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Zum Berufswahl-PortalWie gehen Lehrbetriebe mit dem Leistungsdruck der Lernenden um?
Die Lehre fordert viele Jugendliche besonders zu Beginn stark heraus. Nach dem Übergang von der Schule ins Arbeitsleben sind sie auf einmal konfrontiert mit neuen Aufgaben, einem neuen Umfeld und mit Erwartungen des Lehrbetriebs. Wir haben bei drei verschiedenen Lehrbetrieben nachgefragt, wie sie ihre Lernenden bei Stress und Leistungsdruck unterstützen.
Institut für Chemie (IFC), Universität Zürich
Im Interview: Hansueli Bichsel, verantwortlicher Leiter Lehrlabor
Ausbildung: Laborant/in EFZ Chemie
Herr Bichsel, was macht den Lernenden zu Beginn am meisten Mühe?
Die Umstellung vom Schulalltag auf drei Tage Arbeit, zwei Tage Schule. Alles ist neu, die Arbeitsumgebung, die Mitlernenden und die Ansprechpersonen. Es prasseln sehr viele Informationen und Anforderungen auf die Jugendlichen nieder, die sie verarbeiten respektive einhalten müssen. Die Jugendlichen merken, dass nicht nur reines Wissen, sondern auch Können von ihnen verlangt wird. Ich denke, der grösste Stressfaktor für sie ist, dass sie gleich alles richtig machen wollen und bei Unsicherheiten nicht nachfragen, damit sie in den ersten Tagen einen möglichst guten Eindruck hinterlassen.
Haben Sie einen Tipp für Lernende, um sich möglichst schnell an die neue Situation zu gewöhnen?
Offen und motiviert sein für die neue Situation und etwas Neues zu lernen. Den Mut haben bei Unklarheiten Fragen zu stellen oder sich bei praktischen Abläufen nochmals etwas erklären oder zeigen zu lassen.
Was tun Sie als Lehrbetrieb, um die Jugendlichen nicht zu überfordern?
Zuerst in kleinen, gut verdaulichen Häppchen Schritt für Schritt ausbilden und die Praxis mit der Theorie verknüpfen. Fehler zulassen und als Berufsbildner immer korrigierend und unterstützend nach dem Motto «fordern und fördern» zur Seite stehen.
Mit welchen Massnahmen versuchen Sie den Druck zu mindern, der auf den Lernenden lastet?
Damit sie bei der Arbeit motiviert bleiben, schaffen wir ein angenehmes Arbeitsklima, Abwechslung und Erfolgserlebnisse. Bei rasch und gut erledigten Arbeiten geben wir auch mal Zeit für schulische Belange wie Hausaufgaben.
Welche Rolle spielen soziale Medien und digitale Technologien als potenzielle Stressfaktoren für Jugendliche in der Lehre? Und wie wird damit umgegangen?
Sie spielen eine grosse Rolle. Mein Eindruck ist, dass es für die Lernenden ein Grundbedürfnis ist, immer online zu sein. Wir haben während der Ausbildung Handynutzungsverbot, damit die Lernenden während der Theorie oder der praktischen Arbeit nicht abgelenkt sind und sich voll und ganz auf die Ausbildungsinhalte konzentrieren können. Wir kommunizieren dies klar und die Lernenden halten sich erstaunlich gut daran. Kaum ist dann aber Pause, müssen sie sofort alle Kanäle überprüfen und sich vergewissern, ob sie während der verordneten Abstinenz nicht doch etwas verpasst haben.
Wie identifizieren und unterstützen Sie Lernende, die privat eine schwierige Zeit durchmachen?
In der Regel merkt man dies am Verhalten und an einer Verschlechterung der schulischen Leistungen. Wenn die Lernenden darüber sprechen wollen, bieten wir dafür stets ein offenes Ohr. Wenn sie dies nicht wollen, respektieren wir das. Für uns ist wichtig, dass die Verschlechterung der schulischen Leistungen den Erfolg der Lehre nicht gefährdet.
Was tun Sie, damit die Lernenden motiviert bleiben?
