Bei den Mütter- und Väterberaterinnen (MVB) unserer kjz können Sie die Themen besprechen, die Ihnen nach der Geburt Ihres Kindes am Herzen liegen.
Zum AngebotMutter werden – und sich in der neuen Rolle zurechtfinden
Mit der Geburt eines Kindes öffnet sich eine ganz neue Welt. Wie gelingt es, sich in diesem Neuland zurechtzufinden? Nadine Lamparter ist Mütter- und Väterberaterin im kjz Dübendorf und meint: Nicht alles ganz genau im Voraus zu planen, mache den Übergang manchmal einfacher.
Nadine Lamparter, Mutter zu werden bringt so viel Neues mit sich. Welche Themen kommen in Ihren Beratungen dazu besonders oft auf?
Im heutigen Zeitgeist bin ich oft mit der Idee konfrontiert, dass man alles rund um Baby und Elternschaft ganz genau vorbereiten könne: Angefangen bei der Geburt an sich bis hin zum exakten Ablauf des beruflichen Wiedereinstiegs. Die Fülle von Information in den Medien bestärken diese Idee zusätzlich. Doch das täuscht! Jedes Baby ist anders und bringt sein eigenes, nicht planbares Temperament mit sich. Ist es etwa ein Kind, das sehr viel weint, kann man schon zu Beginn alle Pläne über den Haufen werfen. Manche Mütter sind dann sehr überrascht, wenn etwas nicht so funktioniert, wie gedacht, oder gar alles anders kommt. So ist dieser Gedanke auch oft Thema in meinen Beratungen: «Ich habe es mir ganz anders vorgestellt.» Insbesondere für Frauen, die sich ein zielorientiertes, klar strukturiertes Leben davor gewohnt waren, kann dieses Gefühl sehr belastend sein.
Selbst Frischverliebte brauchen ab und zu Abstand voneinander. Mit einem Säugling geht das nicht so einfach.
Was haben sich Mütter zuvor vielleicht anders vorgestellt?
Das ist ganz unterschiedlich. Oft überrascht sie, wie viel Zeit ein Baby braucht. Auch die schlaflosen Nächte können überrumpeln oder die Muttergefühle, die sich anders anfühlen als vorgestellt. Das anzusprechen ist für viele Mütter belastend. Oft schämen sie sich gar dafür. Dabei sind doch all diese Gefühle normal! Eine befreundete Kinderpsychiaterin sagte einmal, die Beziehung zu einem Säugling bringe eine Intensität mit sich, wie es nicht einmal die erste Liebe tue. Doch selbst Frischverliebte brauchen ab und zu Abstand voneinander. Mit einem Säugling geht das nicht so einfach. Er braucht immer jemanden an seiner Seite und bedingungslose Liebe. Da ist es doch völlig verständlich, dass diese neue Beziehung auch Stress und Belastung bedeuten kann.
Warum denken Sie, ist es für frischgewordene Mütter so schwierig, über negative Gefühle zu reden?
Das Bild vom Muttersein ist stark geprägt von eigenen Wünschen und Vorstellungen: So möchte ich als Mutter sein, so möchte ich diese Rolle ausführen, das möchte ich anders machen als meine Eltern. Hinzu kommen tief verankerte gesellschaftliche Vorstellungen, wie eine «gute Mutter» zu sein hat. Mich erstaunt immer wieder, wie unverrückbar dieses Idealbild von Generation zu Generation weitergegeben wird – unabhängig von sozialer Schicht und Ausbildung. Kommen dann negative Gefühle auf, getrauen sich viele Mütter kaum, darüber zu reden – aus Angst, dadurch nicht die Mutter zu sein, die sie sich vorgenommen haben oder sein sollten. Aber es ist wichtig, dass diese Gefühle ausgesprochen werden. Denn sie gehören zum Elternsein dazu.
Es hilft, wenn man sich seiner eigenen Wünsche und Vorstellungen bewusst ist, aber weiss, dass auch alles anders kommen kann.
Tauschen sich Mütter denn genug aus?
Von der jungen Generation hat man den Eindruck, dass sie so offen, vernetzt und kommunikativ ist und sich auch getraut, schwierige Sachen anzusprechen. Doch in unseren Beratungen stellen wir oft fest, dass viele meinen, nur ihr Kind schlafe nicht oder weine viel. Junge Mütter scheinen wenig über die Schwierigkeiten zu reden, die das Muttersein mit sich bringt! Das ist für mich immer noch sehr erstaunlich und ich kann mir den Grund dafür nicht genau erklären. Viele scheinen die Idee tief verinnerlicht zu haben, dass es ihnen mit einem Kind gutzugehen habe. Sie sind dann richtiggehend erleichtert, wenn ich in meinen Beratungen ohne Umschweife nach möglichen Schwierigkeiten frage. Vielleicht liegt es auch daran, dass Elternschaft heute eine ganz andere Bedeutung hat als noch vor einigen Jahrzehnten: Das Kind steht im Mittelpunkt und nimmt in der Kleinfamilie einen besonderen Platz ein. Die Ansprüche an die Verwirklichung der Elternschaft sind dadurch so hoch, dass auch die Versagensängste entsprechend gross sind.
