«Wir lieben Kinder. Und wir haben Platz im Herz und im Haus»
Seit fast zwei Jahren bereichert Aydan mit seiner fröhlichen Art den Alltag von Pflegefamilie Leuenberger. Ihre gemeinsame Lebensgeschichte begann mit der Eingewöhnung, während der sich alle schrittweise kennenlernten. Nach etwa einem Monat dann wurde Aydan Teil der Familie. Ihre Herzen hatte er da schon längst erobert. Im Interview erzählen Judith Leuenberger und Kyon Lee von ihren Eindrücken, Erlebnissen und Erfahrungen als Pflegeeltern.
Frau Leuenberger, Herr Lee, wie haben Sie den Weg erlebt vom Wunsch, ein Pflegekind bei sich aufzunehmen, bis zur Dauerplatzierung von Aydan in Ihrer Familie?
Judith Leuenberger: Zuerst haben wir uns beim Amt für Jugend und Berufsberatung gemeldet. Die Behörde prüfte daraufhin unseren Wunsch. Während dieser Phase mussten wir verschiedene Formulare ausfüllen und diese zusammen mit Dokumenten wie Strafregister- und Betreibungsregisterauszügen einreichen. Die Behörde schaute sehr genau hin, wer wir sind und wie wir leben. Fachpersonen suchten mit uns das Gespräch und kamen bei uns auf Hausbesuch. Sie schauten, ob das Haus geeignet ist für ein Kleinkind. In unserem Fall mussten wir die Treppengeländer anpassen.
Kyon Lee: Es ist richtig, dass die Behörde ihre Aufgaben verantwortungsvoll wahrnimmt. Schliesslich geht es um das Wohl eines Kindes. Wir fanden ihr Vorgehen immer verhältnismässig und lösungsorientiert.
Nachdem Sie die Grundeignungsbescheinigung zur Aufnahme von Pflegekindern erhielten und sich die Behörde mit einem möglichen Pflegekind bei Ihnen meldete, begann die Eingewöhnung. Wie lief sie bei Ihnen ab?
JL: Die Eingewöhnung begann, als Aydan acht Monate alt war. Während dieser Zeit fand eine schrittweise Annäherung statt. Zuerst besuchten wir ihn ab und zu bei seiner leiblichen Mutter. Später ging ich mit ihm ein, zwei Stunden spazieren. Schliesslich nahmen wir ihn für kurze Zeit zu uns nach Hause – manchmal auch über Nacht. Diese Zeit war für uns hochemotional und intensiv. Wir waren total entzückt von der Vorstellung, dass wir dieses kleine Wesen zu uns nehmen dürfen. Gleichzeitig hatten wir alle Hände voll zu tun mit der Vorbereitung.
Wie lange dauerte der Prozess bis zur Platzierung von Aydan?
KL: Von der Anfrage der Behörde bis zur Platzierung vergingen etwa ein bis zwei Monate, die Bewerbungsphase davor dauerte etwa sechs Monate. Alles in allem eine überschaubare Zeitspanne und trotzdem genügend Zeit, dass die Vorfreude wachsen konnte.
«Wir waren total entzückt von der Vorstellung, dass wir dieses kleine Wesen zu uns nehmen dürfen.»
Judith Leuenberger
Bei einer Dauerplatzierung ist der regelmässige Kontakt zwischen Pflegefamilie und den leiblichen Eltern nicht immer gegeben. Stehen Sie mit der Herkunftsfamilie von Aydan in Verbindung?
JL: Ja, seine leibliche Mutter kommt regelmässig bei uns zu Besuch. Sie ist bei uns immer willkommen. Wir mögen sie sehr und sie sieht sich bei uns als Teil der Familie. Dieser Kontakt ist richtig und wichtig. Aydan hat zwei Mütter und er freut sich jedes Mal, wenn er seine leibliche Mutter sieht.
Wie haben Philomen und Aurelius auf Aydan reagiert?
