Was bei Trennungen in Bezug auf Kinder wichtig ist (Teil 1)
Trennungen sind schmerzhaft und aufwühlend für alle Beteiligten. Doch so überfordernd sie für Eltern oft sind, für Kinder sind die Herausforderungen mindestens genauso gross. kjz-Expertin Simone Gruen-Müller geht bei wichtigen Schritten in diesem Prozess auf die Kindersicht ein.
Simone Gruen-Müller ist Kinder- und Jugendpsychotherapeutin und Erziehungsberaterin im kjz Affoltern. Im ersten Teil geht die kjz-Expertin auf die Bedürfnisse von Kindern, die Mitteilung des Trennungsentscheids sowie die sensible Gruppe der Jugendlichen ein.
Kindersicht und Bedürfnisse
Zusammenfassung
- Kinder haben oft viele Ängste, trotzdem müssen Trennungen nicht zwingend negativ sein.
- Entscheidend ist: Kinder brauchen Eltern, die für sie da sind und ihre Bedürfnisse nicht aus den Augen verlieren.
- Und: Kinder sollen aus dem Paarkonflikt herausgehalten werden.
- Kleinere Kinder brauchen Regelmässigkeit. Jugendliche sollen bei Fragen, die sie betreffen, mitreden dürfen.
- Allgemein gilt: Kindern sollen ihr Leben weiterleben dürfen – ohne Verantwortungsgefühle für die Eltern.
Trennung aus Kindersicht und hilfreiches Verhalten von Eltern
Für Kinder ist die Trennung ihrer Eltern immer ein grosser Schreck, verbunden mit vielen Ängsten: Der Angst vor Veränderung, vor Verlust, aber auch der Angst um die Eltern. Niemand wünscht seinen Kindern, diese Ängste haben zu müssen. Doch eine Trennung muss nicht zwingend langfristig negativ sein, sofern einige wichtige Punkte beachtet werden. Entscheidend ist: Kinder brauchen Eltern, die für sie da sind, im Idealfall beide Elternteile. Sie müssen sie als weiterhin verfügbar erleben, auch wenn die Eltern nicht mehr als Paar zur gleichen Zeit am gleichen Ort sind.
Eine weitere Hilfe ist, wenn klar kommuniziert wird: Der Konflikt findet zwischen den Eltern als Paar statt. Ja, er hat Auswirkungen auf die ganze Familie, aber er ist nicht die Angelegenheit der Kinder.
Konstanz oder Regelmässigkeit im Umbruch sind ebenfalls wichtig. So sollen typische Unternehmungen oder Rituale weiterhin gepflegt werden, beispielsweise das übliche Abendessen, Gutenachtrituale oder gewohnte Spiele. Das ist wichtig für das Gefühl von Sicherheit und Verlässlichkeit. Dazu gehört auch, dass es im Umfeld des Kindes wenn möglich nicht zu weiteren Veränderungen kommt, sei es in der Beziehung mit den Grosseltern, Gotte und Götti, Freunden oder ein Wechsel in der Schule, Kita oder des Wohnorts. Das sind alles grosse Herausforderungen für die Eltern. Deshalb dürfen sie sich hierbei auch Unterstützung holen.
Wichtige kindliche Bedürfnisse
Die Bedürfnisse der Kinder unterscheiden sich stark je nach Alter, aber natürlich auch ganz individuell und abhängig von der Beziehung zu beiden Elternteilen. Generell kann man sagen, dass im jungen Alter Regelmässigkeit wichtig ist. So ist beispielsweise das Auswärts-Übernachten oft schwierig für Kinder bis im Alter von ungefähr zweieinhalb bis drei Jahren. Vielfach ist es daher mehr zum Wohl des Kindes, wenn der ausgezogene Elternteil die Kinder regelmässig sieht, aber zu Beginn noch ohne Übernachtung. Diese bringt so viel zusätzlich Neues mit sich, was schlicht eine zu grosse Überforderung sein kann. Die gemeinsame Zeit muss auch nicht zwingend so lange wie möglich dauern, entscheidend ist vielmehr die Verlässlichkeit.
Bei Jugendlichen ist wichtig, dass sie bei Fragen, die sie betreffen, einbezogen werden. Jugendliche befinden sich in einem Ablösungsprozess, sie wollen sich mit ihren Freunden treffen, haben Hobbys. Sie sollen mitreden dürfen, welche Regelungen für sie stimmen, und Verständnis für ihre Wünsche bekommen.
Allgemein ist wichtig, dass die Eltern trotz eigenem Gefühlswirrwarr stets versuchen, die Bedürfnisse und Anliegen der Kinder im Auge zu behalten und sich immer wieder fragen: Was brauchen diese im Moment?
