Elternbildungstag 2023 | Workshop «Nein aus Liebe»

Die Bedeutung des Nein-Sagens für eine gesunde Eltern-Kind-Beziehung

Am kanto­na­len Eltern­bil­dungs­tag vom 17. Juni konnten die Teil­neh­men­den auch in diesem Jahr wieder span­nende Work­shops besu­chen – zum Beispiel denje­ni­gen mit Sonja Affol­ter. Die fami­ly­lab-Semi­nar­lei­te­rin und vier­fa­che Mutter thema­ti­sierte die Wich­tig­keit des Nein-Sagens für das Zusam­men­le­ben in der Familie und für die Entwick­lung der Kinder. Im Inter­view verrät sie, was passie­ren würde, wenn Eltern zu ihren Kindern nie Nein sagen würden.

«Nein, ich möchte nicht, dass du da rauf klet­terst» oder «Nein, ich möchte nicht, dass du so laut Musik hörst» – Sonja Affol­ter, wie wichtig ist es, dass man in der Erzie­hung der Kinder Nein sagt?
Die Bedeu­tung des Nein-Sagens ist enorm. Wenn ich zu jeman­dem Nein sage, sage ich in diesem Moment immer Ja zu mir selbst. Es ist eine liebe­volle Antwort gegen­über den Kindern, denn wenn ich zu mir Ja sage, über­nehme ich Verant­wor­tung für mich. Für die Kinder ist dies eine Wohltat, da sie einfach Kinder sein können, ohne sich um mich kümmern zu müssen. Sie müssen nicht zwischen den Zeilen lesen. Sie merken auch, dass ich mich als Mutter selbst ernst nehme und meine Grenzen respek­tiere. Ich habe aber auch bemerkt, dass das Nein-Sagen für Eltern oft eine grosse Heraus­for­de­rung ist. Es ist das Gefühl, dass man dem Kind alles Glück der Welt wünscht und Angst hat, dieses Glück zu beein­träch­ti­gen, indem man Nein sagt.

Wie schafft man es, eine Balance zwischen Strenge und Nach­gie­big­keit zu finden?
Ich denke, dass man nicht der Grenzen willen Grenzen setzen muss, denn diese ergeben sich notwen­di­ger­weise im Zusam­men­le­ben. Ich als Mutter habe Grenzen, mein Kind hat Grenzen, und daraus ergibt sich der Umgang mitein­an­der. Diese genannte Frage erüb­rigt sich, wenn ich entlang meiner eigenen Grenzen Ja oder Nein sage. Diese Grenzen können sich auch verschie­ben, wenn ich beispiels­weise einen stren­gen Tag hatte und nicht möchte, dass mein Kind laut Musik hört. An einem anderen Tag liegt dies gut drin. Beim Nein-Sagen achte ich auch auf die Reak­tion meines Kindes. Denn es gibt ulti­ma­tive Neins, bei denen es kein Verhan­deln gibt, aber es gibt auch Situa­tio­nen, in denen ich merke, dass meinem Kind etwas wich­ti­ger ist, als ich es einge­schätzt habe und dann gehen wir in einen Dialog.

Es ist wichtig, dass mein nonver­ba­les und verba­les Verhal­ten über­ein­stim­men, um das Kind nicht zu verwir­ren.

Was wäre, wenn man nie Nein sagt und einfach immer alles zulässt?
Das wäre eine Kata­stro­phe, denn wenn ich nie Nein sage, sage ich auch nie Ja zu mir. Wenn man zum Beispiel sehr harmo­nie­be­dürf­tig ist, richtet man sich immer nach anderen. Dadurch sammelt sich immer mehr Frust an, bis man irgend­wann explo­diert. Es ist also nicht gut für mich selbst. Zudem verhin­dere ich damit, dass mein Kind eine authen­ti­sche Bezie­hung zu mir aufbauen kann und erfährt, wer ich bin. Und gerade in der Puber­tät, wenn sich die Eltern-Kind-Bezie­hung grund­sätz­lich verän­dert, wird es dann wahr­schein­lich schwie­rig. Wenn ich also nie Nein sage, besteht keine echte Bezie­hung und das wäre sehr schade.

Gibt es Unter­schiede in Bezug auf das Alter der Kinder?
Wenn die Kinder noch jung sind, ist es wichtig, dass mein nonver­ba­les und verba­les Verhal­ten über­ein­stim­men, um das Kind nicht zu verwir­ren. Die Mimik ist sogar noch wich­ti­ger als was ich sage, wenn ich ein kleines Kind habe. Dem sind sich viele nicht bewusst. Am Anfang ist auch wichtig, konse­quent zu sein, indem ich zu densel­ben Dingen Nein sage, damit das Kind meine Werte verin­ner­li­chen kann. Nach ein paar Jahren haben Kinder diese Werte jedoch verin­ner­licht, und man muss nicht immer wieder zu diesen grund­sätz­li­chen Dingen Nein sagen. Bei Fragen inter­es­siert es mich, wieso mein Kind dies möchte und mit diesem Wissen kann ich entschei­den. In der Puber­tät ändert sich meine Rolle. Mein Kind weiss ja nach jahre­lan­gem Zusam­men­le­ben, was ich von Dingen halte, ich brauche dies also nicht zu wieder­ho­len. Ich bleibe Dialog-Partner und vertraue meinem Kind, dass es das Beste macht, das es kann.

Ein Jugend­li­cher kann nicht plötz­lich Nein sagen, wenn er dies als Kind nie durfte.

Ist es auch wichtig, dass sich Mutter und Vater gut abstim­men?
Es ist hilf­reich, wenn sich Mutter und Vater über ihre grund­sätz­li­chen Werte einig sind. Weitere Unter­schiede können Kinder gut verkraf­ten.

Haben Sie noch gene­relle Tipps für Eltern, um ihnen das Nein-Sagen leich­ter zu machen?
In einer Familie ist es wichtig, einan­der dabei zu unter­stüt­zen, Nein zu sagen, schon wenn die Kinder noch ganz jung sind. Wir wünschen uns ja alle Kinder, und später Erwach­sene, die für sich sorgen und deshalb immer wieder Nein sagen können, und das muss gelernt sein. Ein Jugend­li­cher kann nicht plötz­lich Nein sagen, wenn er dies als Kind nie durfte oder kein entspre­chen­des Vorbild hatte. Unsere Rolle als Eltern ist also entschei­dend.

Mein zweiter Tipp ist auf unper­sön­li­che und aggres­sive Ausdrucks­wei­sen wie «Das Mami wird böse, wenn ihr nicht aufräumt» oder «Könnt ihr nicht ein einzi­ges Mal aufhö­ren so einen Krach zu machen?» zu verzich­ten. Statt­des­sen empfehle ich eine persön­li­che Ausdrucks­weise wie «Ich will nicht, dass ihr jetzt so einen Krach macht», also zu sagen, was ich will oder nicht will, ohne irgend­ei­nen Unter­ton zu verwen­den. Es ist sinn­voll, dies in einem ruhigen Moment zu üben und zu über­le­gen, wie man etwas persön­lich sagt, ohne dabei verlet­zend zu werden.

Und als Drittes finde ich es zwar wichtig, dass ich zu meinem Kind Nein sage, aber es muss auch immer wieder die Möglich­keit geben, dass mein Kind Nein zu dem sagt, was ich will. Abso­lute Gehor­sam­keit ist kein Weg für eine gesunde Entwick­lung eines Kindes. Ein Beispiel: Unser vier­jäh­ri­ger Sohn hat in seinem Zimmer eine Schub­lade mit seinen Oster­sa­chen. Ich habe bemerkt, dass er heim­lich etwas daraus geges­sen hat. Ich muss deshalb nicht mit ihm schimp­fen oder gleich die Schub­lade ausräu­men. Ich kann es aushal­ten, dass er in diesem Moment nicht macht, was ich will, sondern offen­sicht­lich Ja sagt zu seinem Wunsch. Als sein jünge­rer Bruder diese Schub­lade entdeckte, brachte er seine Sachen sowieso frei­wil­lig nach vorne und die Situa­tion hatte sich erle­digt.