Livio hatte Sorgen, dass er den Anschluss verpasst
Kinderaugen sehen die Welt anders. Doch gerade für Kinder und Jugendliche steht die Welt seit Wochen Kopf. Wie sie den Lockdown erleben; was ihre Ängste und Gedanken sind und worauf sie sich in der Zeit nach Corona freuen – davon erzählen Kinder und Jugendliche in der Portraitserie «Unser Augenblick».
Ich bin Livio (16) Ich wohne zusammen mit meinem Bruder Fadri (14) und meiner Schwester Bigna (10). Meine Eltern wohnen immer abwechslungsweise bei uns; entweder meine Mutter oder mein Vater.
Livio, wie hast Du vom Lockdown erfahren?
Vom Corona-Virus habe ich grösstenteils über die Medien erfahren. Auf Instagram kamen überall Posts mit Memes, so Spässen über Corona. Niemand hat die Sache wirklich ernst genommen, bis wir dann von der Schule ein Mail bekommen haben. Zuerst fand ich es toll, nicht mehr früh aufstehen zu müssen! Aber ich muss sagen: Mit der Zeit finde ich es nicht mehr so cool.
Wie sieht ein typischer Corona-Tag bei dir aus?
Ich stehe um 8 Uhr auf und mache mir mein Morgenessen. Wir essen meist am Wochenende zusammen, sonst jeder wie es gerade aufgeht. Am Vormittag habe ich Klassenmeeting, dann arbeite ich in meinem Zimmer an den Aufträgen, die wir bekommen. Nach dem Mittagessen mache ich relativ schnell meine Trainings-Einheit. Ich spiele in der U20-Elit Eishockey Junioren-Liga, und wir haben vom Verein eine Trainingseinheit pro Tag vorgeschrieben. Das ist Joggen oder Kraftübungen, Sprints oder Intervalltraining und dauert ungefähr eine Stunde. Meist bin ich noch eine halbe Stunde auf einem Kunsteisplatz mit einem Tor, wo ich schiessen kann. Später entspanne ich ein bisschen, schaue Fernsehen oder verbringe Zeit mit der Familie.
Ziehst du das Training durch? Alleine?
Ja. Wir werden auch überwacht. Wir haben so einen Polargurt für unsere Herzfrequenz und einen Team-Account, wo die Trainer schauen können, was wir gemacht haben. Aber ich denke, die meisten würden es auch sonst machen. Viele bei uns im Team haben Ziele. Ich würde schon gern mal einen Profivertrag haben und vom Eishockey leben können.
Was hat sich am meisten verändert zu Hause?
Wir müssen einiges mehr machen im Haushalt. Vorher bin am Morgen aus dem Haus und kam am Abend nach dem Training zurück. Da musste ich nicht viel machen. Jetzt sind wir alle hier, es gibt mehr Dinge zu erledigen und da gibt es manchmal Streit zwischen den Kindern. Jeder von uns sagt, dass er am meisten macht.
Was ist der grösste Konflikt in deiner Familie?
Nochmals: der Haushalt, und dass man öfters gestört wird beim Training oder bei der Schule. Auch meine Mutter wird bei der Arbeit öfters gestört, und dann gibt es manchmal Streit.
Was vermisst du am meisten?
Vor allem, dass ich meine Kollegen fast nie sehen kann. Mit den meisten bin ich im Team und wir verbringen viel Zeit zusammen, auch in der United School of Sports. Während diesen Wochen war ich nur einmal mit einem Freund am Greifensee. Sonst hatte ich eigentlich nie Kontakt, ging auch am Abend nicht raus. Schwierig war auch das Training … Ich finde die Motivation schon, aber ich muss sagen, ich muss schon ein bisschen kämpfen, während ich normalerweise unbedingt ins Training will.
Was ist in diesen Wochen für dich das Schlimmste?
Wir wurden mitten während der Playoffs gestoppt. Wir hatten es bis ins Halbfinal geschafft, waren 2:0 hinten in der Serie, dann haben wir aber im Viertelfinal 3:2 gewonnen! Weil wir ein recht gutes Team waren, hätten wir wirklich Chancen gehabt. Doch genau zu diesem Zeitpunkt passierte der Lockdown! Die Saison wurde abgebrochen. Da waren wir schon sehr enttäuscht.
Was war in diesen Wochen schön?
Ich habe gemerkt, dass es ab und zu gut tut, abschalten zu können. Sonst war ich immer unterwegs und hatte viel los. Jetzt kann ich mich auch mal am Mittag eine halbe Stunde hinlegen und schlafen. Das hat schon auch gut getan.
Hattest du jemals Angst?
Ganz am Anfang hatte ich Sorgen, dass ich den Anschluss verpasse. Aber es ist glaubs nicht so schlimm. Man muss es ein bisschen positiv anschauen. Weil man jetzt Zeit hat für sich selber und auch individuellere Sachen trainieren kann. Ich versuche es positiv zu sehen.
Hast du eine Erfahrung gemacht, die für dich auch nach Corona wichtig sein wird?
Ich denke, dass man das nächste Mal vielleicht etwas vorsichtiger ist, wenn so etwas passiert. Am Anfang hat fast niemand das Virus ernst genommen. Wahrscheinlich könnte man so etwas wie jetzt auch verhindern, wenn man am Anfang etwas vorsichtiger gewesen wäre. Persönlich habe ich gemerkt, wie hilfreich es ist, einen Lehrer oder Trainer zu haben. Und wie wichtig Freunde sind – und dass man Zeit mit ihnen verbringen kann.