Und sie sollten die Kinder dabei unterstützen, diese Bedürfnisse auch ausleben zu dürfen. Sie sollen beispielsweise weiterhin fröhlich oder wütend sein und sich genau gleich wie vorher mit anderen verabreden. Dabei ist wichtig, die eigenen Bedürfnisse gut von jenen der Kinder abzugrenzen. So sollen sie beispielsweise den jeweils anderen Elternteil vermissen dürfen.
Gerade kleinere Kinder können solche Gefühle noch nicht gut alleine einordnen. Deshalb ist es umso wichtiger, ihnen dabei zu helfen, ihre Gefühle zu benennen, sie als berechtigt zu behandeln und ihnen Raum zu lassen.
Und Eltern sollten sich im Klaren sein: Wenn sie vor den Kindern schlecht übereinander reden, fühlen sich Kinder immer mitbetroffen. Denn sie sind das Kind beider Elternteile und solange noch kein Ablösungsprozess im Gange ist, fühlen sie sich immer mitgemeint. Auch unterstützt es die Spaltung in Gut und Böse und den Druck beim Kind, Partei ergreifen zu müssen – was aber immer eine Überforderung und nicht Aufgabe der Kinder ist.
Reaktionen und ungute Verhaltensanpassungen von Kindern
Oft sorgen sich Kinder, aber auch Jugendliche fest um den Elternteil, den sie als schwächer oder traurig wahrnehmen. Sie haben das Gefühl, sie müssten sich um ihn kümmern und stecken dabei ihre eigenen Bedürfnisse zurück. Sie schonen ihn, nehmen Rücksicht und versuchen angestrengt, vernünftig zu sein und ja keinen Anlass für weiteren Ärger oder Sorge zu geben. Manche denken auch, sie müssten immer in der Nähe bleiben, aus Angst, dieser Elternteil wäre sonst alleine. Manchmal meinen sie auch, sie müssten die fehlende Partnerrolle übernehmen und bei Themen mitdenken oder gar mitentscheiden, die klar nicht zu ihren Verantwortlichkeiten gehören. So werden sie in ihrem Unbeschwertsein und in ihren Bedürfnissen stark eingeschränkt.
Eltern sollten daher versuchen, ihre Kinder klar vom Gefühl zu entlasten, sich um die erwachsenen Bedürfnisse kümmern zu müssen. Das können sie beispielsweise mit Worten signalisieren, wie: «Ich merke, dass du dir viele Gedanken und Sorgen machst. Aber weisst du, ich kann das gut alleine meistern.» Das nimmt viel Druck. Auch wenn neue Verhaltensmuster aufkommen, wenn Kinder beispielsweise nur noch gemeinsam im Bett schlafen möchten oder Jugendliche nicht mehr mit Freunden abmachen, ist es wichtig, die Abgrenzung beizubehalten und zu signalisieren: «Es ist ok, ich komme klar.»
Trennungsentscheid mitteilen
Zusammenfassung
- Eine grosse Hilfe ist, wenn Kinder die Trennung als gemeinsame Handlung der Eltern wahrnehmen können. Das setzt sie weniger stark unter Druck, Partei ergreifen zu müssen.
- Wichtig ist, dass Kinder mit ihren Gefühlen nicht alleine sind, Eltern sich aber in geschwächten Momenten auch nicht in Erklärungsnot bringen lassen.
Gut zu kommunizieren und auf die Kinder einzugehen sind enorme Anforderungen an die Eltern in einer Situation, in der sie selbst stark belastet und mit sich und der ungewissen Zukunft beschäftigt sind. Wenn irgend möglich, ist es aber wichtig, dass die Eltern den Entscheid den Kindern gemeinsam mitteilen. Das ist keine einfache Aufgabe, vor allem, wenn der Trennungswunsch nicht von beiden Elternteilen gleich stark ist. Wird er aber nicht gemeinsam mitgeteilt, nehmen Kinder die Trennung viel eher als ein Ausscheren eines Elternteils wahr, anstatt einer gemeinsamen Handlung des Paares. Kinder geraten dann schnell unter Druck und meinen, sie müssten Partei ergreifen. So übernehmen sie eine Rolle, bei der es um Loyalität und Schuld geht. Doch die Schuldfrage im Paarkonflikt ist nichts, was Kinder beantworten müssen. Sie werden dadurch in eine erwachsene Ebene gedrängt, in der sie sich überhaupt nicht zu bewegen wissen, anstatt dass sie bei ihren kindlichen Bedürfnissen bleiben können. Sie neigen dann dazu, zum Schiedsrichter, Bündnispartner oder gar zur Vertrauensperson eines Elternteils zu werden. Das ist aber eine völlige Überforderung.
