Moderne Fortpflanzungsverfahren

Wie steht es um das Kindswohl bei der medizinisch unterstützten Fortpflanzung?

Immer mehr Kinder entste­hen mit Unter­stüt­zung von Dritt­per­so­nen und aufgrund neuer medi­zi­ni­scher Möglich­kei­ten. Für ihre Eltern sind die moderne Fort­pflan­zungs­me­di­zin und die zuneh­mende gesell­schaft­li­che Akzep­tanz von unter­schied­li­chen Fami­li­en­for­men ein Segen. Doch können schnell auch Unsi­cher­hei­ten auftau­chen: Wie beein­flus­sen diese Verfah­ren das Wohl­be­fin­den und die Entwick­lung des künf­ti­gen Kindes? Diese wissen­schaft­li­chen Erkennt­nisse und Tipps geben Wunsch­el­tern eine Antwort darauf.

Für das Wohl­be­fin­den eines Kindes spielt es keine Rolle, ob es mit oder ohne Unter­stüt­zung Dritter entstan­den ist.

Viele konkrete Beispiele und zahl­rei­che Studien belegen, dass die Entwick­lung und Gesund­heit eines Menschen vor allem davon abhän­gen, ob die Grund­be­dürf­nisse nach Nahrung, Schutz, Gebor­gen­heit, Zuwen­dung, Respekt und Anre­gung genü­gend beach­tet und befrie­digt werden.

Auch Menschen, die benannt oder anonym mit der Herkunft des Kindes verbun­den sind, spielen eine wich­tige Rolle.

Die Entste­hungs­ge­schichte beein­flusst das Befin­den eines Kindes und seine Iden­ti­tät. Es ist wichtig, dass Sie als Eltern diese Geschichte akzep­tiert haben, sich damit zurecht­fin­den und sie dem Kind vermit­teln. Kontakte mit Menschen der Entste­hungs­ge­schichte und Gedan­ken an sie spinnen ein Gewebe, in dem sich ein Kind gebor­gen, zuge­hö­rig, will­kom­men und ange­nom­men fühlen kann.

Jedes Kind braucht unab­hän­gig von Abstam­mung und Entste­hung vertraute Menschen, die es liebe­voll umsor­gen und aufmerk­sam beglei­ten.

«Zu wem gehöre ich?» und «Wer bin ich?» sind zentrale Fragen, die jedes Kind beschäf­ti­gen und auf unter­schied­li­che Weise bis ins Erwach­se­nen­al­ter beglei­ten.

Klein­kin­der inter­es­sie­ren sich ab Geburt für die Menschen und Dinge um sie herum. Sie erkun­den ihre Umwelt und wollen sie begrei­fen. Sie gehen ihren Fragen handelnd und zuneh­mend auch kogni­tiv auf den Grund. Beglei­ten Sie Ihr Kind aufmerk­sam und liebe­voll. So entste­hen geteilte Erfah­run­gen und persön­li­che Bezie­hun­gen. Beides ermög­licht das Erleben von Zuge­hö­rig­keit.

Kinder haben viele Fragen. Manche sind typisch für ein gewis­ses Alter, andere persön­lich und entspre­chend unter­schied­lich.

Kinder sind neugie­rig und kennen noch keine Vorur­teile. Sie versu­chen, die Welt zu ordnen und zu verste­hen. Dabei orien­tie­ren sie sich zunächst an ihren vertrau­ten Perso­nen. Gehen Sie gelas­sen und ehrlich auf aktu­elle Fragen und Themen ein. So finden Kinder schlüs­sige Antwor­ten – auf ihre Art und in ihrem Tempo.

Lassen Sie Ihr Kind seine eigene Geschichte und die seiner Familie(n) stimmig und nach­voll­zieh­bar erleben.

Erzäh­len Sie sich selbst und gegen­sei­tig als Eltern in einfa­chen Worten die Geschichte ihres Kindes. Begin­nen Sie damit bereits in der Vorbe­rei­tungs­zeit oder während der Schwan­ger­schaft. Die verschie­de­nen Puzzle­teile fügen sich so nach und nach zu einem Ganzen zusam­men. Achten Sie darauf, dass im Kern nur eine einzige Geschichte ihres Kindes erzählt wird. So wird die Geschichte zur Entste­hung und Herkunft nach­voll­zieh­bar und Sie sind bereit, sie Ihrem Kind ab Geburt alters­ge­recht immer wieder zu erzäh­len.

