Herausforderung Familienmanagement

Ständig denken, planen und koordinieren: Was «Mental Load» für Eltern bedeutet

Bei «Mental Load» geht es um die Denk­leis­tung, die täglich von Eltern gefor­dert ist, wenn sie Kinder, Haus­halt und Arbeit im Alltag koor­di­nie­ren. Diese Denk­leis­tung unter­ein­an­der aufzu­tei­len, ist nicht einfach. Wissen­schaft­le­rin Filomena Sabatella zeigt mögli­che Lösun­gen auf. 

Eltern planen konstant: Zmorgen, Znüni, Einkaufs­liste, zu kleine Gummi­stie­fel, Ersatz­klei­der, Kinder­ge­burts­tag, Fuss­ball­trai­ning, Zecken­imp­fung. Alles dreht sich im Kopf. Dabei wird oft unter­schätzt, dass hinter den zahl­rei­chen Punkten im Tages­pro­gramm ein noch viel grös­se­res Denk­ge­flecht steckt: Die Notwen­dig­keit der Aufga­ben muss über­haupt erst erkannt, konkrete Umset­zungs­schritte müssen geplant, Optio­nen abge­wo­gen, Prio­ri­tä­ten bestimmt und Entschei­dun­gen getrof­fen werden – ohne je den Über­blick zu verlie­ren. Es ist diese Denk­ar­beit, «Mental Load» genannt (zu Deutsch etwa «mentale Auslas­tung»), die Mütter und Väter im Alltag perma­nent unter Strom stehen lässt. Die Belas­tung kann gross sein und wird sie zu gross, wird man dauer­ge­stresst und dauer­ge­reizt.

Dr. Filomena Sabatella ist wissen­schaft­li­che Mitar­bei­te­rin am Psycho­lo­gi­schen Insti­tut der Zürcher Hoch­schule für Ange­wand­ten Wissen­schaf­ten (ZHAW) in Zürich. Sie umschreibt den Kern der Proble­ma­tik folgen­der­mas­sen:

Beim Mental Load geht es nicht darum, wer die Arbeit macht, sondern wer daran denkt, dass sie über­haupt ansteht. Selbst wenn Aufga­ben also abge­ge­ben werden können, ist man noch nicht vom Mental Load entlas­tet.

Die Belas­tung durch Mental Load ist konstant, unbe­zahlt und ohne gesell­schaft­li­che Aner­ken­nung. Vom Ausmass her ist sie aller­dings vergleich­bar mit einer Voll­zeit­stelle im Projekt­ma­nage­ment eines Gross­un­ter­neh­mens. Man muss ständig dran­blei­ben, es gibt immer wieder inten­sive Phasen (den Geburts­tag der Kinder, die Weih­nachts­zeit) und dann kommen nicht­vor­her­seh­bare Ereig­nisse dazu; die Kinder sind krank, die Betreu­ung fällt aus, ein Unfall in der Hektik des Gesche­hens oder ein ganzer Lock­down.

Den eigenen Mental Load abzu­ge­ben oder ihn jeman­dem zu über­tra­gen, ist nicht einfach. Man muss dafür die Verant­wor­tung komplett abgeben können – aber auch wollen. Das braucht bedin­gungs­lo­ses Vertrauen, sowohl in die Verläss­lich­keit als auch in die Quali­tät der Arbeit des anderen. Hier ist oft die Schwie­rig­keit, dass konkrete Vorstel­lun­gen bestehen, wie und wann was erle­digt werden muss. Müssen die Aufga­ben exakt nach dieser Vorstel­lung erfüllt werden, macht dies die perfekte Umset­zung für andere äusserst anspruchs­voll. Doch voll­stän­dig loszu­las­sen ist auch deshalb gar nicht so einfach, weil Mental Load bei aller Bean­spru­chung auch etwas Stär­ken­des an sich hat – und Stärke gibt man ungern her.

Wer den Mental Load trägt, ist in der Kapa­zi­tät einge­schränkt, sich auf die eigene Karriere oder sich selbst zu konzen­trie­ren. Dies wirkt sich vor allem in der Phase mit kleinen Kindern aus, denn je abhän­gi­ger die Kinder noch sind, desto mehr Mental Load steht an. Doch auch Teen­ager erfor­dern noch viel unsicht­bare Arbeit. Das Phäno­men betrifft übri­gens nicht ausschliess­lich Eltern; es tritt auch in Paar­be­zie­hun­gen ohne Kinder auf. Die Erwei­te­rung zu einer Familie kann schliess­lich dazu führen, dass bereits exis­tie­rende Ungleich­ver­tei­lun­gen zuneh­men.

Mental Load fällt unver­hält­nis­mäs­sig stark auf Frauen. Selbst wenn ein Partner zum Beispiel ein Kind zu einem Arzt­ter­min bringt, war es (im Moment noch) in der Regel die Part­ne­rin, die die Praxis zuvor ausge­sucht, den Termin gebucht, die Impf­aus­weise ausfin­dig und die Gesund­heits­bü­cher bereit­ge­legt und dem Partner gesagt hat, wohin er gehen soll.

