Das sagt der kjz-Experte

Weisser, alter Samichlaus zu Zeiten von Diversity – ist das noch zeitgemäss?

Kaum ein Kind kommt an ihm vorbei, am Sami­ch­laus, so fest ist er in unserer Gesell­schaft veran­kert. Ist es aus erzie­he­ri­scher Sicht ein Problem, dass die Figur, die alles weiss und wertet, meist alt, weiss und männ­lich ist? Antwor­ten von Psycho­loge und Erzie­hungs­be­ra­ter Claude Ramme. 

Der Sami­ch­laus hat eine lange Tradi­tion. Gleich­zei­tig machte er aber auch schon einiges an Wandel durch: Sprüchli auf dem Schoss und Angst vor Sack und Rute sollten der Vergan­gen­heit ange­hö­ren. Heutige Sami­ch­läuse loben wohl­wol­lend und gehen auf Stärken ein. Äusser­lich hat sich über die Jahre aller­dings wenig verän­dert; der tradi­tio­nelle Sami­ch­laus ist alt, weiss und männ­lich. Welchen Einfluss kann das auf Kinder haben? Claude Ramme, Psycho­loge und Erzie­hungs­be­ra­ter im kjz Diels­dorf, geht auf Fragen rund um den Sami­ch­laus ein.

Claude Ramme, sind Bräuche für Kinder etwas Gutes?
Grund­sätz­lich sind Bräuche oder Tradi­tio­nen bei Menschen positiv besetzt, sonst hätten sie sich kaum über Jahr­hun­derte hinweg halten können. Sie bieten Anlass für Gesprä­che, gemein­same Momente und spätere Erin­ne­run­gen. Diesen Wert haben sie für Kinder aber nicht von Anfang an, denn sie gehen grund­sätz­lich unvor­ein­ge­nom­men auf alles Neue zu. Der Wert entsteht erst mit der Zeit, je nachdem, ob und wie die Tradi­tion gelebt wird.

Welchen Wert kann der Sami­ch­laus rück­wir­kend haben?
Inter­es­sant ist, dass der Sami­ch­laus histo­risch betrach­tet immer sehr positiv besetzt war, gutmü­tig, gross­her­zig, wohl­wol­lend. Erst seit dem 19. Jahr­hun­dert hilft er als Verbün­de­ter der Eltern auch bei der Erzie­hung mit. Das brachte mit sich, dass er als tadelnde oder gar stra­fende Figur auch negativ erfah­ren wurde. Dass wir nun mehr und mehr von Rute und Strafe wegge­kom­men sind, ist aus meiner Sicht gut. Einer­seits entspricht das nicht dem Kern der Figur, ande­rer­seits wissen wir aus zahl­lo­sen Studien, dass Strafen und Schimp­fen lang­fris­tig wenig bis nichts bringt. Heute ist der Sami­ch­laus ein freu­di­ger Brauch, verbun­den mit Mander­ind­li­duft, Schög­geli und Geschen­ken. Damit können sich die meisten Kinder anfreun­den. Sagt er ihnen auch noch, was sie alles gut machen, ist das doch eine tolle Figur und seine Allwis­sen­heit führt zu Staunen und Aufre­gung.

Wie gross schät­zen Sie die Nach­hal­tig­keit der erzie­he­ri­schen Kompo­nente ein?
Nicht sehr gross. Natür­lich macht so eine Figur Eindruck: Der Sami­ch­laus nimmt Raum ein, nur schon wegen des schwe­ren roten Mantels. Der Bart macht das Gesicht grösser, viel­leicht hat er noch Kopf­schmuck auf. Was der Sami­ch­laus sagt, hat daher mehr Gewicht als die alltäg­li­chen elter­li­chen Appelle. Aber irgend­wann ist auch seine Wirkung verpufft. Der Alltag birgt viel zu viele span­nende Über­ra­schun­gen, um allzu lange über den alten Mann mit dem roten Mantel nach­zu­den­ken.

In den Köpfen der Kinder ist diese allwis­sende und wertende Figur tradi­tio­nell weiss, alt und männ­lich. Ist das aus erzie­he­ri­scher Sicht proble­ma­tisch?
In meinen Augen nicht. Ich denke, für Kinder ist das einfach der Sami­ch­laus, eine Figur, die einmal im Jahr kommt und dann wieder weg ist. Sie sind da viel entspann­ter als wir – auch wenn der Moment selbst zu Anspan­nung führt. Das hat auch etwas Zauber­haf­tes: «Wow, der weiss ja wirk­lich viel über mich und mein Leben!» Sein Alter verbin­den sie allen­falls mit etwas Gross­vä­ter­li­chem. Gross­el­tern haben bei vielen Kindern einen guten Ruf, sie strah­len Ruhe und Verläss­lich­keit aus. Ich denke, Kinder sehen vor allem das. Ab circa sieben oder acht Jahren, wenn sie nicht mehr so zugäng­lich für diese Art von Zauber sind, denken sie allen­falls noch «Alles Lüge» oder «Den gibts gar nicht». Tauchen Fragen auf, warum das eigent­lich ein Mann ist, kann daraus aber ein Diskurs entste­hen.

