Schreibaby – Eltern erzählen

«Ob Fliegerposition, Dampfabzug oder Haarföhn – unser Baby weinte stundenlang»

Alle Babys schreien gele­gent­lich. Einige schreien aber deut­lich öfters. So oft und während endlo­ser Stunden, dass es die Eltern bei aller Liebe komplett erschöp­fen kann. In zwei Erfah­rungs­be­rich­ten erzäh­len Betrof­fene, was das für sie bedeu­tete und was ihnen damals gehol­fen hätte. 

Ein Erfah­rungs­be­richt von Sarina Lehmann*

Streik beim Fami­li­en­glück

Wird man Eltern, malt man sich diese roman­ti­schen Bilder aus, wie man als Familie glück­lich loszie­hen, die Umge­bung erkun­den oder durch die Stadt flanie­ren wird. Sobald wir jedoch etwas Derar­ti­ges unter­nah­men, weinte Laila* nur noch. Sie reagierte so sensi­bel auf jegli­che äusse­ren Reize und Verän­de­run­gen, dass es am einfachs­ten war, haupt­säch­lich zuhause zu bleiben. Aber auch da weinte Laila unzäh­lige Stunden am Tag. Für ein Neuge­bo­re­nes schlief sie zudem ausser­ge­wöhn­lich wenig. Die Kinder­ärz­tin meinte, das sei eine wunder­bare Ausnahme, doch für uns bedeu­tete die viele Wach­zeit: noch mehr Weinen. Unser Anfang fühlte sich ein biss­chen an wie ein Fami­li­en­glück, bei dem der dritte Teil einfach nicht mitmachte. Das brachte uns oft an unsere Grenzen.

Eine schwie­rige Geburt

Lailas Geburt war schwie­rig und auch nach der Geburt ging es mir nicht gut. Ich hatte das HELLP-Syndrom, eine schwer­wie­gende Form einer Schwan­ger­schafts­ver­gif­tung, weshalb ich länger im Spital blieb als gewöhn­lich und drei Tage nach der Entlas­sung notfall­mäs­sig wieder zurück­keh­ren musste. Bereits im Spital weinte Laila viel. So viel, dass uns die Ärztin beim zweiten Spital­auf­ent­halt ein Ulti­ma­tum stellte; entwe­der Laila gehe nach Hause oder mein Mann über­nehme die Betreu­ung im Spital, ihr Perso­nal habe die Kapa­zi­täts­grenze erreicht.

Lange dachte ich, der schwie­rige Start habe einen Zusam­men­hang mit Lailas Weinen, dass sie nicht bekam, was sie gebraucht hätte. Irgend­wann hörten wir aber auf, nach den Gründen zu suchen, es belas­tete nur noch zusätz­lich und letzt­lich konnten wir damit doch nichts verän­dern. 

Alles Erdenk­li­che auspro­biert – bis zum entschei­den­den Tipp

Von der Flie­ger­po­si­tion, über Auto­fah­ren, Musik­hö­ren oder Tanzen bis hin zum Dampf­ab­zug oder Haar­föhn probier­ten wir alles aus, was wir an Tipps finden konnten. Am besten halfen noch unebene Wege beim Spazie­ren. Die Dorf­strasse mit Kopf­stein­pflas­ter vor unserem Haus lief ich endlos auf und ab, in wilden Fahrten möglichst über Rand­steine, denn sobald es nicht mehr ruckelte, wachte Laila auf.

Hatte sie einmal Schlaf gefun­den, liess ich augen­blick­lich alles stehen und liegen, schlich nur noch flüs­ternd und auf Zehen­spit­zen durch die Wohnung. Schlug draus­sen eine Autotür zu oder heulte ein Laub­blä­ser auf, war ich wie auf Nadeln. Unsere Hebamme meinte, mit diesem Schon­ver­hal­ten solle ich aufhö­ren, als unsere Nach­barn ihre Wohnung reno­vier­ten, hätte ich die Bauar­bei­ter aber schlicht ermor­den können, alle­samt. Wenn Laila einmal schlief, war mir jede Minute heilig.

Die Bauar­bei­ter hätte ich ermor­den können, alle­samt.

Den entschei­den­den Tipp fanden wir schliess­lich in einem Buch: Verde­cken Sie dem Kind die Augen. Was so einfach klingt, bewirkte bei Laila Wunder. Ganz immer half es nicht, doch es entlas­tete uns stark, in der Flie­ger­po­si­tion und mit einem kleinen Tuch über den Augen fand Laila meist etwas Ruhe. 

