Kinder in ihrer sexuellen Entwicklung altersgerecht begleiten: Eine reichhaltige Informationsplattform für Eltern von Kindern im Alter von 0 bis 18 Jahren der Stiftung Kinderschutz Schweiz und der Dachorganisation Sexuelle Gesundheit.
Zur PlattformJugendliche erfahren mehr sexuelle Gewalt – wie sollen Eltern das Thema angehen?
Neuste Befragungen zeigen, dass die Erfahrungen mit sexueller Gewalt bei Jugendlichen im Kanton Zürich in den letzten Jahren zugenommen haben. Sowohl bei Mädchen wie auch Jungen. Erziehungsberater Claude Ramme spricht darüber, wie Eltern die anspruchsvolle Thematik mit Kindern angehen können.
Alle sieben Jahre werden Jugendliche im Kanton Zürich zu ihren Gewalterfahrungen befragt, darunter auch zu sexueller Gewalt. Die Ergebnisse der Befragung von 2021 zeigen, dass sexuelle Gewalt, insbesondere gegen junge Frauen, in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Und zwar in allen Bereichen – etwa bei Erfahrungen mit sexueller Nötigung, sexueller Belästigung im schulischen Kontext, sexueller Belästigung im Netz, aber auch mit sexueller Gewalt in jugendlichen Paarbeziehungen.
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In jungen Paarbeziehungen zum Beispiel heisst das konkret: Mehr junge Frauen gaben an, in ihren Beziehungen zum Berühren von intimen Stellen, zum Schicken von Nackt- oder anderen sexuellen Aufnahmen oder gar zum Geschlechtsverkehr gedrängt worden zu sein, obwohl klar war, dass sie das nicht wollten. Das Forschungsteam geht dabei von einer tatsächlichen Zunahme aus und schliesst etwa einen #Me-Too-Effekt aus.
Diese Zahlen beunruhigen. Wie können Eltern ihre Kinder bestmöglich stärken und gegen sexuelle Gewalt wappnen? Erziehungsberater Claude Ramme im Gespräch.
Sexuelle Gewalt ist kein leichtes Thema. Wie können Eltern das mit ihren Kindern angehen?
Grundsätzlich geht es darum, dass der Körper eines Kindes dem Kind gehört, und niemandem sonst, und dass Neinsagen erlaubt ist. Das können Eltern schon sehr früh thematisieren. Dieser Präventionsgedanke zielt darauf ab, ein Kind über seinen Körper und seine Integrität aufzuklären, damit es mit ihm vertraut ist und dadurch ein Selbstverständnis dafür entwickelt. Dabei sind auch die Aspekte Nähe und Distanz wichtig: Kinder haben eine natürliche Schamgrenze. Die gilt es einzuhalten. Wenn Kinder nicht wollen, dass sie jemand berührt oder umarmt, dürfen sie das sagen. Als Eltern wiederum müssen wir das ernst nehmen, dürfen es nicht verharmlosen oder gar belachen.
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Sie sprechen Umarmungen oder Berührungen an, die gegenüber Kindern oft als selbstverständlich gelten.
Ja genau. Viele von uns kennen das, dieses Berühren, manchmal sogar Betatschen durch Verwandte, Bekannte und Halbfremde. Das geht nicht, das ist übergriffig. Und Kinder empfinden das auch so, die meisten mögen es nicht. Das müssen sie sagen dürfen, mindestens den eigenen Eltern. Und sie müssen sich darauf verlassen können, dass die Eltern sie unterstützen oder gar davor bewahren, indem sie es den Erwachsenen frühzeitig signalisieren oder gar proaktiv ansprechen. Beurteilen Eltern das als normal oder lassen es zu auf Kosten der Integrität des Kindes, wird das Kind später nicht wissen, ob es das ertragen muss, weil das halt einfach dazugehört. Im Umkehrschluss heisst dies auch, dass Kinder, die Nein sagen, egal bei welchem Thema, nicht grundsätzlich verdammt, sondern vielmehr darin gestärkt werden.
Ab welchem Alter empfehlen Sie, mit Kindern über sexuelle Gewalt zu reden, ohne dass es überfordert?
Sexuelle Gewalt als Tat ist in jedem Alter überfordernd. Wenn der Begriff «sexuelle Gewalt» gebraucht wird, dann braucht es ein grundlegendes Verständnis von Gewalt und Sexualität. Das hängt vom Sprachvermögen und der Reife des Kindes ab. Es gibt einige sehr gute Kinderbücher zu dem Thema. Eines davon ist Mein Körper gehört mir von pro familia und ist für Kinder ab fünf Jahren. Vorher ist es schwierig, da Kinder erst langsam ein Verständnis für sich und ihren Körper aufbauen. Im Buch selbst wird nicht über sexuelle Gewalt gesprochen, sondern über die selbstbewusste Einstellung des Kindes zu sich und seinem Körper.
Zahlen zeigen, dass auch die sexuelle Gewalt in jungen Paarbeziehungen zugenommen hat. Was können Eltern präventiv tun?
