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Zum kjz-BeratungsangebotTricks und Tücken beim Trockenwerden
Alle Kinder brauchen irgendwann keine Windeln mehr. Nur, wie gelangen sie dahin? Wie können Eltern sie dabei unterstützen? Und gibt es einen richtigen oder falschen Zeitpunkt fürs Trockenwerden? Der Weg ist bei jedem Kind individuell: Ein Interview mit der Erziehungsberaterin Linda Klein.
Gibt es einen richtigen Zeitpunkt um trocken zu werden?
Linda Klein: Nein, den Zeitpunkt, der für alle richtig ist, gibt es nicht. Trocken werden ist etwas sehr Individuelles. Sagen kann man aber, dass der frühste Zeitpunkt erst nach dem ersten Lebensjahr möglich ist. Davor sind Babys von ihrer neuronalen Entwicklung und den körperlichen Bedingungen her schlicht noch nicht in der Lage, Vorgänge im Körper rechtzeitig wahrnehmen oder gar kontrollieren zu können. Mit der Vorgabe des Trockenseins bei Kindergarteneintritt wird es allerdings meist vor fünf Jahren zum Thema. Trotzdem gibt es Kinder, die noch nicht vollumfänglich trocken sind, obwohl sie in Bezug auf alle anderen Entwicklungsbereiche «kindergartenreif» sind. In diesem Fall kann ein Gespräch mit der Lehrperson helfen. Oft sind einfache individuelle Lösungen möglich, beispielsweise mit Pants respektive Windelhosen.
Gibt es denn einen falschen Zeitpunkt?
Ja, den gibt es. Dann nämlich, wenn mehrere Anforderungen auf einmal für das Kind zusammen kommen. Also wenn das Trockenwerden beispielsweise mit einem Umzug zusammenfällt, der Geburt eines Geschwisters oder einer Umgewöhnungsphase. Sei das, wenn die Mutter das erste Mal wieder arbeiten geht oder es in der Krippe einen Wechsel gibt. In solchen Momenten empfiehlt es sich, noch einen Moment abzuwarten, bis die erste Angewöhnung an die neuen Umstände vorbei ist.
Den Zeitpunkt, der für alle richtig ist, gibt es nicht. Trocken werden ist etwas sehr Individuelles.
Wie lange dauert der Prozess des Trockenwerdens ungefähr?
Auch das ist sehr individuell. Es kann von heute auf morgen sein oder sich über Monate hinziehen. Es muss auch nicht zwingend schneller gehen, je älter das Kind ist. Der Prozess dauert, solange wie er dauert. Das Wichtigste ist, dass das Kind ohne Druck trocken werden kann. Wir raten dann zu einer Beratung, wenn Eltern beginnen, sich Sorgen zu machen oder wenn der Kindergarteneintritt naht. Denn das sind externe Anforderungen, die Druck bewirken können.
Welche Tipps geben Sie für die erste Phase des Trockenwerdens?
Ein offener Umgang ohne Tabus beim eigenen Toilettenverhalten ist sicher eine gute Voraussetzung. Davon ausgehend finde ich es hilfreich, wenn Eltern das Thema mit dem Kind gemeinsam, neugierig und mit einem spielerischen Forschungsgedanken angehen.
Kinder finden generell alles spannend, was neu ist und was sie in einem sicheren Rahmen erfahren dürfen. Sie wollen die Welt entdecken, genau so wie auch sich selber. Daher haben sie von Grund auf ein Interesse an ihrem Körper, ihren Ausscheidungen, am Töpfchen, am WC – sprich, an allem, was neu ist. Wichtig ist es, dem Kind bei all diesen Entdeckungen Sicherheit zu geben: Indem man da ist und mit ihm gemeinsam entdeckt. Denn so ein WC kann ja auch durchaus angsteinflössend sein. Da wird gerumpelt und gespült, etwas vom Kind Produziertes ist plötzlich weg, verschluckt von einem seltsamen Gerät. Alle Vorgänge genau zu erklären, nimmt die Unsicherheit. Und wenn man die Neugierde des Kindes spielerisch fördert, beispielsweise mit Büchern zum Thema oder ausgiebigen gemeinsamen Gesprächen, ist man auf der sicheren Seite.
Darüberhinaus sind praktische Dinge wie mobile Töpfchen, Sitzverkleinerer fürs WC und passende Kleidung zum schnellen Aus- und Anziehen sicher gute Helfer. Und als Eltern entspannt zu bleiben, ist auf jedem Wegabschnitt hilfreich. Denn Rückschritte sind jederzeit möglich – und auch ganz normal.
Was sind mögliche Anzeichen, dass das Kind bereit ist zum Trocken werden?
Das ist beispielsweise, wenn das Kind beginnt, Interesse an Dingen zu zeigen wie dem Töpfchen oder WC, an Unterhosen oder dem Inhalt seiner Windel. Anzeichen von Antizipation sind auch ein wichtiger Faktor, wenn das Kind also ankündet, dass es jetzt dann bald in seine Windeln machen muss. Das zeigt, dass es in der Lage ist, Dinge wahrzunehmen, bevor sie passieren.
Als Eltern entspannt zu bleiben, ist auf jedem Wegabschnitt hilfreich. Denn Rückschritte sind jederzeit möglich – und auch ganz normal.
Soll man als Eltern sein Kind zu diesem Schritt aufmuntern?
