«Gib mr dis Handy, suscht …»

Wie sollen sich Jugendliche bei Provokation und Gewalt verhalten?

Pöbelei und Aggres­sion, Provo­ka­tion und Gewalt – unsere Kinder können in schwie­rige Situa­tio­nen geraten. Davor schüt­zen können wir sie nicht. Aber darüber reden. Gewalt­be­ra­ter und Selbst­be­haup­tungs­trai­ner Alex­an­der Michel gibt konkrete Hand­lungs­ideen für Jugend­li­che in Bedräng­nis.

Neuste Zahlen zeigen: Die Jugend­ge­walt im Kanton Zürich hat in den letzten Jahren zuge­nom­men. Rezepte bei Gewalt gibt es nicht. Eltern können ihre Jugend­li­chen aber stärken, wenn sie gemein­sam über mögli­che Verhal­tens­wei­sen reden. Gewalt­be­ra­ter Alex­an­der Michel schlägt Reak­tio­nen für fünf Situa­tio­nen vor als Anre­gung, wie sich eine Eska­la­tion vermei­den lässt. Zum Bespre­chen für Eltern und ihre Jugend­li­chen.

Allge­meine Tipps

  • Nie auf Provo­ka­tion einge­hen, igno­rie­ren.
  • Sofort umschauen und wenn möglich von Anwe­sen­den Hilfe einfor­dern.
  • Anwe­sende direkt anspre­chen oder sich nicht scheuen, laut um Hilfe zu rufen.
  • Wenn es doch zur Eska­la­tion kommt, immer aktiv bleiben und handeln.
  • Am besten die Konflikt­si­tua­tion so schnell wie möglich verlas­sen.

1

«Dini mueter …!»
Alex und zwei Freunde sind abends in der Stadt unter­wegs. Eine grös­sere Gruppe Jugend­li­cher läuft auf sie zu und will sie provo­zie­ren, vorerst nur verbal.

Was sagen: Kein Gespräch aufneh­men. Nicht auf Provo­ka­tion einge­hen. Nicht selber provo­zie­ren. Wenn es nicht funk­tio­niert, klar sagen: Wir gehen jetzt.
Was tun: Inner­lich den Stin­ke­fin­ger zeigen. Wegge­hen. Gehen die Provo­ka­tio­nen weiter oder eska­liert es, besser wegren­nen als Gewalt anwen­den. 
Was vermei­den: Blick­kon­takt. Wer Ärger sucht, ist froh um jede Gelegenheit.
Wie weiter: Notfalls öffent­lich machen, Soli­da­ri­tät erzeu­gen, andere Menschen vor Ort anspre­chen: Die wollen uns provo­zie­ren. 
Wenn man dazu­kommt: Dem Bedräng­ten helfen, ihn heraus­neh­men aus der Situa­tion. Zur provo­zie­ren­den Gruppe: Lasst ihn in Ruhe. Zum Bedräng­ten: Komm, wir gehen jetzt.

2

«Gib mr dis Handy suscht …!»
Rajan ist alleine unter­wegs in den Ausgang. Auf dem Weg bedro­hen ihn zwei andere und fordern sein Handy.

Was tun: Abhauen. Sind die anderen klar über­le­gen: Geben, was gefor­dert wird. Das Risiko lohnt sich nicht! Notfalls nicht zögern und laut werden, schreien, Hilfe anfor­dern. Angriffe und Erpres­sung funk­tio­nie­ren im Heim­li­chen. Erzeugt man Aufmerk­sam­keit, irri­tiert das, schreckt ab oder macht Eindruck.
Was sagen: Nicht provo­zie­ren. Ist man am Telefon, während es passiert, Hilfe anfor­dern. Notfalls bluffen: Der Kollege hat die Polizei infor­miert. 
Was vermei­den: Ist die Eska­la­ti­ons­ge­fahr gross, nicht den Helden spielen. Keine Gewalt anwenden.
Spezi­al­fall Messer: Sollte ein Messer im Spiel sein, sofort laut rufen: Messer! Ich werde mit einem Messer bedroht! Sie in der roten Jacke, helfen Sie mir! Stich­ver­let­zun­gen können lebens­ge­fähr­lich sein. Da lohnt sich jeder Hilferuf!
Wie weiter: Mit anderen darüber reden, Erfah­run­gen teilen. Nicht aus Scham schwei­gen. Wenn das Handy tatsäch­lich geklaut worden ist, mit Täter­be­schrei­bung zur Polizei gehen. Handys kann man orten. Dieses Wissen kann einen auch in der Bedro­hungs­si­tua­tion inner­lich stärken.
Wie vorbeu­gen: Wach sein. Sich schon vorher bewusst sein, dass man alleine unter­wegs ist. Viel­leicht mit dem Velo fahren statt laufen.

