Eltern in Trennung

Kindesanhörung vor Gericht: Mitreden dürfen, wenn Eltern sich trennen

Kinder haben das Recht, bei jeder wich­ti­gen Entschei­dung ange­hört zu werden, die ihre Situa­tion betrifft. So auch bei einer Schei­dung ihrer Eltern. Durch die Kindes­an­hö­rung erhal­ten Kinder eine Gele­gen­heit, ihre Wünsche und Bedürf­nisse mitzu­tei­len. Warum das wichtig ist, wie eine Anhö­rung abläuft und was Eltern dabei beach­ten können.

Tipps für Eltern

  • Reden Sie offen und alters­ge­recht mit Ihrem Kind über die Möglich­kei­ten der Betei­li­gung und den Ablauf.
  • Geben Sie dem Kind die Sicher­heit, dass seine Meinung wichtig und wert­voll ist.
  • Lassen Sie ältere Kinder allen­falls alleine zur Anhö­rung gehen. 
  • Fragen Sie bei jünge­ren Kindern allen­falls eine aussen­ste­hende, neutrale Vertrau­ens­per­son als Begleit­per­son an.
  • Ermu­ti­gen Sie Ihr Kind, bei der Anhö­rung Fragen zu stellen, wenn es etwas nicht versteht.
  • Geben Sie dem Kind nach der Anhö­rung Zeit zur Verar­bei­tung. Seien Sie aber verfüg­bar, wenn es Sie braucht.

Warum Kinder zur Anhö­rung einge­la­den werden

Kinder haben ein Recht darauf, bei wich­ti­gen Themen einbe­zo­gen und mit ihren Bedürf­nis­sen ernst genom­men zu werden. So auch bei der Schei­dung ihrer Eltern (Art. 298 ZPO). Es ist wichtig, dass Kinder diese Möglich­keit haben, denn sie sind von den neuen Fami­li­en­ver­hält­nis­sen meist in beson­de­rem Masse betrof­fen. Mit der Anhö­rung erhal­ten sie eine Gele­gen­heit, ihre Wünsche und Bedürf­nisse mitzu­tei­len. Rich­te­rin­nen und Richter können sich so ein eigenes Bild von der Situa­tion machen und die Entschei­dungs­fin­dung möglichst nach dem indi­vi­du­el­len Wohl des Kindes ausrich­ten.

Die Anhö­rung trägt in der Regel zur Entlas­tung des Kindes bei, da es sich ernst genom­men fühlt und dadurch in seinem Selbst­wert gestärkt wird. Es erhält Erklä­run­gen und kann sich so mit seiner Situa­tion ausein­an­der­set­zen, sich auf anste­hende Verän­de­run­gen besser einstel­len oder bereits erfolgte besser verste­hen.

Wer zur Anhö­rung einge­la­den wird

In der Regel erhal­ten alle Kinder ab unge­fähr sechs Jahren vom Gericht eine Einla­dung zur Anhö­rung, per Brief an das Kind oder tele­fo­nisch. Dies gilt bei einer Tren­nung, während des Schei­dungs­ver­fah­rens, bei der Schei­dung sowie auch bei einem Eheschutz­ver­fah­ren. Kinder werden auch dann zur Anhö­rung einge­la­den, wenn die Eltern bereits eine gute Lösung bezüg­lich Wohn­form, Kindes­un­ter­halt etc. gefun­den haben. Es sei denn, wich­tige Gründe spre­chen dagegen.

Wie eine Anhö­rung abläuft

Die Einla­dung zur Anhö­rung enthält einen Termin­vor­schlag. Das Kind darf die Einla­dung aber auch ableh­nen, wenn es nicht ange­hört werden möchte. An diesem Termin führen der zustän­dige Richter, die Rich­te­rin oder eine andere Fach­per­son ein Gespräch mit dem Kind. Dieses dauert zwischen 30 und 60 Minuten und findet ohne das Beisein der Eltern statt.

Im Gespräch wird dem Kind zum einen erklärt, was bisher mit den Eltern bespro­chen, geplant oder entschie­den worden ist und welche Entschei­dun­gen bevor­ste­hen. Zum andern wird die Meinung des Kindes einge­holt. Das Kind kann sich unter Umstän­den auch durch Spielen oder Zeich­nen ausdrü­cken. Seine Antwor­ten werden proto­kol­liert und flies­sen in den Entschei­dungs­pro­zess ein. Kinder haben am Ende das Recht, Äusse­run­gen aus dem Proto­koll strei­chen zu lassen. Beispiels­weise wenn sie fürch­ten, damit einen Eltern­teil zu verlet­zen.

Was die Inhalte einer Anhö­rung sind

Die Bedürf­nisse des Kindes sind die wich­tigs­ten Inhalte der Anhö­rung. Beispiels­weise wo es wohnen möchte, was ihm in der Frei­zeit wichtig ist und wie sein Kontakt zu beiden Eltern­tei­len zukünf­tig gestal­tet werden kann. Es erhält die Gele­gen­heit, seine Situa­tion zu schil­dern und seine Meinung zu äussern.

Welchen Einfluss hat die Kindes­an­hö­rung auf den Entscheid?

Die Meinung und Wünsche des Kindes flies­sen in die Entschei­dungs­fin­dung des Gerichts ein. Das Gericht entschei­det unter Berück­sich­ti­gung aller Aspekte. Es ist wichtig, dass das Kind im Anschluss alters­ge­recht infor­miert wird, wie die Entschei­dungs­fin­dung erfolgt ist. Gerade auch dann, wenn das Gericht sich gegen die Wünsche des Kindes entschie­den hat.


