Interview mit Psychologin Sandra Grubenmann Lieske

Urlaubsreif mit Teenagern

Familie Müller verreist in die Ferien. Doch die Inter­es­sen von Sohn Tim, 17, und Tochter Mia, 14, liegen komplett woan­ders als die der Eltern. Das bedeu­tet in erster Linie eines – Streit. Sandra Gruben­mann, Psycho­lo­gin und Erzie­hungs­be­ra­te­rin im kjz Kloten erklärt, wie Ferien mit Jugend­li­chen nicht zum Stress­fak­tor werden und ab wann man sie alleine ziehen lassen kann.

Viele Jugend­li­che wie Tim und Mia haben irgend­wann keine Lust mehr auf Fami­li­en­fe­rien. Weshalb?
Sandra Gruben­mann: Es gehört zur Auto­no­mie­ent­wick­lung von Jugend­li­chen, dass sie eigene Persön­lich­kei­ten mit eigenen Inter­es­sen und Haltun­gen werden. Das ist völlig normal. Doch meist entwi­ckeln sie sich dabei schnel­ler als ihre Eltern. Das kann die Eltern in Krisen stürzen, wenn die Jugend­li­chen plötz­lich nicht mehr mitkom­men wollen. Sie fragen sich viel­leicht, was sie falsch gemacht haben. Solche Krisen bergen aber immer auch Verän­de­run­gen und Chancen in sich. Die Eltern wissen dann, dass in abseh­ba­rer Zeit beispiels­weise auch wieder Ferien zu zweit oder mit Freun­den möglich werden.

Wie können Jugend­li­che dennoch für Fami­li­en­fe­rien begeis­tert werden?
Es hilft, wenn man vor den Ferien bespricht, welche Inter­es­sen und Erwar­tun­gen bestehen und die Inter­es­sen der Jugend­li­chen auch ernst nimmt. Dabei sollten auch die «Do’s and Dont’s» der Ferien geklärt werden – lesen Sie dazu mehr im Artikel Entspannte Ferien mit der Familie. Danach gilt es, Kompro­misse zu schlies­sen. Dazu gehört auch, dass die Eltern auf die Anlie­gen der Jugend­li­chen einge­hen – zum Beispiel, indem sie einen Game-Tag einpla­nen oder einen Vergnü­gungs­park besu­chen. Wenn die Eltern über ihren Schat­ten sprin­gen, können sie das auch von den Jugend­li­chen erwar­ten.

Am Urlaubs­ort ange­kom­men - nun möchten die Eltern wandern, die Kinder lieber im Hotel bleiben. Wie können solche Konflikte gelöst werden?
Dies ist sehr indi­vi­du­ell, aber es hilft, vor den Ferien zu klären, ob man alles gemein­sam unter­nimmt oder auch getrennt Zeit verbringt. Wenn man etwas gemein­sam unter­nimmt, das die Jugend­li­chen nicht wollen, hilft es wenig, eine Diskus­sion zu starten. Wie zum Beispiel: «Weshalb findest du immer das, was wir machen wollen, doof?» Eine bessere Methode ist es, zu sagen «Ihr müsst mitkom­men, aber die schlechte Laune dürft ihr auch mitneh­men.» Es kann sein, dass die schlechte Laune irgend­wann verfliegt. Wenn nicht, ist das auch in Ordnung. Dann hilft Gelas­sen­heit. Man kann sich sagen: «Okay, die schlechte Laune ging nicht weg, aber die Phase geht bald vorbei.»

Mia und Tim haben nach der Wande­rung neue Bekannt­schaf­ten gemacht. Nun wollen sie mit den neuen Freun­den in eine lokale Bar. Die Eltern haben ein mulmi­ges Gefühl. Was tun?
Die Eltern haben eine Aufsichts­pflicht. Hier gilt das gleiche, wie Zuhause: Eltern müssen wissen, mit wem die Jugend­li­chen unter­wegs sind, wo sie hin wollen, wann sie nach Hause kommen und wie sie erreich­bar sind. Gerade in den Auslands­fe­rien, wenn man die Regeln in den Ländern nicht genau kennt, ist es auch in Ordnung, «Nein» zu sagen, wenn man ein mulmi­ges Gefühl hat. Man sollte den Jugend­li­chen erklä­ren, weshalb es nicht geht und die schlechte Laune akzep­tie­ren, die sie dann haben werden.

Nach einer Woche liegen die Nerven blank. Anstatt Erho­lung strei­ten die vier mehr als Zuhause. Wie können sich die Eltern trotz­dem entspannen?
Es kommt oft vor, dass die Strei­te­reien in den Ferien zuneh­men, da man sich näher ist und mehr Zeit mitein­an­der verbringt. Hier gilt es, räum­li­che Distanz herzu­stel­len, um die Gefühle zu regu­lie­ren. Aus Wut und Enttäu­schung heraus entste­hen selten gute Gesprä­che oder brauch­bare Lösun­gen. Wenn man als Eltern zu zweit ist oder wenn es möglich ist, die Jugend­li­chen alleine zu lassen, kann es hilf­reich sein, dass man etwas Zeit alleine für sich in Anspruch nimmt und emotio­nale wie räum­li­che Distanz gewinnt. Dies ist wichtig, um sich zu erholen und den Teufels­kreis zu durch­bre­chen.


Wieder Zuhause verkün­det Tim bereits beim Auspa­cken, dass er nächs­tes Jahr alleine verrei­sen möchte. Was müssen die Eltern dabei beachten?
Es gibt kein biolo­gi­sches Alter, ab wann die Kinder alleine reisen können. Das macht auch Sinn, denn die Jugend­li­chen entwi­ckeln sich unter­schied­lich. Der Impuls sollte aber von den Jugend­li­chen kommen und nicht von den Eltern. Dann gilt es abzu­schät­zen, ob man das Vertrauen in die Kinder hat und was möglich ist. Insbe­son­dere bei Reisen ins Ausland ist es wichtig, zu prüfen, ob die Jugend­li­chen über­haupt ohne Eltern verrei­sen dürfen.

Und was, wenn das Vertrauen nicht besteht?
Dann ist es wichtig, «Nein» zu sagen und gleich­zei­tig den Kindern eine Zukunfts­per­spek­ti­ven aufzei­gen. Sie können sagen: «Dieses Jahr geht das noch nicht, aber in wenigen Jahren kannst du ohne uns verrei­sen.» Und dann muss man die Wut und die Enttäu­schung aushal­ten. In der Regel verpufft der Ärger auch wieder. Wenn der Streit deswe­gen immer wieder aufflammt, kann es helfen, gemein­sam als Familie eine Bera­tungs­stelle wie das kjz aufzu­su­chen. Da sollte man sich nicht davor scheuen, denn es hilft, wenn jemand neutra­les dabei ist.

Auch Mutter Erika über­legt sich, dass es toll wäre, wieder einmal alleine zu verreisen.
Eltern haben auch das Recht auf Erho­lung. Man sollte sich das aber in Ruhe über­le­gen und nicht nach einem Streit in den Ferien im Impuls handeln. Wenn Eltern ohne ihre Kinder verrei­sen, ist es wichtig, dass sie den Jugend­li­chen vertrauen, für die sturm­freie Zeit zuhause. Wenn man dieses Vertrauen (noch) nicht hat, können viel­leicht Betreu­ungs­per­so­nen helfen, in dieser Zeit aufzu­pas­sen. Auch ist es gut, so etwas mit den Jugend­li­chen früh genug zu bespre­chen. Wenn sie nicht längere Zeit alleine bleiben wollen, ist es besser, noch etwas zu warten. Aber egal, ob die Eltern oder die jugend­li­chen Kinder mit getrenn­ten Ferien nicht einver­stan­den sind: Es ist nur aufge­scho­ben, nicht aufge­ho­ben.

Sandra Gruben­mann Lieske

Sandra Grubenmann Lieske, lic. phil. Psychologin, studierte an der Universität Zürich Psychologie, Psychopathologie des Kindes- und Jugendalters und Sozialpädagogik. Nach dem Studium arbeitete sie in einem Kinder- und Jungendheim sowie in der aufsuchenden Familienarbeit (ausgebildet KOFA-Familienbegleiterin), bevor sie 2014 im kjz Kloten als Erziehungsberaterin ihre jetzige Tätigkeit aufnahm. 2019 beendete sie die Grundausbildung am Ausbildungsinstitut Meilen in systemischer Beratung und Therapie.

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