3

Unwohl auf dem Nachhauseweg
Marc ist auf dem Heimweg. Hinter ihm laufen mehrere Jugend­li­che, die kommen­tie­ren, dass er ganz alleine unter­wegs ist. Marc fühlt sich zuneh­mend unwohl.

Was sagen: Keinen Kontakt aufnehmen!
Was tun: Wach sein. Even­tu­ell jeman­den anrufen. Abzwei­gung suchen. Beine in die Hand nehmen. Möglichst in die Rich­tung, wo Leute sind.
Was vermei­den: Konfron­ta­tion vermei­den. Alleine hat man keine Chance.
Wie weiter? Mit jeman­dem über die Situa­tion spre­chen. Verständ­nis für die eigene Reak­tion suchen. Merken, dass man nicht allein ist mit der Erfahrung.
Wie vorbeu­gen: Wach sein. Sich schon vorher bewusst sein, dass man alleine unter­wegs ist. Viel­leicht mit dem Velo fahren statt laufen oder ein Uber/Taxi nehmen.

4

Obszöne Bemer­kun­gen über die Freundin
Sandro sitzt mit seiner Freun­din abends am See. Da kommt eine Gruppe Jugend­li­cher in ihre Nähe, die obszöne Bemer­kun­gen über seine Freun­din machen.

Was vermei­den: Nicht selber reagie­ren. Keinen Dialog mit der Gruppe anfan­gen. Nicht in die Beschüt­zer­falle tappen. Nicht gewalt­tä­tig werden.
Was sagen: Will man reden, dann besser mit der Freun­din bespre­chen: Wollen wir weiter­ge­hen? So bleibt man aktiv und läuft weniger Gefahr, starr zu werden.
Was tun: Freun­din unter­stüt­zen, wenn sie reagie­ren will. Wenn sie nicht will, einfach nicht beach­ten. Allen­falls aufste­hen und weitergehen.
Wie weiter: Falls man die Jugend­li­chen kennen sollte, viel­leicht später einmal einen der Gruppe anspre­chen und fragen, warum er sich so verhal­ten hat. Einzel­ge­sprä­che sind immer besser als Grup­pen­kon­fron­ta­tio­nen.

5

Freunde provo­zie­ren andere
Liam ist mit einer Gruppe von Freun­den im Ausgang. Die Freunde sind ange­trun­ken, provo­zie­ren einen Jungen und machen rassis­ti­sche Sprüche. Liam schämt sich und will einfach nur weg.

Was sagen: Hört auf damit! Lasst ihn in Ruhe! Kommt, wir gehen jetzt.
Was tun: Je nach Situa­tion Freunde wegzie­hen oder nicht eingrei­fen. Später reden.
Was vermei­den: Nicht provo­zie­ren. Gewalt vermeiden.
Was weiter: Das Eisen schmie­den, wenn es kalt ist. Später nüch­tern mit den Freun­den reden: Habt ihr das lässig gefun­den? Ich finde es falsch, andere zu provo­zie­ren. Ich hatte gestern Angst, dass es eska­liert. Ich habe mich unwohl gefühlt und mich für euch geschämt. Wir müssen im Umgang mit anderen etwas ändern.

Alexander Michel hat soziokulturelle Animation studiert und diverse Zusatzausbildungen absolviert.

Alex­an­der Michel

Alexander Michel hat soziokulturelle Animation studiert und diverse Zusatzausbildungen absolviert, u.a. zum Gewaltberater GHM® und Selbstbehauptungstrainer nach Josef Riederle. Seit 2008 ist er Kursleiter bei Respect!, dem Schweizer Pionier für jungenspezifische Selbstbehauptungskurse. Die Trainings stärken Buben und Jugendliche in ihrem Selbstwertgefühl und vermitteln, wie sie sich in Konflikten und bedrohlichen Situationen fair und kompetent behaupten können. Im Weiteren ist Alexander Michel freiberuflich tätig im Bereich Gewaltprävention und sowie in der Jungen- und Männerarbeit.

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