kjz-Sprechstunde

«Sollen wir die Regeln für Finn (10) lockern, weil bei ihm ADHS diagnostiziert wurde?»

Mütter und Väter wissen am besten, was gut ist für ihr Kind. Doch ab und zu sind sie auch bei gröss­ter Eltern­liebe froh um ein biss­chen Unter­stüt­zung. Bei allen Fragen rund um Familie und Erzie­hung weiss das Exper­ten-Team unserer kjz-Sprech­stunde Rat. Kompe­tent, anonym und unkom­pli­ziert. Was immer Sie bewegt – wir sind für Sie da!


Liebes kjz
Unser Sohn Finn (10) ist sehr chao­tisch und hält sich nicht an alltäg­li­che Regeln und Verrich­tun­gen wie Hände waschen, Zimmer aufräu­men oder Licht löschen. In der Folge müssen wir ihm hundert Mal das Gleiche sagen. Oft scheint es, er höre unsere Anwei­sun­gen gar nicht. Vor einem Jahr wurde bei Finn ADHS diagnos­ti­ziert, und wir haben nun eine Erklä­rung für sein Verhal­ten. Doch was bringt uns das im Alltag? Sollen wir nach­sich­tig sein und unsere Regeln lockern?

Familie B.

Liebe Familie B.

Sie spre­chen ein Thema an, das alle Eltern beschäf­tigt: Wie setzen wir sinn- und wirkungs­volle Regeln? Mit einer ADHS-Diagnose bekommt diese Frage ein beson­de­res Gewicht.

Warum? Wichtig ist primär zu verste­hen, dass Kinder mit ADHS an einer Entwick­lungs­stö­rung leiden. Aus der Neuro­psy­cho­lo­gie wissen wir, dass ihr Gehirn die vielen Reize der Umwelt, die oft gleich­zei­tig einströ­men, nicht genü­gend filtern kann. Deshalb sind Betrof­fene oft nur einge­schränkt in der Lage, ihre Aufmerk­sam­keit auf eine einzige Sache zu richten. Oft sind Kinder mit ADHS leicht abzu­len­ken. Oder sie schal­ten auf «Durch­zug»: eine effi­zi­ente Stra­te­gie übri­gens, um die vielen Reize – und dazu gehören auch elter­li­che Auftrags­wie­der­ho­lun­gen – zu redu­zie­ren.

Das Wissen rund um ADHS hilft Eltern, auch in schwie­ri­gen Situa­tio­nen ruhig zu bleiben: Ihr Kind vergisst alltäg­li­che Verrich­tun­gen nicht aus Provo­ka­tion. Es kann nicht anders. Das Kind zu verste­hen, heisst aller­dings nicht, einem Laissez-faire-Stil zu verfal­len. Für Kinder mit ADHS ist es beson­ders wichtig, Struk­tur zu erfah­ren. Ansons­ten verlie­ren sie sich in ihrem (inneren) Chaos. Mit über­schau­ba­ren Regeln können Sie Ihrem Sohn Orien­tie­rung geben und einen Rahmen schaf­fen, in dem er sich sicher bewegen kann.

Erster Schritt dabei ist, Prio­ri­tä­ten und realis­ti­sche Ziele zu setzen. Ein Beispiel: Finn soll sein Zimmer aufräu­men. Was heisst das genau? Muss das täglich gesche­hen oder reicht es einmal die Woche, z. B. immer sonn­tag­abends? Wie soll aufge­räumt werden? Was gehört wohin? Viel­leicht genügt es, wenn Boden und Pult ordent­lich sind, während das Gestell weiter­hin in krea­ti­vem Chaos glänzen darf. Sie sehen: Kleine Teil­schritte helfen, die Regel «Zimmer aufräu­men“ zu konkre­ti­sie­ren – und letzt­lich einzu­hal­ten.

Nur: Wie kommu­ni­zie­ren, damit Finn die Anwei­sun­gen hört? Das Beispiel oben zeigt, dass es helfen kann, präzise zu sein: «Alle Legos in die Kiste» statt «Räum dein Zimmer auf». Wesent­lich ist auch die posi­tive Formu­lie­rung: «Hänge deine Jacke auf» statt «Wirf die Jacke nicht zu Boden». Was wir zudem oft verges­sen: Auch unsere Mimik hat’s in sich. Ein freund­li­ches Gesicht sorgt für ein wohl­wol­len­des Klima. Ebenso Wert­schät­zung. Diese kann übri­gens auch mit Zauber­ges­ten wie einem Daumen hoch, einem aner­ken­nen­den Zwin­kern oder einer sanften Berüh­rung ausge­drückt werden.

Ich wünsche Ihnen alles Gute und dass Sie trotz Chaos den Durch­blick behal­ten – mit über­schau­ba­ren Regeln und Zauber­ges­ten, die tatsäch­lich oft mehr sagen als tausend Worte.

Ursina Ehren­sper­ger (Erzie­hungs­be­ra­te­rin) und das kjz-Team

Haben Sie eine Frage?

Haben Sie eine Frage zur Erzie­hung, zum Zusam­men­le­ben in der aktu­el­len Situa­tion oder ganz allge­mein zum Fami­li­en­le­ben? Das kjz-Team beant­wor­tet regel­mäs­sig Fragen in der «kjz-Sprech­stunde».