KL: Sehr positiv und unverkrampft. Die Aufnahme und Integration von Aydan in unsere Familie verlief sehr einfach. Philomen und Aurelius sind bis heute begeistert. Aurelius bringt Aydan oft zum Lachen und Philomen kuschelt gerne mit ihm. Sicher war auch ein Quäntchen Glück dabei. Denn wir wissen aus der Erfahrung mit Pflegekindern, die wir in den letzten Jahren temporär bei uns aufgenommen hatten, dass nicht immer alles reibungslos verläuft.
Trotz der wohlwollenden Haltung aller gibt es bestimmt Herausforderungen, die Sie als Pflegeeltern meistern müssen.
KL: Sicher. Judith und ich sind angehalten, flexibel zu bleiben. Natürlich müssten wir dies auch sein, wenn wir nur Philomen und Aurelius bei uns hätten. Hinzu kommt aber, dass wir mit den Gefühlen unserer Kinder besonders achtsam umgehen müssen.
JL: Ich nehme mir immer wieder Zeit, um mit Philomen und Aurelius darüber zu reden, wie sie mit der Pflegekind-Situation umgehen. Wichtig ist, dass sie nicht weniger Raum, Zeit und Liebe bekommen als vorher. Alle sollen sich ernst und wahrgenommen fühlen. Das ist zwar manchmal anstrengend, aber es gibt der Beziehung Tiefe und einen interessanten Austausch. Die Kinder lernen etwas fürs Leben.
Und wie ist es mit Aydan, hat er sich gut in die Familie integriert?
JK: Grundsätzlich ist Aydan sehr pflegeleicht. Es gibt manchmal Konflikte, wie sie auch unter leiblichen Geschwistern vorkommen. Hie und da ist er eifersüchtig auf Philomen und Aurelius. Dann schubst er sie weg oder schimpft. Er tut dies aber auf eine Art und Weise, dass wir ihm fast nicht böse sein können.
KL: Es ist auch schwierig abzuschätzen, ob ein bestimmter Streit deshalb zustande gekommen ist, weil Aydan nicht unser leibliches Kind ist, oder ob der Streit ausgebrochen war, weil es unter Kindern einfach Konflikte gibt.
«Da Aydan dauerhaft bei uns lebt, können wir uns als Familie voll und ganz auf eine langfristige und tragfähige Beziehung mit ihm einlassen.»
Kyon Lee
Sie erwähnten, dass Sie temporär weitere Kinder bei sich aufgenommen hatten. Wo sehen Sie im Vergleich die Vorteile einer Dauerplatzierung?
KL: Da Aydan dauerhaft bei uns lebt, können wir uns als Familie voll und ganz auf eine langfristige und tragfähige Beziehung mit ihm einlassen. Er wird so ein wirklicher Teil unserer Familie und das Gefühl entsteht, dass wir alle zusammengehören.
JL: Wir möchten aber auch die SOS-Platzierungen nicht missen. Auch sie sind auf ihre Weise bereichernd und spannend. Ich finde es toll, dass unsere Familie so offen und flexibel ist, dass sie anderen Kindern temporär ein Zuhause geben kann.
Und wo erkennen Sie mögliche Nachteile einer Dauerplatzierung?
JK: Probleme ergeben sich, wenn es nicht wie bei uns so gut läuft – zum Beispiel dann, wenn ein leibliches Kind und das Pflegekind sich von Beginn weg nicht mögen. Bei einem zeitlich begrenzten Pflegeverhältnis kann sich die Familie damit arrangieren. Das klappt bei einer Dauerplatzierung nur schwer.
Was möchten Sie anderen mit auf den Weg geben, die sich auch vorstellen können, ein Pflegekind bei sich aufzunehmen?
JL: Sie sollen den Schritt unbedingt wagen. Ein Pflegekind bereichert auf so vielen Ebenen den Familienalltag. Es ist eine sinnvolle und erfüllende Aufgabe.
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