Eltern können den Brauch also unbe­sorgt leben, aktu­el­len Diskus­sio­nen um dieses Bild zum Trotz?
Können Sie. Was sich im Kopf eines Kindes abspielt, ist schwie­rig zu sagen. Irgend­et­was passiert. Ob positiv oder negativ, ist aber unklar und hängt primär von der Umset­zung der Eltern ab. Je nachdem kann sich fest­set­zen: Männer mit weissem Bart sind per se gefähr­lich oder umge­kehrt per se freund­lich. Alles, was über solche Inter­pre­ta­tio­nen hinaus­geht, ist in meinen Augen aber ein Konzept von uns Erwach­se­nen. Histo­risch bedingt ist der Sami­ch­laus zwar ein Mann, es spricht aber nichts dagegen, einmal eine andere Version auszu­pro­bie­ren. «Sami­ch­laus» hat sich als Wort durch­ge­setzt, «Sami­ch­läu­sin» ist durch­aus auch denkbar. Es wird sicher Fragen aufwer­fen, wenn das Bild zuhause von der übli­chen Version abweicht – ich finde es aber immer gut, Kinder zwischen­durch heraus­zu­for­dern.

Claude Ramme hat Psychologie, Soziologie und Erziehungswissenschaft an der Universität Zürich studiert.

Claude Ramme

Claude Ramme hat Psychologie, Soziologie und Erziehungswissenschaft studiert und eine psychoanalytisch orientierte Psychotherapie-Ausbildung am Freud-Institut Zürich absolviert. Als Sozialpädagoge arbeitete er in verschiedenen Institutionen sowie als Psychotherapeut in der ipw BSJ, der Beratungsstelle für Jugendliche und junge Erwachsene in Winterthur und Glattbrugg. Seit 2021 ist er als Erziehungsberater im kjz Dielsdorf tätig.

Wer ist der Sami­ch­laus?

Der Sami­ch­laus ist die schwei­ze­ri­sche Bezeich­nung für die Figur des Heili­gen Niko­laus. In dieser Figur sind zwei histo­ri­sche Perso­nen verschmol­zen: zum einen Niko­laus von Myra, Bischof im vierten Jahr­hun­dert, und zum anderen Niko­laus von Sion, Abt und Bischof im sechs­ten Jahr­hun­dert. Die Orte liegen in der heuti­gen Türkei. Die Leben und Legen­den der beiden Männer fügten sich im Laufe der Zeit zusam­men. So soll der eine als Schutz­pa­tron der Kinder gewirkt und an seinem Geburts­tag im Bischofs­ge­wand mit seinem Esel Äpfel, Manda­ri­nen, Nüsse und Honig­ku­chen verteilt haben. Vom anderen wurde über­lie­fert, dass er Schü­le­rin­nen und Schüler nach ihren guten und schlech­ten Taten befragt und sie danach beschenkt habe. Niko­laus von Myra starb an einem 6. Dezem­ber, weshalb an diesem Tag dem Heili­gen Niko­laus gedacht wird und welt­weit viele Niko­laus-Bräuche statt­fin­den.

Und wer ist eigent­lich der Schmutzli?

Der Schmutzli (Deutsch­schweiz) ist keine histo­ri­sche Figur. Er ist der furcht­ein­flös­sende Gehilfe des Sami­ch­laus, der direkt der Hölle entstie­gen ist. Bekannt ist er auch als Krampus (Öster­reich, Bayern, Südti­rol) oder Knecht Ruprecht (nörd­li­cher und mitt­le­rer deut­scher Sprach­raum).

Während der Sami­ch­laus die braven Kinder mit Manda­ri­nen, Nüssen und Lebku­chen belohnt, droht der Schmutzli, die bösen Kinder in einen Sack zu stecken und mitzu­neh­men. Heute tritt der Schmutzli immer weniger bedroh­lich auf und mutiert zum mürri­schen Diener des Sami­ch­laus, der auch den unar­ti­gen Kindern Nüssli und Manda­ri­nen verteilt.