Was hilft, mit diesen hohen Erwartungen an das Muttersein umzugehen?
In meinen Beratungen merke ich, dass Mütter, die sich tendenziell etwas in ihre Mutterschaft «reinplumpsen» lassen, mit Unerwartetem manchmal fast besser umgehen können, als jene, die alles genau durchplanen. Ich denke deshalb, dass eine offene Herangehensweise einiges vereinfacht; wenn man sich also seiner eigenen Wünsche und Vorstellungen bewusst ist, aber dennoch weiss, dass auch alles anders kommen kann. Ich denke da an ein Sprichwort von Henry Miller: «Leben ist das, was uns zustösst, während wir uns gerade etwas ganz anderes vorgenommen haben.»
Die Idee ist weitverbreitet, dass man ja jetzt ein Kind hat und nichts mehr vermissen darf. So ist es aber nicht.
Welche weiteren Tricks können helfen, mit den Anforderungen klarzukommen?
Auch eine grosse Hilfe finde ich den Begriff «Good Enough Mothering» von Donald Winnicot. Denn manchmal ist «gut genug» vollkommen ausreichend. Allgemein sollte man in meinen Augen in anspruchsvollen Zeiten grosszügig mit sich selbst sein. Wenn das Kind beispielsweise schläft, darf sich die Mutter ruhig etwas ausruhen. Es ist nicht nötig, in dieser Zeit den ganzen Haushalt zu bewältigen. Helfen kann auch, sich immer wieder einmal zu fragen: Wie geht es mir im Moment? Fühle ich mich wohl? Habe ich Freude im Alltag? Und dann den Mut haben, zu sagen: «Jetzt wird es mir zu viel. Es geht mir nicht gut. Ich vermisse im Moment das oder brauche jenes.» Die Idee ist weitverbreitet, dass man ja jetzt ein Kind hat und nichts mehr vermissen darf. So ist es aber nicht.
Wie kann das Umfeld beim Zurechtfinden in der neuen Rolle unterstützen?
Indem die Nahestehenden ein offenes Ohr haben, Verständnis zeigen, Geduld haben und einfach «da sind». Und indem sie zurückhaltend sind mit Ratschlägen, wenn sie nicht aktiv danach gefragt werden. Ausserdem darf auch das Umfeld die vorher genannten Fragen stellen – und dabei auch den Mut haben, Beobachtungen feinfühlig, aber direkt anzusprechen. Das braucht manchmal Überwindung, kann aber eine grosse Erleichterung sein.
Auch die Erwartungen an die Vaterrolle sind hoch. Wie können Frauen ihre Partner hierbei unterstützen?
Ich bin froh um diese Frage, denn oft geht vergessen, dass sich auch die Männer in der neuen Vaterrolle zurechtfinden müssen. Und richtig, auch hier sind die Ansprüche hoch: Väter sollten fürsorglich sein und sich in die Familie einbringen, aber auch Versorger sein, der starke Part usw. Hinzu kommt, dass sie manchmal in all diesen Anforderungen wenig Freiraum haben, die Beziehung zum Kind auf ihre eigene Art zu gestalten. Dann nämlich, wenn die Mütter die Rolle einer «Gatekeeperin» übernehmen, im Sinne von «Nur ich weiss, was für unser Kind gut ist und auf welche Art dies gemacht werden soll.» Das kann für Väter sehr belastend sein und den Druck weiter erhöhen. Helfen kann hier die gegenseitige Anerkennung, also dass sich die elterliche Fürsorge ganz unterschiedlich gestalten kann und beide Herangehensweisen für das Kind bereichernd sind.
Was kann dabei helfen, dass die Mutterrolle einen nicht zu fest einnimmt und allenfalls überfordert?
Die Mutterrolle wird einen stark einnehmen. Das ist einfach so. Es ist ein Ereignis im Leben, das viele Veränderungen mit sich bringt – die Karten werden ganz neu gemischt. Es wird viele wundervolle Momente geben, aber auch solche, die sehr anstrengend sind. Das Zurechtfinden braucht deshalb vor allem eines: Zeit. Es kann sein, dass das für das Umfeld nicht immer nachvollziehbar ist, allenfalls auch zu Frust führt, auf beiden Seiten. Die einen Mütter sind froh, einmal eine Pause vom Kind zu haben, andere lassen sich gerne vom Mutter-Kind-Kosmos einnehmen. So kann es in all diesen Herausforderungen auch passieren, dass Beziehungen zum nahen Umfeld vernachlässigt werden, seien es Freundschaften oder gar die eigene Partnerschaft. Denn Beziehungspflege kann ebenfalls anstrengend sein! Doch ich denke, miteinander offen über die veränderten Bedürfnisse zu reden, schafft Verständnis auf beiden Seiten.