Die Belas­tung war gross

Körper­lich kam ich mit den Anstren­gun­gen relativ gut zurecht, denn sobald Laila schlief, war auch ich sofort weg. Emotio­nal war es schwie­ri­ger. Ist man am Ende jeden Tages nur froh, ist ein weite­rer Tag um und das Kind somit ein weite­rer Tag älter, tut das weh. Gleich­zei­tig war es aber auch genau das, was mir die Gewiss­heit gab: Irgend­wann wird es vorbei sein. Und so war es auch. Nach etwa vier Monaten hörte das Schreien vom einen auf den anderen Moment auf. Wir konnten es kaum glauben – wie wenn jemand einen Knopf gedrückt hätte.

Nie an Schüt­teln gedacht – das Verständ­nis ist aber da

Am Punkt, an dem ich mein Kind geschüt­telt hätte, bin ich nie ange­langt. Dafür bin ich unend­lich dankbar. Dass es einen in eine solche Notsi­tua­tion bringt, kann ich aber schon ein Stück weit verste­hen. Ich glaube nicht, dass es aus einer gewalt­tä­ti­gen Moti­va­tion geschieht, sondern als Reak­tion aus purer Verzweif­lung. Man muss sich aber immer vor Augen führen: Es geht vorbei! Denn das wird es.

Was mir gehol­fen hätte

Damals habe ich mich nicht getraut, um Hilfe zu bitten. Doch ich hätte auch nicht gewusst, wen ich hätte fragen können. Unsere Eltern waren ander­wei­tig einge­bun­den und in unserem Umfeld hatten alle selbst kleine Kinder. Da wollte ich nieman­den zusätz­lich belas­ten mit meinem schrei­en­den Baby, ich hätte ein perma­nent schlech­tes Gewis­sen gehabt. Hinzu kam, dass uns unsere Erzäh­lun­gen auch kaum jemand glaubte. Also redete ich mir ein, dass wir das selber schaf­fen, und orien­tierte mich an unserer Hebamme, die mich zum Durch­hal­ten moti­vierte. Doch die Zweifel an mir waren oft gross.

Man muss sich immer vor Augen führen: Es geht vorbei! Denn das wird es.

Im Nach­hin­ein denke ich, dass externe Hilfe viel Erleich­te­rung hätte bringen können. Irgend­wann gibt es zwar keine weite­ren Tipps mehr, dennoch wären Verständ­nis und Zuver­sicht von anderen Betrof­fe­nen wohl­tu­end. Auch hätte es sicher gutge­tan, hätte jemand einmal gesagt: «Ich weiss, dein Kind weint. Aber es macht mir nichts aus, ich über­nehme nun eine Stunde lang.»

Was ich anderen Eltern empfeh­len würde

Beim ersten Kind hat man ja oft dieses beklem­mende Gefühl, man mache alles falsch. Findet man kaum einen Weg, sein Kind zu beru­hi­gen, ist dieser Gedanke natür­lich noch viel präsen­ter. Doch man mag nicht immer gleich starke Nerven haben, muss sich aber wieder vor Augen führen, dass man dieses kleine Wesen nicht im Stich lässt. Man beglei­tet es in seinem Weinen und zeigt ihm, dass man da ist. Das ist für mich auch heute noch ein beru­hi­gen­der Gedanke.

* Namen durch die Redak­tion geän­dert

Drei Empfeh­lun­gen von kjz-Exper­tin Nadine Lampar­ter

  1. Exzes­si­ves Weinen kann Eltern an ihre Grenzen bringen. Es kann Verzweif­lung, Erschöp­fung, aber auch Wut auslö­sen. Reden Sie über diese Gefühle.
  2. Babys, die viel weinen, sind oft schwie­rig zu «lesen». Meist lassen sich durch genaues Hinschauen und die Hilfe von Fach­per­so­nen nütz­li­che Stra­te­gien finden. Zögern Sie nicht, früh Hilfe zu holen.
  3. Schüt­teln Sie auf keinen Fall Ihr Kind! Selbst leich­tes Schüt­teln des Kindes kann lebens­ge­fähr­lich sein. Wenn Sie am Ende Ihrer Kräfte sind und wütend auf das Kind werden, legen Sie es ins Bett oder an einen siche­ren Ort und verlas­sen Sie das Zimmer.
    Es ist besser, das Kind kurz weinen zu lassen, als etwas Unüber­leg­tes zu tun.

Mehr zum Thema im Beitrag mit der kjz-Exper­tin Nadine Lampar­ter

Fach­stel­len

Bei folgen­den Fach­stel­len finden Eltern in Not im Kanton Zürich Unter­stüt­zung: