Das sagt der kjz-Experte

Vater werden – und sich in der neuen Rolle zurechtfinden

Die Geburt des ersten Kindes bringt grosse Verän­de­run­gen ins Leben der Eltern. Plötz­lich müssen sie eine Doppel­rolle bewäl­ti­gen, die sie vorher nicht kannten: als Frau und Mutter respek­tive als Mann und Vater. Ein Gespräch mit Daniel Bünter, dem ersten Väter­be­ra­ter des Kantons Zürich, über Rollen­den­ken, väter­li­che Iden­ti­täts­fin­dung und die Ansprü­che der Väter an sich selbst.

Mit welchen gesell­schaft­li­chen Erwar­tun­gen werden junge Väter heute konfron­tiert?
Daniel Bünter: Die Ansprü­che an junge Väter haben im Vergleich mit frühe­ren Gene­ra­tio­nen zuge­nom­men und sich stark gewan­delt. Unter­su­chun­gen belegen, dass der Anteil an Männern, die sich in der Haus­ar­beit und in der Betreu­ung von Kindern betei­li­gen, in den letzten Jahren deut­lich zuge­nom­men hat. Diese Entwick­lung steht sicher­lich in Zusam­men­hang mit der gesell­schaft­li­chen Erwar­tung, dass sich der Mann im häus­li­chen und erzie­he­ri­schen Kontext mehr einbrin­gen soll. Proble­ma­tisch dabei ist, dass die Väter oft an den Müttern gemes­sen werden, weil sie noch nicht mit voran­ge­gan­ge­nen Gene­ra­tio­nen von Vätern vergli­chen werden können. Väter haben aber Unter­schiede zu Müttern und umge­kehrt. Der moderne Vater muss nicht die neue Mutter sein.

Gleich­zei­tig werden aktive Väter sehr schnell hoch­ge­ju­belt und bestaunt. Ist das nicht ein Wider­spruch zum gewan­del­ten Rollen­bild?
Absolut. Er zeigt, dass die verän­der­ten Rollen­bil­der noch zu wenig gefes­tigt und selbst­ver­ständ­lich sind. Das hängt damit zusam­men, dass die Gesell­schaft den Vätern aufgrund stereo­ty­per Vorstel­lun­gen gewisse Kompe­ten­zen abspricht und ihnen nicht gleich­viel zutraut wie den Müttern. Studien belegen aber, dass Väter ihre Kinder nicht weniger gut betreuen als Mütter. Sie machen es viel­leicht anders, aber grund­sätz­lich nicht schlech­ter.

Der moderne Vater muss nicht die neue Mutter sein.

Basiert die gleich­be­rech­tigte Aufga­ben­tei­lung nicht auch auf einem gestie­ge­nen Bedürf­nis der Männer, ein wesent­li­cher Teil des Fami­li­en­le­bens zu sein?
Ja, bestimmt. Als Väter­be­ra­ter erlebe ich oft, dass das Enga­ge­ment der Väter in der Familie ihrem persön­li­chen Wunsch entspricht. Viele Väter wollen sich aktiv um die Betreu­ung und Entwick­lung ihrer Kinder kümmern. Sie wollen vermehrt nicht mehr das tradi­tio­nelle Fami­li­en­bild pflegen, bei dem der Mann arbei­tet und die Frau den Haus­halt führt und die Kinder betreut. Das zeigt sich zum Beispiel dann, wenn Eltern sich trennen und das Sorge­recht gere­gelt wird. Immer mehr Väter begnü­gen sich nicht mehr damit, ihre Kinder einmal alle zwei Wochen für ein Wochen­ende zu sehen. Sie wollen sich ihren Kindern auch während der Woche anneh­men.

Hat das Modell des Ernäh­rers und Fami­li­en­ober­haupts also ausge­dient?
Wir sind erst auf dem Weg zu einer gleich­be­rech­tig­ten Rollen­tei­lung im Fami­li­en­all­tag. Studien zufolge entspricht dies dem Willen einer Mehr­heit der werden­den Eltern. Wenn die Familie aber da ist, verfal­len die Eltern schnell wieder in tradi­tio­nelle Muster. So gibt es immer noch sehr viele Fami­lien, in denen haupt­säch­lich der Vater arbei­tet und die Mutter die Kinder betreut. Die tradi­tio­nel­len Rollen­bil­der sind weiter­hin in unseren Köpfen veran­kert. Der Prozess ist ein lang­wie­ri­ger und er muss auf breiter Front mitge­tra­gen werden – poli­tisch, wirt­schaft­lich, aber auch in der Forschung. So steckt die Väter­for­schung noch tief in den Kinder­schu­hen.

Macht den Männern ihre Doppel­rolle als Berufs­tä­ti­ger und Fami­li­en­va­ter zu schaf­fen?
Bei Vätern wird das Thema oft tabui­siert. Während man bei den Müttern von Mental Load, Verein­bar­keits­di­lemma oder Doppel­be­las­tung spricht, geht das Thema bei den Vätern weit­ge­hend unter. Betrof­fen sind sie aber genauso. Viel­leicht sind die Männer noch nicht so weit, offen darüber zu reden – viel­leicht wegen stereo­ty­per Bilder wie «Der Mann darf keine Schwä­che zeigen». Ich wünschte mir eine offe­nere Kommu­ni­ka­tion zwischen den Geschlech­tern, aber auch unter den Vätern und Männern. Bei allem Schönen, was eine Familie mit sich bringt, die Verein­bar­keit von Beruf und Familie kann sehr belas­tend sein.