Teenager, insbesondere Mädchen und junge Frauen, stehen nicht selten unter Druck, durch Kolleginnen, Kollegen, Freunde. Es wäre wichtig, dass sie sich von diesem Druck abgrenzen können. Das geht aber nur, wenn das Selbstvertrauen gross genug ist. Daran kann schon früh gearbeitet werden. Ausserdem ist wichtig: Vertrauen, zuhören und Jugendliche als gleichwertige Menschen annehmen. Dazu gehört auch, für ihre Nöte Verständnis zu zeigen und diese nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Respekt ist keine Einbahnstrasse. Eltern sollten ihre Kinder genauso respektieren wie Kinder ihre Eltern. Über potenzielle Gefahren kann auch offen gesprochen werden; darüber, dass wir als Eltern uns Sorgen machen, wenn das Kind alleine rausgeht. Offenheit der Eltern bringt mehr als ein schlichtes Verbot.
Wie soll man als Eltern vorgehen, wenn das Kind von einem Übergriff erzählt?
Wenn Eltern einen Verdacht haben, können sie versuchen nachzufragen. Fragen bergen jedoch immer die Gefahr einer Wertung. Auch können sie schnell suggestiv werden. Wenn ein Missbrauch im Raum steht, braucht es Objektivität – das gelingt Eltern kaum je, sie sind viel zu nah dran. Grundsätzlich empfehle ich deshalb, sich unverzüglich an externe Fachleute zu wenden. Castagna zum Beispiel. In dieser Situation ist es wichtig, dass Eltern nicht aus Überforderung falsch reagieren. Wenn Eltern die Schilderungen ernst nehmen und dem Kind Sicherheit vermitteln, ist die erste Hürde aber genommen.
Was tun, wenn ein Kind von sexueller Gewalt erzählt
- Wenden Sie sich umgehend an eine Fachstelle.
- Nehmen Sie das Kind ernst und vermitteln Sie Sicherheit.
Sexuelle Gewalt findet heute gemäss Studie vermehrt im öffentlichen Raum, aber auch im schulischen Kontext statt. Welche Abmachungen zwischen Eltern und Jugendlichen sind sinnvoll, um sie mit gutem Gefühl alleine losziehen zu lassen?
Ich habe viel Verständnis für Eltern, die ihre Kinder nicht losziehen lassen wollen. Wir sind alle in ständiger Sorge um unsere Kinder, wollen, dass sie nicht verletzt werden – erst recht nicht, wenn es um sexuelle Verletzungen geht. Und die Welt ist unübersichtlich geworden, in meinem Empfinden. Umgekehrt können sie nicht lernen, sich in der Freizeit zu bewegen, wenn sie eingesperrt werden. Es ist also eine Gratwanderung. Diese beinhaltet die von Ihnen angesprochenen Abmachungen. Schön ist, wenn wir wissen, mit wem sie losziehen. Und vielleicht sind sie auch bereit, sich ab und zu via Messenger-Dienst nach dem Befinden fragen zu lassen. Auch Verbindlichkeit ist wichtig, und auch diese bauen wir für gewöhnlich früh ein in unsere Erziehung. Ich würde einfach aufpassen, dass es nicht zu viele Abmachungen sind. All das klappt nur, wenn wir uns als Bezugspersonen so unaufgeregt wie möglich zur Verfügung stellen. Und ich würde das Kind so gut wie möglich miteinbeziehen.
Fach- und Beratungsstellen rund um sexuelle Gewalt in Zürich
- Castagna
Beratungs- und Informationsstelle für sexuell ausgebeutete Kinder, Jugendliche und in der Kindheit ausgebeutete Frauen und Männer - 147.ch
Beratung für Kinder und Jugendliche, vertraulich, kostenlos und rund um die Uhr
Eine Auswahl empfohlen vom Amt für Jugend und Berufsberatung (AJB) Zürich
Weitere Informationen
- feel-ok.ch
Umfangreiche Informationen rund um sexuelle Gewalt und andere Themen für Jugendliche - lilli.ch
Umfassendes Online-Angebot rund um Gewaltprävention und sexuelle Gesundheit für Jugendliche und junge Erwachsene mit dem Ziel der Gewaltprävention und der Förderung sexueller Gesundheit - Wann ist nah zu nah?
Flyer mit Anregungen für Eltern und Erziehungsberechtigte zum Schutz ihrer Kinder von Limita Zürich - Sieben wichtige Botschaften für den Erziehungsalltag
Anregungen von Limita Zürich, die helfen können, Kinder allgemein zu stärken und besser vor sexueller Ausbeutung zu schützen.
Kampagnen gegen Sexismus und sexuelle Gewalt
- Zürich schaut hin
Kampagne für ein Zürich ohne Belästigung und Übergriffe - Kein Platz für Sexismus
Überregionale Kampagne u. a. der Kantone Appenzell Ausserrhoden und St. Gallen, die die Alltäglichkeit und Vielfalt sexueller Belästigung sichtbar machen und öffentlich reflektieren will. - zukrass.ch
Kampagne für Jugendliche, die körperliche, sexuelle oder psychische Gewalt erlebt haben, des Kantons Zürich, der Kantonalen Opferhilfestelle und der Opferhilfe Zürich
Fragen zur Erziehung und Entwicklung Ihrer Kinder und zum Familienalltag? Die Fachleute unserer Kinder- und Jugendhilfezentren (kjz) beraten Sie gern.
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