Wir versuchen, möglichst abwechslungsreiche Aufgaben zu erteilen und den Komplexitätsgrad der Aufgaben zu steigern, damit die Lernenden gefordert sind und sie das gelernte Grundkönnen neu kombinieren und anwenden. Auch schaffen wir Möglichkeiten für Erfolgserlebnisse, zum Beispiel in Form von guten Resultaten, bei den bewältigten Aufgaben und wir übergeben Verantwortung.
Spitex Zürich
Im Interview: Christina Müller, Bildungsverantwortliche Spitex Zürich
Ausbildung: Fachfrau/Fachmann Gesundheit EFZ
Frau Müller, was macht Ihrer Meinung nach den Jugendlichen am meisten Mühe, wenn sie die Lehre beginnen?
Die grösste Umstellung sind die Verpflichtungen an den drei Lernorten Betrieb, Berufsschule, überbetriebliche Kurse, welchen sie nachkommen müssen. Diese unterscheiden sich teilweise voneinander und bringen Herausforderungen mit sich. So werden im Betrieb Pünktlichkeit, Verbindlichkeit und das Einhalten definierter Strukturen und Abläufe erwartet. In der Schule müssen sie sich mit neuen Lehrmethoden und anderen Prüfungsformen befassen, in den überbetrieblichen Kursen innerhalb von kurzer Zeit theoretische Inputs praktisch anwenden.
Haben Sie einen Tipp für Lernende, um sich möglichst schnell an die neue Situation zu gewöhnen?
Sich Zeit lassen für die Umstellung von der Schule in die Berufsausbildung und insbesondere zu Beginn der Ausbildung bewusst Zeit für Lernen und Freizeit einplanen.
Was tun Sie als Lehrbetrieb, um die Jugendlichen nicht zu überfordern?
Wir begleiten die Lernenden intensiv und strukturiert. Insbesondere in den ersten Wochen finden gemeinsame Einführungstage statt und es werden regelmässig Feedback- und Verlaufsgespräche geführt. Alle Lernenden haben eine definierte berufsbildende Person, die sie gezielt unterstützt bei Herausforderungen oder Problemen.
Welche Massnahmen ergreifen Sie, um den Leistungsdruck der Lernenden zu mindern?
Bei Bedarf führen wir Lernberatungen durch, in denen wir gezielte Lernmethoden vorschlagen und anbieten. Bei Bedarf ziehen wir auch externe Stellen hinzu. Auch der Austausch mit den Eltern ist uns wichtig. Bei ihnen wollen wir Verständnis für die erhöhte Belastung wecken, die eine Berufsausbildung mit sich bringt. Dies kann unter anderem bedeuten, dass sich die Jugendlichen vorübergehend weniger an Hausarbeiten und anderem beteiligen.
Welche Rolle spielen soziale Medien und digitale Technologien als potenzielle Stressfaktoren in der Lehre? Und wie wird damit umgegangen?
Wir sprechen mit den Lernenden offen darüber, insbesondere, wenn uns auffällt, dass sie öfters müde oder weniger belastbar sind als sonst. Oftmals berichten uns die Jugendlichen, dass sie abends sehr viel Zeit auf den sozialen Medien verbringen. Wir versuchen sie zu motivieren, die aufgewendete Zeit zu verkürzen und sinnvoll in den Tagesablauf zu integrieren.
Digitale Technologien unterstützen die Lernenden in ihrer Ausbildung. So können beispielsweise fremdsprachige Jugendliche dank Übersetzungstools ihre Lernjournale einfacher schreiben, bis sie ihre sprachlichen Kompetenzen erreicht haben. Ebenfalls kann ChatGPT sie bei einigen Lernsequenzen unterstützen.
Wie identifizieren und unterstützen Sie Lernende, die privat eine schwierige Zeit durchmachen?
Wir sprechen sie darauf an und bieten Unterstützung an. Bei Bedarf ziehen wir Lehrpersonen, Eltern oder andere Vertrauenspersonen bei. Frühzeitig verweisen wir auch an unsere Sozialberatungsstelle.
Was tun Sie, damit die Lernenden motiviert bleiben?