Wenn Eltern den Trennungsentscheid mitteilen, fragen Kinder oft nach dem Warum. Die Eltern sind aber in dieser Situation selten in der Lage, ruhig und ausgeglichen zu antworten. Mit ihren Erklärungen überfordern sie die Kinder ausserdem oft, da diese die Zusammenhänge noch nicht verstehen. Es reicht daher, zu sagen: „Wir haben beide gemerkt, dass es so für uns als Paar nicht geht.“ Dabei ist es aber wichtig, die Kinder mit ihren Gefühlen ernst zu nehmen. Eltern können beispielsweise sagen: „Wir wissen, dass das für euch schwierig ist, dass ihr das bestimmt nicht wollt und nicht gut findet. Aber für uns als Erwachsene stimmt es so.“ So fühlen sich die Kinder verstanden, es fällt ihnen aber einfacher, die Verantwortung da zu belassen, wo sie hingehört – nämlich bei den Eltern.
Möchte die Eltern mehr erklären, sollte sie sich diese Erklärungen vorher gut überlegt haben. Und wenn Kinder nachfragen, dürfen sie sich ruhig Zeit nehmen und sagen: „Da kann ich dir im Moment keine Antwort geben, vielleicht kann ich das später.“ Sich Zeit lassen ist wichtig, da sich die Eltern selbst gerade in einer enorm aufgewühlten Lage befinden und die Gefahr gross ist, dass es unter Druck zu Schuldzuweisungen kommt.
Kinder wünschen sich auch oft eine Wiedervereinigung. Als Eltern kann man Verständnis dafür zeigen, dass die Trennung die Kinder traurig oder wütend macht, dass sie es gemein finden oder dass sie finden, Mama und Papa hätten das besser machen und Frieden schliessen müssen. So holen sie die Kinder bei ihren Gefühlen ab und helfen ihnen, ihre Wahrnehmung einzuordnen.
Auch mit Jugendlichen ist es wichtig, dass die Eltern die Verantwortung für die Trennung klar bei sich behalten, dass sie ihre Pläne aber mit ihnen besprechen. Die Jugendlichen sollen jenen Teil der Pläne, von dem sie betroffen sind, mitentwickeln dürfen. Allgemein ist es in jedem Fall hilfreich, wenn Kinder und Jugendliche hören und spüren: „Wir sind glücklich, dass es euch gibt und wir bleiben für immer eure Mama und euer Papa.“
Spezialfall Jugendliche
Zusammenfassung
- Jugendliche sind in einer sensiblen Phase, was sich Eltern im Gefühlschaos oft wenig bewusst sind.
- Jugendliche sollen mitreden und stets selbst entscheiden dürfen.
- Unterstützung ist wichtig. Bei neutralen Jugendberatungen kann der Zugang zu Jugendlichen manchmal einfacher sein als bei nahen Bezugspersonen.
Bei Jugendlichen fällt eine Trennung der Eltern in eine ganz besondere Zeit. Einerseits haben sie einige Vorteile verglichen mit jüngeren Kindern: Sie können beispielsweise Gefühle besser beschreiben, Zusammenhänge sehen und sich besser abgrenzen. Auch haben sie allenfalls eine gute Peergroup, in der sie Dinge besprechen und Erfahrungen austauschen können. Andererseits können aber auch die besten Freunde nicht alle Fragen abdecken und fehlt ein solches Umfeld, sind sie genauso alleine mit ihren Fragen und Gefühlen wie jüngere Kinder.
Doch kann es für Jugendliche trotz gewisser Vorteile dennoch eine enorme Erschütterung sein. Sie wären eigentlich gerade in einem wichtigen Loslösungsprozess, in dem ein solcher Bruch zuhause stark verunsichern kann. Plötzlich dreht sich alles um die Eltern – die Gefahr ist gross, dass sie dadurch in ihrem Prozess gebremst werden. Da ist es sehr wichtig, den Ablösungsprozess weiter zuzulassen und sie vom Gefühl zu entlasten, sie müssten nun für die Eltern da sein. Sie sollen ihr eigenes jugendliches Leben trotz neuer Situation zuhause weiterleben dürfen. Deshalb ist auch das Mitspracherecht so wichtig.
