Tipps in der Muttersprache und eine Portion Heimatgefühl
Während des Lockdowns haben Menschen mit Migrationshintergrund Schwierigkeiten an Informationen zu gelangen. Als Femmes-Tische-Moderatorin ermöglicht Mirsada Ceric den Austausch zwischen Müttern des gleichen Kulturkreises in virtuellen Runden. Die Teilnehmerinnen teilen ihre Sorgen, tauschen Erfahrungen aus und werden auf Hilfsangebote aufmerksam gemacht.
Seit rund drei Wochen treffen sich bosnische Mütter zu einer ganz besonderen Diskussionsrunde. Statt um einen Tisch, sitzen sie zu Hause vor dem Computer oder schauen ins Smartphone. Das Gespräch in ihrer Muttersprache Bosnisch findet in virtueller Form statt: über WhatsApp oder Zoom.
Es ist eine neue Form von Femmes-Tische, des Integrationsprojekts, das regelmässig in privatem Rahmen fünf bis acht Mütter an einen Tisch holt. Eine Moderatorin leitet die Gesprächsrunde in der Muttersprache der Frauen und vermittelt bei Bedarf Adressen von Fachstellen. So können sich Mütter aus demselben Kulturkreis vernetzen und austauschen sowie gemeinsam über Erziehungs-, Gesundheits- und Integrationsfragen diskutieren. Das stärkt ihr Selbstvertrauen und bietet Unterstützung für den Familienalltag.
Eine Frau, die sich traut
Mirsada Ceric ist schon seit elf Jahren Femmes-Tische-Moderatorin und hat sich als eine der Ersten auf das Experiment eingelassen, Gespräche virtuell durchzuführen. Ein Experiment, das Herausforderungen mit sich bringt!
Im Alter von 14 Jahren kam Mirsada mit ihren Eltern und Geschwistern von Bosnien in die Schweiz. Sie absolvierte das neunte Schuljahr und fand dann problemlos eine Lehrstelle als Coiffeuse in Wattwil. Nach einigen Jahren Arbeitserfahrung bildete sich Mirsada zur Spielgruppenleiterin weiter. Während mehreren Jahren arbeitete sie als Kinderbetreuerin, bis ihre Abteilung wegen Sparmassnahmen geschlossen wurde. Heute lebt Mirsada mit ihrem Mann und ihren vier Kindern in Oberwinterthur. Mirsada arbeitet neben der Moderatorinnen-Tätigkeit zwei Stunden in der Woche als Reinigungskraft und stellt in ihrer Freizeit Schmuck her. Sobald wie möglich möchte sie sich für eine Stelle als Spielgruppenleiterin bewerben.
Trotz der momentanen Situation geht es Mirsada gut. Sie versucht stets das Positive zu sehen. Von Anfang an hat sie offen mit ihren Kindern über Covid-19 gesprochen und ihnen gesagt, dass sie keine Angst haben müssen, wenn sie sich richtig schützen und regelmässig Hände waschen. Ihr Ehemann hat als Leiter Recycling viel Kundenkontakt. Bei seiner Arbeit ist es schwierig die Distanzbeschränkungen einzuhalten. Mirsada spürte, dass ihr Ehemann deswegen verunsichert war, auch wenn er nicht darüber gesprochen hat. Nach Einführung neuer Vorsichtsmassnahmen in der Recyclingstation verbesserte sich seine Arbeitssituation.
Die beiden jüngeren Kinder Aida (14 Jahre) und Aldin (9 Jahre) machen «Homeschooling». Aida lernt sehr selbständig und nimmt vier Stunden täglich am online Unterricht teil. Am Anfang verstand Aldin nicht, weshalb seine Schwester keine Zeit zum Spielen hat, obwohl sie zu Hause ist. Inzwischen akzeptiert er, dass er sie nur in den Lernpausen stören darf. Aldin braucht viel Unterstützung beim Lernen und möchte, dass seine Mutter bei den Hausaufgaben dabei ist. Durch die Gespräche mit den Femmes-Tische-Teilnehmerinnen wurde Mirsada bewusst, dass ihr Sohn besser lernt, wenn sie ihn selbst ausprobieren lässt. Die älteste Tochter Lejla (23 Jahre) arbeitet als Fachfrau Betreuung in einer Kindertagesstätte und Amina (18 Jahre) wird im Sommer ihre Lehre als Pharmaassistentin abschliessen ohne schriftliche Abschlussprüfungen. Aufgrund ihrer Tätigkeit ist sie immer auf dem neusten Stand bezüglich Covid-19-Massnahmen und teilt ihre Erkenntnisse mit der Familie.
Das Familien-Feeling fehlt
Der Mutter von Mirsada fällt es schwer, dass sie ihre Kinder und Enkel nicht mehr regelmässig sehen darf. Für die Bevölkerung bosnischer Herkunft hat das Beisammensein in der Familie einen sehr hohen Stellenwert. Am meisten fehlt Mirsada die tägliche Zusammenkunft mit ihrer Familie und den Nachbarn. Im multikulturellen Wohnquartier treffen sich die Bewohnerinnen und Bewohner täglich. Da dies im Moment nicht möglich ist, findet der Austausch über den Balkon hinweg oder durch das offene Fenster statt. Mirsada ist es wichtig, für ihre Nachbarinnen ein offenes Ohr zu haben und diese, wenn sie Sorgen haben, zu unterstützen.