Wir bieten verschiedene Lernmethoden an. Ausserdem sind unsere berufsbildenden Personen hauptberuflich in der Berufsbildung tätig und müssen sich nicht im Spannungsfeld von Ausbildung und Kundeneinsätzen bewegen. Dadurch stehen mehr Zeitressourcen für die Ausbildung und unsere Auszubildenden zur Verfügung. Wir unterstützen den Besuch der Berufsmaturitätsschule oder von Frei- und Stützkursen. Ebenso nehmen wir mit den Lernenden an Anlässen wie Berufsmessen, Informationsveranstaltungen oder Berufsmeisterschaften teil und integrieren sie aktiv in ihre Ausbildung.
Supertext AG
Im Interview: Cora Veneziano, Projektmanagerin und Berufsbildnerin bei Supertext
Ausbildung: Kauffrau/Kaufmann EFZ Marketing & Kommunikation
Frau Veneziano, was macht Ihrer Meinung nach den Jugendlichen am meisten Mühe, wenn sie die Lehre beginnen?
Der Übergang von der Schule in die Arbeitswelt kann eine grosse Herausforderung sein: Plötzlich mehr Verantwortung, plötzlich ein Umfeld aus lauter Erwachsenen und ein ganz neuer Tagesablauf mit neuen Anforderungen. Dazu kommen manchmal noch private Probleme mit der Familie oder Freunden, die die Jugendlichen beschäftigen. Kein einfacher, aber ein sehr spannender neuer Lebensumstand für sie.
Haben Sie einen Tipp für Lernende, um sich möglichst schnell an die neue Situation zu gewöhnen?
Mehr als einen: Offen für Veränderungen sein, sich aktiv einbringen, Motivation zeigen. Proaktiv Unterstützung suchen, Fragen stellen, sich mit Kolleginnen und Kollegen austauschen. Am besten auch offen kommunizieren, wenn sie Hilfe brauchen oder etwas unklar ist. Und vor allem: realistische Ziele setzen, Geduld mit sich selbst haben und ein positives Mindset.
Was tun Sie als Lehrbetrieb, um die Jugendlichen nicht zu überfordern?
Wir gestalten die Einarbeitung der Lernenden länger und ausführlicher als bei erfahrenen Mitarbeitenden. Dabei kommunizieren wir die Erwartungen und Aufgaben so klar wie möglich, geben regelmässig Feedback und unterstützen sie bei neuen Aufgaben. Uns liegt viel daran, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen und zu signalisieren, dass wir immer für die Lernenden da sind, auch wenn es mal Probleme oder Redebedarf gibt.
Welche Massnahmen ergreifen Sie, um den Leistungsdruck der Lernenden zu mindern?
Wir versuchen, ein unterstützendes Lernumfeld zu schaffen. Supertext bietet allen Mitarbeitenden einen Workshop zur Stressbewältig an. Bei Bedarf können die Lernenden auch während der Arbeitszeit lernen. Wir sind hilfsbereit und haben immer ein offenes Ohr. Gerne fördern wir unsere Lernenden auch mit anderen Massnahmen, zum Beispiel einem Tastaturschreibkurs, kleinen Workshops, Rollenspielen oder Ähnlichem.
Wie identifizieren und unterstützen Sie Lernende, die privat eine schwierige Zeit durchmachen?
Wenn wir Veränderungen im Verhalten, in der Leistung oder in der Kommunikation feststellen, suchen wir Berufsbildenden aktiv das Gespräch. Dabei achten wir sehr genau darauf, wie wir etwas formulieren. Zum Beispiel mit der Feedbackregel, in Gesprächen immer die Ich-Form zu verwenden: «Ich habe beobachtet, …», «Ich habe das Gefühl …», «Mir kommt es so vor, als …» und so weiter.
Was tun Sie, damit die Lernenden motiviert bleiben?
Wir übertragen den Lernenden interessante und abwechslungsreiche Aufgaben und je nach Wissensstand auch mehr Verantwortung. Sie bekommen während ihrer Lehre Einblicke in verschiedene Abteilungen. Wir arbeiten eng mit den Lernenden zusammen, unterstützen sie und geben ehrliches Feedback. Uns ist vor allem auch wichtig, Wertschätzung und Anerkennung offen zu zeigen. Zudem lernen sich bei unseren Teamevents alle in einem anderen Rahmen kennen, was den Teamzusammenhalt zusätzlich stärkt.
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