Elsa Röthlisberger, ein Portrait aus den 1970er-Jahren

Als Jugendliche hatte sie Kontakte zu Rockern. Sie war öfters von zu Hause weggelaufen und über Nacht aus Winterthur weggeblieben

Elsa Röth­lis­ber­ger* lebt, seit sie 14 Jahre alt ist, in einem Mädchen­heim in der Nähe von Bülach. Als Jugend­li­che hatte sie Kontakte zu Rockern. Sie war öfters von zu Hause wegge­lau­fen und über Nacht aus Winter­thur wegge­blie­ben. Die Eltern wussten sich nicht anders zu helfen, als bei der Vormund­schafts­be­hörde um Unter­stüt­zung zu bitten. «Die Eltern sind mit ihrer Tochter über­for­dert. An Regeln hält sie sich kaum und treibt sich häufig nach der Schule an einschlä­gi­gen Treff­punk­ten herum», begrün­dete die Vormund­schafts­be­hörde der Stadt Winter­thur 1962 die Wegnahme von Elsa aus der Familie. Dies ging den Eltern viel zu weit, hatten sie doch ledig­lich Erzie­hungs­rat­schläge erwar­tet. Im Heim hat Elsa Röth­lis­ber­ger Mühe mit dem rigiden Tages­ab­lauf, den altmo­di­schen Erzie­he­rin­nen und den vielen Vorschrif­ten. Sie träumt von einer Lehr­stelle als Innen­de­ko­ra­teu­rin. Der zustän­dige Amts­vor­mund will von diesem Berufs­wunsch nichts wissen. In der Berufs­be­ra­tung zeigt sich, dass Elsa Röth­lis­ber­ger gerne etwas mit den Händen gestal­ten möchte. Der Berufs­be­ra­ter rät ihr zu einer Lehre als Coif­feuse. Es ist eine der wenigen Ausbil­dun­gen, die sie heim­ex­tern absol­vie­ren kann. Elsa Röth­lis­ber­ger freut sich auf ihre Voll­jäh­rig­keit, die bevor­ste­hende Entlas­sung aus dem Heim und darauf, dass die behörd­li­che Aufsicht endlich endet. Draus­sen pulsiert das Leben. In Zürich gehen Jugend­li­che nun auf die Strasse und fordern mehr Selbst­be­stim­mung. Die Frau­en­be­frei­ungs­be­we­gung prokla­miert das Ende einer langen Ära, in der Frauen für Haus­halt, Kinder und Erzie­hung zustän­dig waren. 1971 wird das Frau­en­stimm­recht ange­nom­men, 1972 im Kanton Zürich das Konku­bi­nats­ver­bot aufge­ho­ben. Elsa Röth­lis­ber­ger ist nun 24 Jahre alt. Sie lässt sich von der allge­mei­nen Aufbruchs­stim­mung anste­cken. Es zieht sie weg von Winter­thur nach Zürich. Sie mietet mit ihrem Freund eine Wohnung im Nieder­dorf, geniesst die neuen kultu­rel­len Ange­bote und holt später das KV nach.

Universität Zürich, Studierende nach Geschlecht, 1945 / 46 – 1980 / 81

Fakt

Der Aufschwung des Dienst­leis­tungs­sek­tors nach dem Ende des Zweiten Welt­kriegs förderte die Erwerbs­tä­tig­keit von Frauen in der Schweiz. Gleich­wohl waren 1950 rund 43 Prozent aller erwerbs­tä­ti­gen Frauen als un- oder ange­lernte Arbei­te­rin­nen tätig. Bei den Männern waren dies nur 24,8 Prozent. Zudem waren Frauen in perso­nen­be­zo­ge­nen, dienst­leis­tungs­ori­en­tier­ten Berufen in den Berei­chen Pflege, Bera­tung und Unter­richt über­re­prä­sen­tiert und arbei­te­ten häufig Teil­zeit. Das ist bis heute so. Gleich­zei­tig war die Nach­kriegs­zeit durch eine massive Bildungs­expan­sion geprägt, von der auch die Frauen profi­tier­ten. Während 1970 noch fünfmal mehr Männer als Frauen die Matu­ri­tät abschlos­sen, näher­ten sich die Zahlen ab den 1980er-Jahren an.

* Die Prot­ago­nis­tin­nen und Prot­ago­nis­ten der Zeit sind fiktive Figuren. Sie sind bei ihrer Erst­nen­nung durch einen Aste­risk gekenn­zeich­net.