Wer sich zu 100 Prozent für die Familie aufop­fert, läuft Gefahr, persön­lich zu verküm­mern.

Wie findet man seine neue Iden­ti­tät als Mann und Vater?
Die Rollen­fin­dung ist grund­sätz­lich ein dyna­mi­scher Prozess, bei dem man sich an Verän­de­run­gen anpasst, sich selbst reflek­tiert und auslo­tet, was die eigenen Bedürf­nisse und die Bedürf­nisse der Familie sind. Es gibt kein allge­mein­gül­ti­ges Rezept. Ich glaube aber, dass der Austausch und das Gespräch mit anderen Vätern helfen. Das erlebe ich persön­lich als Fami­li­en­va­ter als sehr berei­chernd. Denn es bringt mich dazu, eine Aussen­sicht einzu­neh­men, was für die Selbst­re­fle­xion zwin­gend ist.

Was können Männer tun, damit sie sowohl ihrem Selbst­ver­ständ­nis als Mann als auch ihrer Rolle als Vater gerecht werden?
Das ist eine provo­ka­tive Frage, weil sie impli­ziert, dass das Vater­sein das Mann­sein konkur­riert. Ich persön­lich hatte nie das Gefühl, dass ich als Papa weniger Mann bin. Im Gegen­teil: Das Vater­sein ist eine Erwei­te­rung des Mann­seins – und keine Ablö­sung. Grund­sätz­lich sollte es immer Möglich­kei­ten geben, um eigene Bedürf­nisse in einem für die Familie vernünf­ti­gen Zeit­rah­men zu befrie­di­gen. Wer sich zu 100 Prozent für die Familie aufop­fert, läuft Gefahr, persön­lich zu verküm­mern. Stich­wort Selbst­für­sorge. Wichtig ist dabei, dass man sich dessen bewusst ist und sich als Eltern darüber austauscht.

Schlaf­man­gel, wenig Zeit und Raum für sich selbst, Über­for­de­rung … wie können junge Eltern Bezie­hungs­pro­ble­men entge­gen­wir­ken?
Mit der Geburt des ersten Kindes entsteht aus einer Part­ner­schaft plötz­lich eine Drei­ecks­be­zie­hung. Das bringt erheb­li­che Heraus­for­de­run­gen mit sich. Wichtig ist, dass es ein ausge­wo­ge­nes Dreieck ist und die Eltern einen steti­gen Austausch pflegen. Väter entwi­ckeln manch­mal das Gefühl, sich ausge­schlos­sen zu fühlen, und distan­zie­ren sich dann vom Gesche­hen. Dies hat auch einen nega­ti­ven Einfluss auf den Bindungs­auf­bau zwischen Kind und Vater. Wenn dieses Problem nicht früh­zei­tig erkannt und ange­gan­gen wird, kann die Part­ner­schaft ausein­an­der­bre­chen. In solchen Situa­tio­nen müssen Eltern unbe­dingt den Mut aufbrin­gen, sich externe Hilfe zu holen. Da gibt es ganz gute Stellen wie die Paar­be­ra­tung und Media­tion des Kantons Zürich.

Die Väter können ihren Kindern erwie­se­ner­mas­sen genauso gut Fürsorge und Gebor­gen­heit geben wie die Mütter.

In der Zeit unmit­tel­bar nach der Geburt brau­chen Mütter beson­ders Unter­stüt­zung. Wie und wo sollten sich die Männer einbrin­gen?
Während der Wochen­bett­phase ist es beson­ders hilf­reich, wenn der Vater den Haus­halt managt, Einkäufe tätigt und Frau und Kind inten­siv umsorgt. Ausser­dem kann er die Rolle als Gate­kee­per einneh­men, indem er den Ansturm besuchs­wil­li­ger Verwand­ter und Freunde im Zaum hält und dadurch Frau und Kind zu viel Stress erspart. Und natür­lich sind Wert­schät­zung und Empa­thie nie verkehrt. Gerade in der Anfangs­zeit sind Eltern oft mit Fragen und Zweifel konfron­tiert. Da ist es wichtig, dass sich die Eltern Verständ­nis entge­gen­brin­gen und sich gegen­sei­tig stützen.

Umge­kehrt gefragt: Wie können die Mutter und das fami­liäre Umfeld den Vater unter­stüt­zen?
Gerade wenn Väter sich enga­gie­ren und Verant­wor­tung über­neh­men wollen, ist es wichtig, dass die Mütter ihnen dies auch zutrauen – zum Beispiel, dass sie mit dem Nach­wuchs auch alleine Zeit verbrin­gen. Denn, ich habe es vorhin bereits erwähnt, die Väter können ihren Kindern erwie­se­ner­mas­sen genauso gut Fürsorge und Gebor­gen­heit geben. Sie machen es viel­leicht anders, aber das ist in Ordnung.

Daniel Bünter ist der erste Väterberater im Kanton Zürich.

Daniel Bünter

Daniel Bünter ist der erste Väterberater im Kanton Zürich. Der gelernte Konstrukteur war lange Zeit in der Kinder- und Jugendarbeit tätig und hat 2010 das Studium in Sozialer Arbeit abgeschlossen. Er verfügt dank Weiterbildungen und Berufspraxis über Erfahrung in ressourcen- und lösungsorientierter Beratung und im Case Management. Daniel Bünter ist Vater von zwei Kindern im Primarschulalter.