Am Projekt Femmes-Tische gefällt Mirsada besonders gut, «dass man sich regelmässig trifft, Ideen austauscht und immer Neues lernt!». Die Frauen sind Teil ihrer Familie geworden. Im letzten Jahr führte Mirsada 23 Runden durch, hauptsächlich zu den Themen «Pubertät», «Freiheit und Grenzen» sowie «Mehrsprachig aufwachsen». Die Themenwahl passt sie an die Bedürfnisse der Teilnehmerinnen an. Am liebsten diskutiert Mirsada über Pubertätsfragen, da dieses Thema in ihrem Bekanntenkreis sehr aktuell ist und immer gute Diskussionen entstehen.
«Am Anfang hörte man vor allem die Kinder»
Dank ihres grossen Netzwerks hat Mirsada schnell interessierte Frauen gefunden, die eine Online-Diskussion ausprobieren wollten. Sie führt wöchentlich zwei Gesprächsrunden mit bosnisch sprechenden Frauen sowie eine multikulturelle Diskussionsrunde auf Deutsch durch. Anfangs setzte sie WhatsApp ein, da die Teilnehmerinnen damit vertraut sind und somit die Hemmschwelle kleiner war. Die Teilnehmerzahl in diesen Videotelefonaten ist jedoch auf vier Personen beschränkt. Deshalb führte Nora Lechmann, Femmes-Tische-Standortleiterin des Schweizerischen Roten Kreuz, Mirsada und die anderen Moderatorinnen in die Nutzung von Zoom ein und erklärte ihnen, worauf sie bei virtuellen Runden achten sollen. Online ist die Diskussionsleitung anspruchsvoller. Da ein Teil der Mimik und Gestik wegfällt, ermüden die Gesprächsteilnehmer schneller. Deshalb dauern die virtuellen Runden statt zwei Stunden nur knapp eine Stunde.
Mit den ersten virtuellen Runden über Zoom ist Mirsada zufrieden: «Zuerst fühlte es sich seltsam an! Aber dann habe ich mich schnell an die neue Form gewöhnt», erzählt die Frau mit der positiven Ausstrahlung und fährt fort: «Am Anfang hörte man vor allem die Kinder im Hintergrund spielen, weil die Mütter vergessen haben, das Mikrofon auf stumm zu schalten». Mirsada möchte durch die virtuellen Gespräche erreichen, dass die Teilnehmerinnen die Schutzmassnahmen des Bundes kennen und wissen, wie sie das Ansteckungsrisiko mit Covid-19 senken können. Es ist ihr ein Anliegen, den Frauen die Angst zu nehmen, damit sie sich im Alltag wohl fühlen.
Gerade jetzt wichtig!
Yvonne Ledergerber, Projektleiterin Femmes-Tische Nord-Ost-Schweiz, unterstreicht die zentrale Rolle von Femmes-Tische, um während des Lockdowns Familien mit Migrationshintergrund zu erreichen: «Viele Familien erleben in Zeiten von Corona Isolation, Verunsicherung und haben Zukunftsängste. Femmes-Tische Moderatorinnen sind für sie wichtige Anker und Brückenbauerinnen. Sie sind da und hören zu; darüber hinaus geben sie Informationen weiter, vermitteln Beratungsstellen und stärken das Netzwerk.»
Der Gesprächsbedarf bei den virtuellen Runden ist entsprechend gross. Und die Frauen schätzen den Austausch. Die meisten Teilnehmerinnen sind alleine für die Kindererziehung zuständig. Sie möchten wissen, wie sie den Alltag strukturieren können, welche Aktivitäten in dieser Situation erlaubt sind und wann die Massnahmen gelockert werden. Auch das Lernen mit den Kindern stellt für viele eine Herausforderung dar. Mirsada zeigt den Müttern auf, wie sie ihre Kinder im Alltag sinnvoll beschäftigen können, ohne dabei Bildschirmmedien einzusetzen. Zudem weist sie darauf hin, dass die Lehrpersonen bei Fragen oder Überforderung mit den Hausaufgaben kontaktiert werden dürfen. Bei Fällen, in denen die Teilnehmerinnen mit der jetzigen Situation nicht zurechtkommen, empfiehlt Mirsada die SOS-Beratung vom Schweizerischen Roten Kreuz oder sucht mit der Standortleiterin eine geeignete Anlaufstelle.
Sie weiss: «In dieser Zeit sind viele Mamis damit beschäftigt, ihre Kinder zu betreuen und den Alltag zu schaffen. Für sich selber haben sie keine Zeit mehr». Deshalb möchte Mirsada für die nächsten virtuellen Runden das Thema Selbstfürsorge (Lesen Sie dazu Den Kindern und sich selber Sorge tragen) aufgreifen und gemeinsam überlegen, was den Teilnehmerinnen gut tut und wie sie kleine Auszeiten schaffen. Mit ihrer positiven Einstellung gibt Mirsada den Frauen Hoffnung und hilft ihnen, sich für ihre Bedürfnisse einzusetzen.
Sind Sie interessiert an den Femmes-Tische Runden? Melden Sie sich bei den Standortleiterinnen in Ihrer Region.
SOS-Beratung bietet das Schweizerische Rote Kreuz Kanton Zürich.
Mit «Five up» lässt sich Unterstützung einfach per App organisieren.
Weitere Corona-Hilfsaktionen finden Sie in der Übersichtskarte der Frauenzentrale Zürich.
Und zum Thema Coronavirus gibt es von der Fachstelle Integration des Kantons Zürich FI-Bulletins und Flyer in mehreren Sprachen.