Bei Jugendlichen kommt hier allerdings die Herausforderung hinzu, dass sie vielfach nicht so einfach zugänglich sind für die Erwachsenen. Es ist aber für sie genauso wichtig, Unterstützung beim Umgang mit ihren Gefühlen zu bekommen. Vertrauenspersonen im Umfeld können helfen, aber auch Jugendberatungsstellen sind für Jugendliche da. Manchmal verpassen Eltern in dieser Zeit den Entwicklungssprung ihrer Kinder und sind sich zu wenig bewusst, dass sie inzwischen neue Bedürfnisse haben. Jugendberatungen können sie daher manchmal besser da abholen, wo sie gerade stehen. Als Eltern kann man ihnen dann beispielsweise sagen: „Weisst du, ich könnte mir vorstellen, dass dir viele Sachen durch den Kopf gehen oder du ganz viele Fragen hast. Es mag sein, dass es im Moment nicht geht für dich, das mit mir anzuschauen oder darüber zu reden. Aber es gibt Jugendberatungsstellen, die genau dafür da sind und es ist mir wichtig, dass du deren Adresse kennst.“ Man könnte dann beispielsweise besprechen, ob man den ersten Termin für sie abmachen soll oder ihnen die Adresse geben.
Doch auch wenn die Jugendlichen zugänglich für Elterngespräche sind, kann es in dieser Situation hilfreich für sie sein, durch neutrale Stellen wie der Jugendberatung einen Raum zu haben, in dem es nur um sie und niemanden sonst geht.
Unterstützung im kjz für Eltern in Trennung
Zusammenfassung
- Trennungen müssen nicht alleine durchgestanden werden, das kjz kann helfen.
- Die kjz unterstützen überall, wo es sich die Eltern wünschen.
- Sind die Bedürfnisse der Eltern erst einmal klarer, verschafft das oftmals Ruhe für die weiteren Schritte.
Eine Trennung ist für alle eine Herausforderung. Im kjz können wir die Eltern auf diesem Weg stärken und auf vielerlei Ebenen unterstützen, je nachdem, was sie brauchen.
Wichtig ist uns, zu Beginn die Bedürfnisse der Eltern abzuholen. Zu wissen, was sie brauchen, hilft dabei, ihnen etwas Ruhe zu verschaffen. Gerade bei Eltern, die selbst in der Kindheit eine Trennung erlebt haben, trifft die Situation vielfach wunde Punkte von früher. Oft äussern sie dann Schuldgefühle gegenüber ihren Kindern. Es ist aber immer wertvoll, wenn sie so offen darüber reden, so erhalten diese Gefühle einen Platz. Wir können sie zusammen einordnen, was den Schmerz oft mildert und dabei hilft, die eigenen Verletzungen und Ängste von damals nicht auf die jetzige Situation zu übertragen.
Wir helfen dann, sie an die richtigen Fachstellen zu vermitteln, beispielweise an Stellen für rechtliche Fragen, an eine Mediation oder zu therapeutischer Unterstützung, wenn viele Verletzungen im Spiel sind. Je stabiler die Eltern werden, umso mehr Ruhe kehrt ein und umso entlastender wird es für die Kinder. Denn bei all unseren Schritten stehen letztlich immer die Bedürfnisse der Kinder im Fokus.
Deshalb helfen wir auch mit Wissen darüber, was für Kinder altersentsprechend gerade wichtig ist. Die Eltern sind in dieser Situation oft überfordert und unsicher, was sie den Kindern zumuten können. Oft überschätzen sie diese auch. Wir merken, dass sie dann erleichtert sind, die Sicht ihrer Kinder besser zu verstehen. Hierbei können wir auch anschauen, wie sie einzelne Schritte angehen oder beispielsweise die Trennung thematisieren wollen – sowohl mit den Kindern als auch nach aussen. Auch helfen wir bei Fragen rund um die Besuchsregelungen, die Gestaltung der Besuchszeiten oder bei Fragen zu den Unterhaltsbeiträgen. In der Regel kommen Eltern für ungefähr zwei bis fünf Gespräche zu uns, alleine oder zu zweit. Manchmal begleiten wir sie aber auch über eine längere Zeit, immer so, dass es für die Eltern stimmt. Einige Eltern melden sich dafür bereits vor der Trennung. Andere kommen zu uns, wenn die Trennung vollzogen ist, aber Schwierigkeiten auftreten. Dann schauen wir gezielt an, welche Bedürfnisse der Kinder oder Eltern zugrunde liegen und was im einzelnen Fall helfen könnte. Denn, so schmerzhaft Trennungen sind; geht man sie aktiv und gemeinsam an, können auch solche Herausforderungen zu fruchtbaren Prozessen werden für die Entwicklung von allen Beteiligten.