5 Erkenntnisse aus der Forschung

Jugendkriminalität – Mehr als neun von zehn Jugendlichen kommen nicht mit dem Gesetz in Konflikt

Die Jugend hat den schlechten Ruf, sie werde immer gewalttätiger. Das stimmt so aber nicht, sagt Dirk Baier, Professor für Delinquenz und Kriminalprävention. Anstiege bei der Gewalt will er nicht beschönigen, sie sollen aber auch nicht über die positiven Tatsachen hinwegtäuschen.

Prof. Dr. Dirk Baier leitet das Institut für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften ZHAW und forscht seit Jahren zur Jugend- und Gewaltkriminalität. Fünf Erkenntnisse aus der Forschung, die ihm besonders wichtig sind:

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Die Jugend ist immer besser als ihr Ruf
In den Medien wird häufig über Jugendgewalt und -kriminalität berichtet und der Eindruck entsteht, dass wir es mit einem grossen Problem zu tun haben. Die Wahrheit ist: Die Jugendkriminalität stieg zwar tatsächlich in den letzten Jahren an. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass mehr als neun von zehn Jugendlichen nicht mit dem Gesetz in Konflikt kommen. Sehr viele junge Menschen entwickeln sich toll, engagieren sich in verschiedenen Bereichen, suchen in positiver Weise nach Herausforderungen.

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Die Mehrheit der Jugendkriminalität ist bagatellhaft
Die häufigsten Delikte im Jugendalter sind Ladendiebstahl, Sachbeschädigung und Tätlichkeit, also eine Einwirkung auf Körper oder Gesundheit eines Menschen ohne schädigende Folgen. Schwere Gewalt, etwa mit Messern ausgeführt, gibt es, sie ist aber ausgesprochen selten. Die Jugendkriminalität, wenn sie denn stattfindet, ist mehrheitlich bagatellhaft. Das heisst, sie richtet keine hohen Schäden an.

Sehr viele junge Menschen entwickeln sich toll und suchen in positiver Weise nach Herausforderungen.

Prof. Dr. Dirk Baier

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Wenn Kriminalität verübt wird, ist sie episodenhaft
Bei Jugendlichen ist die sogenannte Spontanbewährung die Regel. Dies bedeutet, dass junge Menschen höchstens ein paar Mal etwas Illegales tun und dann von selbst damit aufhören. Die Schule, die Berufsausbildung, die intime Beziehung usw. werden schnell viel wichtiger im Leben eines jungen Menschen und bringen dieses wieder auf die richtige Bahn.

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Harte Sanktionen tragen eher zu einer kriminellen Karriere bei
Der bagatell- und episodenhafte Charakter von Jugendkriminalität bedeutet, dass wir auf Gesetzesübertretungen nicht mit harten Sanktionen reagieren sollten. Diese stigmatisieren und können erst recht zu einer kriminellen Karriere beitragen. Das Schweizer Modell der Jugendstrafe wird diesen Überlegungen absolut gerecht; der Freiheitsentzug als schwerste Sanktion ist hier überhaupt erst ab dem sechzehnten Lebensjahr möglich und generell wird versucht, auf Massnahmen zurückzugreifen, die unterstützend auf die Entwicklung eines jungen Straftäters oder einer Straftäterin wirken.

Die Schule, die Berufsausbildung, die Beziehung usw. werden schnell viel wichtiger im Leben eines jungen Menschen.

Prof. Dr. Dirk Baier

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Es braucht Engagement, nicht Verruf
Die bislang genannten Punkte sollen nichts beschönigen. Es gibt junge Menschen, die sehr früh mit Kriminalität beginnen, die zu Intensivtätern und Intensivtäterinnen werden, die auf Sanktionen nicht wie gewünscht reagieren. Für diese braucht es zwei Dinge: Einerseits eine gewisse gesellschaftliche Toleranz; auch hier sollten wir davon absehen, sie möglichst lang wegzusperren. Andererseits viel professionelles Engagement – von Sozialarbeitenden, Psychologinnen, Mentoren und anderen Vertrauenspersonen.