Im ersten Lebensjahr macht das noch keinen Sinn, weil es das Kind wie gesagt noch nicht umsetzen kann. Danach spricht nichts gegen Aufmunterung. Man muss als Eltern einfach gut unterscheiden zwischen Aufmunterung und Druck. Aufmunternd können Aussagen sein, wie: «Schau mal, hier hat es ein Töpfchen. Magst du da einmal drauf sitzen?» oder «Magst du einmal gucken, wo ich hingehe, wenn ich aufs WC gehe?» Der Unterschied zum Druck liegt oft in Feinheiten, in der Tonlage oder der Häufigkeit. Aussagen wie «Schau mal, ich habe dir ein Töpfchen gekauft, probier das doch mal aus» oder «Komm doch mal mit mir mit, ich zeige dir, wie das mit dem WC funktioniert» überschreiten die Grenze zum Druck je nach Kind bereits. Der Übergang ist fliessend. Es ist deshalb wichtig, bei aller Aufmunterung immer auf die Reaktionen des Kindes zu achten und sich über die eigene Motivation im Klaren zu sein.
Wahrscheinlich denken Eltern selten, dass sie Druck machen. Können Sie den elterlichen Druck und die Folgen davon noch etwas mehr ausführen?
Beim Druck geht es in erster Linie um die innere Haltung. Also wenn ich beispielsweise denke, mein Kind müsste doch langsam trocken sein, es aber noch nicht ist. Allgemein ist alles Druck, was mit Müssen und Sollen zu tun hat. Was hingegen mit Können und Wollen zu tun hat, entspricht mehr einer Offenheit gegenüber dem Kind und seiner Bereitschaft. Wenn Eltern merken, dass sie die eigenen Vorstellungen oder der Vergleich mit anderen Kindern unruhig machen, müssen sie aufpassen.
Druck führt in der Regel zu schlechten Erfahrungen. Es geht öfter daneben, das Kind fühlt sich vielleicht noch bestraft, weil die Eltern schimpfen, und das ganze Thema wird zu einem unangenehmen Feld für alle Beteiligten. Das Kind lernt dabei: Ich kann etwas nicht, was von mir erwartet wird. Es erfährt Hilflosigkeit und dass es nicht gut genug ist.
Wie kann man als Eltern sein Kind unterstützen?
Es gibt Voraussetzungen, auf die Eltern keinen Einfluss haben, wie die körperlichen Fähigkeiten des Kindes. Darüber hinaus geht es auch um Dinge wie Vertrauen, Frustrationstoleranz, Selbstkontrolle oder die Fähigkeit des Bedürfnisaufschubes – beispielsweise wenn es eigentlich dringend muss, aber gerade viel lieber weiterspielen möchte.
Unterstützen kann man sein Kind einerseits mit der eigenen Haltung und indem man Rückschritte oder Pannen gelassen angeht, andererseits indem man auf die geäusserten Bedürfnisse eingeht. Das ist aber in jedem Fall individuell. Die einen wollen auf jeden Fall alleine aufs Klo gehen, die anderen auf gar keinen Fall. Die einen sind offen für Windeln in kritischen Situationen, bei den anderen löst das Wutanfälle aus. Einige reagieren total gestresst, wenn Eltern alle fünf Minuten nachfragen, andere reagieren unbeeindruckt darauf.
Allgemein kann man sein Kind da unterstützen, wo es das selber noch nicht kann – also vor allem beim Vorausdenken und Planen. Steht zum Beispiel eine lange Busfahrt bevor oder wird demnächst der Geburtstagskuchen angeschnitten und viel Aufregung ist vorprogrammiert, kann man vorher noch eine unkomplizierte allgemeine WC-Runde für alle durchführen. Tippelt das Kind beim Spielen vom einen Bein aufs andere, presst es die Beine zusammen oder drückt es die Hand in den Schritt, kann man sagen, dass es sowieso gerade Zeit für eine kurze Spielpause ist, beispielsweise mit einem Apfel, einem Glas Wasser und einer vorgängigen WC-Runde. So entlastet man das Kind vom Druck, weiterzuspielen.
Allgemein kann man sein Kind da unterstützen, wo es das selber noch nicht kann – also vor allem beim Vorausdenken und Planen.
Vielleicht ist man als Eltern auch mit der Vorstellung konfrontiert, dass Kinder in Ländern ohne grosse Windelindustrie von ganz klein an trocken sind, und das deshalb auch hierzulande früh gelingen muss.
In manchen Ländern ist der Umgang mit dem Nachwuchs und auch den Ausscheidungen ganz anders als bei uns. Kleinkinder werden einerseits oft getragen, was die Achtsamkeit vereinfacht und ein kurzes Weghalten ermöglicht, wenn es nötig ist. Andererseits ist die Ausscheidung nicht so tabuisiert und industrialisiert wie bei uns, weshalb das Weghalten auch nichts Verpöntes ist. Aber wie bereits gesagt, kein Kind ist im ersten Lebensjahr fähig, trocken zu sein. Deshalb ist es auch nichts Seltenes, Mütter mit nassen Streifen auf dem Rücken herumlaufen zu sehen.
Wie unterstützen Sie Eltern in Ihren Beratungen?
Wir sitzen gemeinsam mit den Eltern zusammen und besprechen ihre Situationen und Fragen genau. Das heisst, wir schauen, in welchen Situationen es funktioniert und in welchen nicht, und überlegen uns Lösungen. Die Situationen sind immer ganz individuell, oft geht es aber darum, Druck wegzunehmen.
Wann raten Sie zum Projektabbruch?
Dazu raten wir, wenn der Frust für Eltern oder Kind zu gross wird. Sobald das Kind oder die Eltern nicht mehr entspannt sind, empfehlen wir, lieber nochmals zwei Felder zurückzugehen und es später unter entspannteren Bedingungen noch einmal zu versuchen. So kann der Prozess für alle zum Erfolgserlebnis werden.