welche Schritte können Jugend­li­che und ihre Fami­lien unter­neh­men, um aus einer psycho­so­zia­len Krise heraus­zu­fin­den?
In Krisen­si­tua­tio­nen ist es normal, sich hilflos zu fühlen. In solchen Momen­ten ist es entschei­dend, nicht den Kopf in den Sand zu stecken, sondern darüber zu spre­chen und sich zu öffnen. Das Spre­chen über Probleme kann Jugend­li­che erheb­lich entlas­ten. Es müssen nicht immer komplexe thera­peu­ti­sche Inter­ven­tio­nen erfor­der­lich sein. Manch­mal reicht es aus, jeman­den zu haben, dem man vertraut und bei dem man ohne Vorur­teile oder Bewer­tun­gen offen spre­chen kann. Das allein kann bereits ein grosser Schritt sein. Diese Aufgabe über­neh­men beispiels­weise Jugend­be­ra­tungs­stel­len. Natür­lich gibt es Situa­tio­nen, die weitere Mass­nah­men erfor­dern – etwa, wenn Konflikte zu Hause eska­lie­ren.

Die Erwach­se­nen sollten die Jugend­li­chen ernst nehmen, immer wieder das Gespräch suchen und Inter­esse zeigen an den Hinter­grün­den der Probleme, aber auch gene­rell am Leben der Jugend­li­chen. Es geht dabei nicht darum, Lösun­gen vorzu­ge­ben oder einen idealen «Soll-Zustand» zu errei­chen, denn Jugend­li­che haben oft unter­schied­li­che Vorstel­lun­gen von ihren Zielen und den Wegen dorthin.

Krisen und Verän­de­run­gen benö­ti­gen Zeit. Auch bei den Jugend­li­chen ist Geduld gefragt, ebenso die Bereit­schaft, sich selbst und anderen – einschliess­lich Freun­den – zuzu­mu­ten. Jugend­li­che haben manch­mal Angst, ihren Freun­den zur Last zu fallen. Freund­schaft bedeu­tet aber gerade, fürein­an­der da zu sein und einan­der zu unter­stüt­zen.

Sich profes­sio­nelle Hilfe zu holen, ist keine Schwä­che, sondern Zeichen für einen sinn­vol­len Umgang mit Heraus­for­de­run­gen.

Wie wichtig ist eine Thera­pie oder Bera­tung während dieses Prozes­ses?
Professionelle Unter­stüt­zung, sei es in Form von Bera­tung oder Thera­pie, kann während einer Jugend­krise äusserst hilf­reich sein. Fach­leute bieten eine neutrale Perspek­tive und können Jugend­li­chen und ihren Fami­lien helfen, die Krise besser zu verste­hen und zu bewäl­ti­gen. Sie können offen und unvor­ein­ge­nom­men Zuver­sicht vermit­teln, die Ressour­cen der Jugend­li­chen akti­vie­ren und sie zu einem Perspek­ti­ven­wech­sel anregen. Oft können profes­sio­nelle Thera­peu­ten oder Berater Stra­te­gien und Werk­zeuge vermit­teln, um die Krise zu bewäl­ti­gen und posi­tive Verän­de­run­gen herbei­zu­füh­ren. Sich profes­sio­nelle Hilfe zu holen, ist keine Schwä­che, sondern Zeichen für einen sinn­vol­len Umgang mit Heraus­for­de­run­gen.

Was raten Sie Jugend­li­chen, die gerade eine psycho­so­ziale Krise durch­ma­chen, und ihren Fami­lien?
Die belas­ten­den Erfah­run­gen und Heraus­for­de­run­gen dauer­haft mit sich selber auszu­ma­chen, ist in der Regel nicht die beste Lösung. Es ist entschei­dend, sich in einer Krise zu öffnen und Unter­stüt­zung zu suchen. Man ist nicht allein und es ist normal, in solchen Situa­tio­nen Hilfe anzu­neh­men. Offene Kommu­ni­ka­tion und das Teilen von Gedan­ken und Gefüh­len können bei der Bewäl­ti­gung der Krise unter­stüt­zend sein.

Krisen sind Teil des Lebens. Sie bieten die Möglich­keit, persön­lich zu wachsen. Es ist in Ordnung, Hilfe von der Familie, von Freun­den oder profes­sio­nel­len Fach­leu­ten anzu­neh­men. Betrof­fene Jugend­li­che sollten sich und ihren Lieben die Zeit geben, die sie benö­ti­gen, um die Krise zu über­win­den. Gemein­sam können sie gestärkt aus dieser Erfah­rung hervor­ge­hen und neue Wege finden, um mit zukünf­ti­gen Heraus­for­de­run­gen umzu­ge­hen.

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