«Herrgott nochmal, mein Kind …» – und warum sich der Blick auf die positiven Seiten trotzdem lohnt
Veröffentlicht am von Martina Friedli
Am 19. Juni findet der kantonale Elternbildungstag statt, mit einleitendem Fachreferat und acht Workshops zu Erziehungsthemen rund um den Familienalltag. Ein Workshop handelt vom Fokus auf die positiven Seiten seiner Kinder – gerade auch in Momenten, in denen die eigene Brille so gar nicht rosa ist und die Nerven arg an ihre Belastungsgrenze kommen.
«Klar habe ich schon anspruchsvolle Situationen im Erziehungsalltag erlebt, da gibt es tausende von Beispielen», sagt Patrizia Luger Holenstein lachend. Sie ist Workshop-Leiterin, Mutter von drei Buben und ursprünglich gelernte Kleinkinderzieherin. «Konflikte zwischen meinen Jungs beispielsweise, die mich zum Wahnsinn treiben. Ebenfalls mag ich mich an Situationen damals in der Kita erinnern, gerade an Konstellationen von mehreren Kindern zwischen zwei bis vier Jahren, alle mitten in der Autonomiephase. Da wollen sie alles selber machen – und zwar ganz genau nach ihrem Willen.» Wie man in solchen Situationen trotz strapazierter Nerven nicht in eine Negativspirale kommt, erklärt sie im Workshop «Achte auf die positiven Seiten deines Kindes».
Aufgrund hoher Nachfrage ist der Workshop bereits ausgebucht. Als Teil der mehrteiligen Kursreihe «Starke Eltern – Starke Kinder®» wird der Kursinhalt aber auch unabhängig vom Elternbildungstagunter dem Dach von Kinderschutz Schweiz in regelmässigen Abständen angeboten.
Für fürs Leben gut gibt Patrizia Luger Holenstein Einblick ins Thema. Denn das Ziel des Workshops klingt wertvoll: Eltern sollen den freudigen und schönen Momenten im Alltag mehr Platz einräumen und diese besser geniessen können.
Frau Luger Holenstein, Hand aufs Herz: Wird es turbulent im Familienalltag, stehen die Probleme schnell im Vordergrund. Was wäre eine Methode, um den Blick in konfliktreichen Zeiten wieder zurück auf das Positive zu lenken?
Patrizia Luger Holenstein: Im Workshop schauen wir hierzu beispielsweise die Fünf-Finger-Methode an: In einem ruhigen Moment setze ich mich mit dem Kind hin und zeichne seine Hand mit allen fünf Fingern auf ein Blatt Papier. Anschliessend richte ich den Blick auf alle seine positiven Seiten und schreibe in jeden gezeichneten Finger eine gute Eigenschaft. Dadurch verschiebe ich bewusst meinen Fokus, im Sinne von: ICH will meinen Blick ändern und ich tue es nun auch. Das Kind muss nicht mithelfen, es darf dabei sein und zuhören. Gleichzeitig kann es aber auch daran wachsen, da es in einer schwierigen Situation hören darf, was es alles gut macht.
Und was wäre eine Notfall-Methode, wenn der allerletzte Strick zu reissen droht?
In meinen Kursen arbeite ich in Bezug auf angespannte Situationen mit dem Bild einer Wuttreppe: Darauf bin ich unterwegs, Schritt für Schritt, immer weiter nach oben. Doch auf dieser Treppe gibt es immer einen Notausstieg. Nur muss ich mir diesen Ausstieg vorher überlegen, wie eine Art Notfallplan. Dafür muss ich mich fragen, über welche Strategien und Werkzeuge ich verfüge, die ich in solchen Momenten anwenden kann.
Bei einem meiner Söhne bewährt sich beispielsweise ein Codewort, das wir zusammen abgemacht haben. Sobald das Wort fällt, dürfen beide abbrechen, sogar einfach davon laufen ist erlaubt. Mein Sohn durfte den Begriff selbst wählen. Lustigerweise wählte er «Notausstieg», da er mich einmal dabei beobachtet hatte, wie ich einen meiner Kurse vorbereitete und eine Wuttreppe aufzeichnete. Das Bild faszinierte ihn, weshalb er nachfragte und sich später für dieses Wort aus meiner Erklärung entschied.
Auch der reflektierende Blick der Eltern auf sich selbst ist Thema Ihres Workshops. Welche Fragen stehen dabei im Zentrum?
Ich lade Eltern immer dazu ein, ihre Haltung zu reflektieren. Und zwar sowohl dem Kind als auch sich selbst gegenüber. Hilfreich ist auch, regelmässig zu überprüfen, ob die elterlichen Feedbacks alles enthalten, auch das Positive. Auch finde ich allgemein wichtig, über die eigene Kommunikation nachzudenken: Ist sie wertschätzend? Oder eher anklagend? Die anklagende Kommunikation findet oft in Form von Du-Botschaften statt, eine Form, in die wir nur allzu schnell rutschen können.
Würden Sie die Haltung noch etwas genauer ausführen?
Ich unterstütze Eltern gerne bei einer Okay-Okay-Haltung. Damit meine ich eine Haltung im Sinne von: Mein Kind ist okay, mit allen Gefühlsausbrüchen, Eigenschaften und Macken, die es hat; und genauso bin auch ich okay, mit all meinen Bedürfnissen, Ecken und Kanten. In dieser Haltung gelingt es viel besser, sich in schwierigen Situationen nur auf das Verhalten zu konzentrieren und es kann schneller zu konstruktiven Begegnungen mit dem Kind kommen.
Ideal ist natürlich, wenn man diese Okay-Okay-Haltung auch dann einnehmen kann, wenn’s brennt. Einfach ist das nicht, aber man kann es üben. Und je vertrauter diese Haltung in unkritischen Situationen ist, umso besser gelingt sie auch in schwierigeren Momenten.
Kantonaler Elternbildungstag – Eine Tagung rund um Familie und Erziehung
Der kantonale Elternbildungstag der Geschäftsstelle Elternbildung findet einmal im Jahr statt. In Fachreferaten und Workshops zu Erziehungsthemen erhalten Sie Anregungen für Ihren Familienalltag.