Einschät­zung einer Psycho­lo­gin und kjz-Exper­tin

Simone Gruen-Müller ist Kinder- und Jugend­psy­cho­the­ra­peu­tin und Erzie­hungs­be­ra­te­rin im kjz Affol­tern am Albis. In ihren Sprech­stun­den hat sie schon viele Eltern in Tren­nung und Schei­dung beglei­tet. Ihre Einschät­zung zur Kindes­an­hö­rung.

Frau Gruen-Müller, warum ist es wichtig, dass Kinder mit der Kindes­an­hö­rung eine Gele­gen­heit bekom­men, bei der Tren­nung ihrer Eltern mitzu­re­den?
Kinder sind immer stark mitbe­trof­fen, wenn sich ihre Eltern trennen. Es ist deshalb wichtig, auch ihre Sicht einzu­be­zie­hen. Die Kindes­an­hö­rung hat genau das zum Ziel: Die Meinung und Bedürf­nisse der Kinder ernst zu nehmen und nicht über ihre Köpfe hinweg zu entschei­den. So soll verhin­dert werden, dass sich ein Kind den bevor­ste­hen­den Verän­de­run­gen macht­los ausge­setzt fühlt. Auch kann dadurch nach Lösun­gen gesucht werden, wie auf unter­schied­li­che Bedürf­nisse unter Geschwis­tern Rück­sicht genom­men werden kann.

Was sind die Heraus­for­de­run­gen dabei?
Die Idee dahin­ter ist wichtig und gut. Damit sie gelingt, braucht ein Kind aller­dings ein biss­chen Übung im Mitre­den. Je geübter es darin ist, seine Gefühle, Bedürf­nisse und Wünsche mitzu­tei­len, desto einfa­cher wird es ihm auch in der Situa­tion einer Kindes­an­hö­rung fallen. Ausser­dem ist der Erfolg der Anhö­rung immer abhän­gig davon, wie geschult und fein­füh­lig die ausfüh­rende Person ist und ob sie die Sensi­bi­li­tät für den Kontext des Kindes aufbrin­gen kann. Stimmen diese Rahmen­be­din­gun­gen nicht, ist ein Kind schnell über­for­dert. Schlimms­ten­falls meint es, es müsse hier die Verant­wor­tung für den Entscheid über­neh­men.

Wird ihnen damit unter Umstän­den zu viel zuge­mu­tet?
Unter Umstän­den ja. Gerade jüngere Kinder können Zusam­men­hänge noch nicht verste­hen. Werden sie beispiels­weise gefragt, ob sie gleich viel Zeit mit beiden Eltern­tei­len verbrin­gen möchten, stimmen die meisten zu. Sie können sich dabei aber nicht vorstel­len, was das im Alltag genau bedeu­ten würde, da sie Konse­quen­zen für sich selbst und für die Eltern nicht abschät­zen können. Verän­dert das Gericht darauf­hin die ganze Besuchs­re­ge­lung, wird allen­falls etwas vorge­schrie­ben, was für das Kind zu viel Unruhe und Wechsel bedeu­tet. Hinzu kommt, dass Kinder leicht in Loya­li­täts­kon­flikte geraten und es beiden Eltern recht machen möchten. So sind gerade bei hoch­strit­ti­gen Tren­nun­gen die Heraus­for­de­run­gen viel­fach zu gross.

Was können Eltern dazu beitra­gen, dass die Anhö­rung den gewünsch­ten Effekt hat und sich für ihre Kinder gut anfühlt?
Die Eltern können fein­füh­lig, aber offen mit ihrem Kind über die Möglich­kei­ten der Betei­li­gung und den Ablauf spre­chen und ihm das Gefühl geben, dass seine Meinung wichtig und wert­voll ist. Sie können es auch ermu­ti­gen, Fragen zu stellen, wenn es etwas nicht versteht. Ganz wichtig ist die Bestär­kung darin, dass es seine Meinung frei sagen darf, ohne dass das Einfluss darauf hat, wie lieb die Eltern das Kind haben. Auch soll das Kind nicht meinen, es müsse die Verant­wor­tung für einen Entscheid über­neh­men. Diese liegt ganz klar bei den Eltern und beim Gericht.

Ältere Kinder kann es entlas­ten, wenn sie alleine zur Anhö­rung gehen dürfen. Bei jünge­ren Kinder kann eine aussen­ste­hende, neutrale Vertrau­ens­per­son als Begleit­per­so­nen hilf­reich sein. Wichtig ist es, dem Kind nach der Anhö­rung Raum zur Verar­bei­tung zu geben, aber verfüg­bar zu sein, wenn es die Eltern braucht.

Simone Gruen-Müller ist Erziehungsberaterin im kjz Affoltern. Sie ist Fachpsychologin SBAP in Kinder- und Jugendpsychologie, Kinder- und Jugendpsychotherapeutin SBAP und Spezialistin bei OHG-Befragungen.

Simone Gruen-Müller

Simone Gruen-Müller ist Erziehungsberaterin im kjz Affoltern. Sie ist Fachpsychologin SBAP in Kinder- und Jugendpsychologie, Kinder- und Jugendpsychotherapeutin SBAP und Spezialistin bei OHG-Befragungen. Während vieler Jahre war sie im schulpsychologischen Dienst, in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie in der eigenen Praxis tätig.