Das Kind im Zentrum: Selbstverständlichkeit und Herausforderung
Kinder haben Rechte; sie sind Rechtssubjekte. Das stellt die zentrale Botschaft der UN-Kinderrechtskonvention dar, die am 20. November 1989 von der UN-Vollversammlung angenommen und am 24. Februar 1997 von der Schweiz ratifiziert wurde. Die Schutz-, Förder- und Beteiligungsrechte in der mittlerweile einem Jubiläum von 30 Jahren nahestehenden Konvention sind denn auch wegleitend für den zivilrechtlichen Kindesschutz. Insbesondere die Beteiligungsrechte im Rahmen von Art. 12 der UN-Kinderrechtskonvention sind zentral und können unmittelbar bei Gerichten und Verwaltung angerufen werden.
Partizipationsrechte von Kindern rücken ihre Beteiligung als Subjekte gegenüber einer Behandlung als Objekte in den Vordergrund. Es ist heute selbstverständlich, dass im Rahmen des Kindesschutzes das Kind im Zentrum steht und entsprechend das unmittelbare Gespräch mit ihm über seine Situation zentral ist. Das Kind im Zentrum bedeutet demnach, nicht nur über, sondern mit ihm zu sprechen. Was das bewirkt, zeigt Heidi Simoni in der KOKES (Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz)-Praxisanleitung Kindesschutzrecht eindrücklich auf: Die Erfahrung, selbst etwas bewirken zu können, sei für das Wohlbefinden, die Gesundheit und die gelingende Entwicklung von zentraler Bedeutung, was unter belastenden Umständen noch vermehrt zu gelten habe. Selbstwirksamkeit trage dazu bei, dass ein Mensch sich widrigen Umständen nicht ohnmächtig und ausgeliefert fühle, sondern die psychische Widerstandskraft mobilisieren könne. Doch genügt dazu nur ein Gespräch?
Die Partizipationsrechte von Kindern und Jugendlichen haben Eingang ins ZGB in Form von zwei Bestimmungen gefunden (Art. 314a ZGB [Anhörung des Kindes] sowie Art. 314abis ZGB [Vertretung des Kindes/Verfahrensbeistandschaft]). Insbesondere die Massnahme der Verfahrensbeistandschaft, die auch Kindesvertretung, Kindesverfahrensvertretung oder Kinderanwalt genannt wird, beschränkt sich nicht nur auf eine einmalige Anhörung, sondern soll eine effektive Partizipation im Sinne der Teilhabe des Kindes im Verfahren gewährleisten. Primäre Aufgaben sind das Kind zu informieren, zu begleiten und in seinem Meinungsbildungsprozess zu unterstützen sowie die prozessualen Rechte (Antragsrecht, Rechtsmittelprüfung, Monitoring etc.) von ihm wahrzunehmen. Dabei hat der Gesetzgeber nicht abschliessende Fallkonstellationen vorgesehen, in welchen diese Massnahme von den Kindesschutzbehörden zu prüfen ist.
Allein die unterschiedliche Bezeichnung dieser Kindesschutzmassnahme im Rahmen eines laufenden Verfahrens zeigt, dass sie noch nicht den Status einer Selbstverständlichkeit erreicht hat. Ein Blick in die Statistik der KOKES des Jahres 2017 verdeutlicht das: Schweizweit wurde für 572 Kinder eine Verfahrensbeistandschaft angeordnet. Im Kanton Zürich allein haben 264 Kinder diese Unterstützung erfahren. Damit zeigen die Akteurinnen und Akteure des zivilrechtlichen Kindesschutzes im Kanton Zürich eindrücklich, dass sie sich der Herausforderung und der Selbstverständlichkeit einer kindesgerechten Partizipation annehmen. Mehr davon täte auch Kindern gut, die in anderen Kantonen leben.
Beat Reichlin
Dozent und Projektleiter, Hochschule Luzern – Soziale Arbeit