Prof. Dr. Lutz Jäncke, Neuropsychologe und kognitiver Neurowissenschaftler

Das jugendliche Gehirn im digitalen Zeitalter

Das Gehirn des Menschen hat sich im Verlauf der Evolution zu einem Werk­zeug entwi­ckelt, das unter anderem für Kommu­ni­ka­tion und den Aufbau von Vertrauen spezialisiert ist. Heut­zu­tage wird es aber mit voll­kom­men neuen Anfor­de­run­gen konfron­tiert, für die es biolo­gisch gar nicht vorbe­rei­tet ist.

Vor allem in den vergan­ge­nen 10 bis 12 Jahren (Erfin­dung des iPhone und iPad) erleben wir für die Mensch­heits­ge­schichte einma­lige kultu­relle Veränder­ungen. Neben den vielen begrüs­sens­wer­ten Möglichkeiten, die sich mit der Einfüh­rung dieser Tech­no­lo­gie eröff­nen, haben sich aber massive Probleme offen­bart, für die insbe­son­dere das jugend­li­che Gehirn nicht vorbe­rei­tet ist. Dies sind (1) der Umgang mit der enormen Menge an Infor­ma­tio­nen und (2) die verän­derte zwischenmensch­li­che Kommu­ni­ka­tion.

Prak­tisch jeder­zeit und an jedem Ort findet man das gesamte Produk­ti­ons­in­ven­tar mensch­li­chen Daseins im WWW. Diese enorme Menge von «Infor­ma­tio­nen» über­for­dert unser Gehirn massiv, was gelegent­lich dazu führt, dass wir letzt­lich nicht mehr die Agenten unseres eigenen Handelns sind. Wir werden dann mehr oder weniger die «Sklaven» der unser Verhal­ten bestim­men­den Reize.

Mit entspre­chend stark ausge­präg­ter Selbst­disziplin kann man aller­dings diesen Verlo­ckun­gen widerstehen. Die Kraft zur Selbst­dis­zi­plin entfal­tet sich im Fron­tal­kor­tex, in dem sich neuro­nale Netz­werke befin­den, die uns zur Kontrolle von Emotion, Moti­va­tion und der Aufmerk­sam­keit befä­hi­gen. Bei Jugend­li­chen und vor allem Puber­tie­ren­den sind diese so wich­ti­gen Netz­werke noch gar nicht voll ausge­reift. Demzu­folge arbei­ten diese Netz­werke subop­ti­mal, was im Wesentlichen auch die subop­ti­ma­len Leis­tun­gen hinsicht­lich der von ihnen kontrol­lier­ten psychi­schen Funk­tio­nen erklärt.

Mit den neuen Kommu­ni­ka­ti­ons­werk­zeu­gen treten wir in Kontakt mit Kommu­ni­ka­ti­ons­part­nern, die wir nicht sehen, zumin­dest nicht im Moment des Kommu­ni­ka­ti­ons­ak­tes. Im Grunde sind unsere Gesprächs­part­ner Avatare, also digi­tale Wesen, denen wir ledig­lich imagi­na­tiv reale Perso­nen zuord­nen können. Kurzum, die Kommu­ni­ka­tion wird zuneh­mend unbiologi­scher. Es fehlt der direkte Augen- und Gesichts­kon­takt, was zur Folge hat, dass wir die über Hundert­tau­sende von Jahren perfek­tio­nier­ten non-verba­len Kommu­ni­ka­ti­ons­me­cha­nis­men nicht mehr nutzen. Das führt dann zu einer enthemm­ten, frag­men­ta­ri­schen, inef­fi­zi­en­ten und gele­gent­lich fehler­haf­ten Kommunika­tion über die digi­ta­len Kanäle. Hinzu kommt noch eine zuneh­mende Verein­fa­chung und Verfäl­schung der verba­len Signale durch den Gebrauch von Dialek­ten, sowie unbe­hol­fe­ner und gram­ma­ti­ka­lisch fehler­haf­ter Sprache. Das wäre unge­fähr so, wie wenn wir bei einem Kino­film die Bilder wegschnei­den und den audi­to­ri­schen Kanal verfrem­den und frag­men­tie­ren würden.

Aber wie meis­tern wir die Probleme dieser digi­ta­len Revo­lu­tion und, was viel wich­ti­ger ist, wie sollen die Heran­wach­sen­den damit umgehen? Ein wesentlicher Weg aus der digi­ta­len Falle ist meines Erach­tens die Reduk­tion der vielen verlo­cken­den Reize. In anderen Worten, wir müssen die Welt der Heran­wach­senden an manchen Punkten über­schau­ba­rer und damit bewäl­tig­ba­rer gestal­ten. Das bedeu­tet, wir müssen sie vor dieser Reiz­über­flu­tung bewah­ren und gleich­zei­tig auch darauf achten, dass die biolo­gisch fundierte non-verbale Kommu­ni­ka­tion gepflegt wird. Dabei dürfen wir nicht verges­sen, die nicht voll ausge­reif­ten Fron­tal­kor­tex­funk­tio­nen (Emoti­ons-, Moti­va­tions- und Aufmerk­sam­keits­kon­trolle sowie Selbst­dis­zi­plin) üben zu lassen. Wir müssen unsere Heran­wach­sen­den anleiten, bestimmte Dinge konzen­triert und kontrol­liert über längere Zeit zu bewäl­ti­gen. Vor allem müssen wir sie anlei­ten und ihnen vorma­chen, dass «weniger mehr ist». Die Konzen­tra­tion auf Wesent­li­ches muss in Zukunft im Vorder­grund stehen und nicht die Hingabe an das Belie­bige.

Prof. Dr. Lutz Jäncke
Neuro­psy­cho­loge und kogni­ti­ver Neuro­wis­sen­schaft­ler