Mental Load, ein «Frauen-Phäno­men»? Männern wird nach­ge­sagt, dass sie weniger voraus­schau­end planen, die Dring­lich­keit gewis­ser Aufga­ben weniger sehen und statt­des­sen klare Aufträge bevor­zu­gen – die aller­dings zuvor (von der Part­ne­rin) erdacht und formu­liert werden müssen. Dafür gibt es jedoch keine biolo­gi­sche Erklä­rung. Viel­mehr ist die Ursache in der lang­jäh­ri­gen veral­te­ten Rollen­ver­tei­lung zu suchen und in gesell­schaft­li­chen Normen, die sich nur langsam verän­dern. Dies mag ernüch­ternd klingen, aber immer­hin kann gesagt werden: Gegen biolo­gi­sche Fakto­ren lässt sich schwer ankämp­fen, gesell­schaft­li­che Struk­tu­ren und Rollen hinge­gen sind verän­der­bar. Je mehr wir also vom «es ist einfach so» wegkom­men, desto mehr Möglich­kei­ten der Verän­de­rung haben wir.

Welche Lösungs­an­sätze helfen?

Häufig wird gesagt, dass man akzep­tie­ren muss, wenn nicht beide Eltern­teile die anste­hen­den Aufga­ben auf gleiche Art und zur glei­chen Zeit angehen. Doch damit sei die Ursache des Problems noch nicht gelöst, meint Filomena Sabatella. Schliess­lich gehe es ja eben nicht um die Ausfüh­rung der Aufga­ben allein. Sie empfiehlt folgende Lösungs­an­sätze:

  • Das Problem offen kommu­ni­zie­ren. Kommu­ni­ka­tion ist der erste wich­tige Schritt, um die Mental-Load-Falle zu verlas­sen. Nehmen Sie sich Zeit und setzen Sie sich zusam­men hin, je nach Alter auch mit den Kindern. Die Anfor­de­run­gen des Mental Load kommen schliess­lich von der ganzen Familie, also dürfen auch alle an der Problem­lö­sung betei­ligt sein. Erläu­tern Sie, was Sie belas­tet und über­le­gen Sie gemein­sam, wo man Ihnen helfen könnte.
  • Das Problem quan­ti­fi­zie­ren. Niemand weiss genau, wie viel Zeit in «unsicht­bare» Aufga­ben inves­tiert wird. Ein erster Schritt ist daher, Unsicht­ba­res messbar zu machen, zum Bespiel indem man klar fest­hält, wie viel Zeit wofür aufge­wen­det wird – inklu­sive Mental Load. Dazu gehören neben der bezahl­ten Arbeit und der Zeit für die Kinder­be­treu­ung auch die Koor­di­na­tion der Termine, die Orga­ni­sa­tion von Geburts­tags­ge­schen­ken, das Einkau­fen der Kleider, die Feri­en­pla­nung, etc. Das mag am Anfang befremd­lich sein, aber das Resul­tat ist oft beein­dru­ckend. Und: verän­dern kann man nur, was messbar und somit sicht­bar ist.
  • Aufga­ben klar zuwei­sen. Dabei geht es nicht darum, dass ein Eltern­teil dele­giert und der andere ausführt. Viel­mehr soll die Verant­wor­tung für die komplette Umset­zung inklu­sive Daran-Denken verbind­lich zuge­teilt werden.
  • Verant­wor­tung über­neh­men respek­tive abgeben. Sind die Aufga­ben einmal zuge­wie­sen, bedeu­tet dies, dass der zustän­dige Eltern­teil die Verant­wor­tung dafür klar über­nimmt und der nicht zustän­dige Eltern­teil auch ebenso klar davon zurück­tritt. Nur so kann die Auftei­lung des Mental Load gelin­gen. Ist dieses Vorge­hen noch neu, schadet es viel­leicht zumin­dest anfäng­lich nicht, sich zwischen­durch das Bewusst­sein dafür gegen­sei­tig zu signa­li­sie­ren. Beispiels­weise indem man ab und zu markiert: Ich habe daran gedacht und habe die notwen­di­gen Schritte orga­ni­siert. Oder indem man die Türe im entschei­den­den Moment zumacht und damit zeigt: Ich gebe die Verant­wor­tung ab.

Filomena Sabatella

Dr. Filomena Sabatella ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) am Institut für Angewandte Psychologie und Mitglied der Fachgruppe Klinische Psychologie und Gesundheitspsychologie. Zu ihren Arbeits- und Forschungsschwerpunkten gehören Prävention und Früherkennung psychischer Störungen bei Jugendlichen, durch die Geburt bedingte Traumata und Mental Load im Familienkontext.