Kinder können in ganz unter­schied­li­chen Fami­li­en­for­men gesund aufwach­sen.

Praxis und Forschung belegen, dass Kinder in unter­schied­li­chen Fami­li­en­for­men gesund aufwach­sen können.Wichtig ist, dass Sie als Eltern ihre Grund­be­dürf­nisse abde­cken, dass Sie für Ihr Kind verläss­lich und verfüg­bar sind und ihre Anlie­gen hören und aufneh­men. Hilf­reich ist auch, dass in Fami­lien mit beson­de­ren Formen oft selbst­ver­ständ­li­cher und einfa­cher über die Rollen der verschie­de­nen Erwach­se­nen geredet wird.

Fragen nach der Herkunft beschäf­ti­gen jedes Kind phasen­weise mehr oder weniger stark und mit unter­schied­li­chen Inhal­ten.

Kinder inter­es­sie­ren sich für ihre Wurzeln. Infor­ma­tio­nen über die eigene Herkunft sind für die Iden­ti­tät wichtig. Die Einsicht, dass wir nicht immer schon da waren, ist für viele Kinder ebenso inter­es­sant wie schwie­rig auszu­hal­ten. Letzt­lich ist darin auch das Wissen um die Endlich­keit des Lebens enthal­ten.

Kinder inter­es­sie­ren sich ab etwa drei Jahren dafür, wie Babys entste­hen und wie sie selber entstan­den sind.

Die Fragen von Klein­kin­dern sind typi­scher­weise konkret: Wie kommt ein Baby in den Bauch und aus dem Bauch der Mutter? Wer hat mich nach der Geburt auf dem Arm gehal­ten? Wie bin ich entstan­den? Und wer war daran betei­ligt? Solche Fragen sind ein sehr guter Anknüp­fungs­punkt, um mit einem Kind von klein auf über die Geschichte seiner Entste­hung zu reden.

Viele Kinder lieben es, wenn ihre Mütter und Väter ihnen schon auf dem Wickel­tisch und später immer wieder erzäh­len, wie sehr sie sich dieses Kind gewünscht haben und wer alles mitge­hol­fen hat, dass es jetzt auf der Welt und bei ihnen ist.

Kinder haben ausdrück­lich ein Recht darauf zu erfah­ren, von wem sie abstam­men.

Die biolo­gi­sche und gene­ti­sche Abstam­mung ist Teil der Herkunft eines Menschen. Es ist weder sinn­voll, sie zu verleug­nen, noch sie allzu stark zu betonen.

Ein mündi­ges Kind hat in der Schweiz ein Recht auf Einsicht in die behörd­lich archi­vier­ten Infor­ma­tio­nen zu seiner Abstam­mung – bei zum Beispiel gesund­heit­li­chen Inter­es­sen sogar ein unmün­di­ges Kind. Mit dem Recht auf amtli­che Auskunft über die Abstam­mung sind weder das Recht noch die Möglich­keit zur Kontakt­auf­nahme mit der Spen­der­per­son verbun­den.

Infor­mie­ren Sie Ihr Kind unauf­ge­regt und alters­ge­recht über die biolo­gi­sche Eltern­schaft.

Die Ausein­an­der­set­zung mit den eigenen Wurzeln ist kein einma­li­ger Akt und sollte früh ermög­licht werden. Prak­ti­sche Beispiele und die Forschung zeigen, dass es sinn­voll und möglich ist, das Thema selbst­ver­ständ­lich von klein auf mit einem Kind anzu­spre­chen.

Defi­nie­ren Sie früh den Weg zwischen der Wahrung Ihrer Privat­sphäre und dem Herstel­len von Trans­pa­renz.

Die Wahrung von Geheim­nis­sen ist unsi­cher, auch wenn sie nur einem kleinen Kreis von Menschen anver­traut werden. Sie werden nicht selten durch bewusste oder unbe­wusste Äusse­run­gen und Andeu­tun­gen verra­ten.

Kinder haben ein Recht, Kennt­nis von Umstän­den zu haben, die sie persön­lich betref­fen. Es ist wichtig und viel einfa­cher für sie, von Ihnen als Eltern darüber infor­miert zu werden als irgend­wann von Dritten davon zu erfah­ren (z. B. über einen Gentest).


Dieser Beitrag wurde von Dr. Heidi Simoni und Giuli­etta von Salis verfasst. Beide sind Psycho­lo­gin­nen und arbei­ten am Marie Meier­ho­fer Insti­tut für das Kind, Heidi Simoni als Insti­tuts­lei­te­rin.