Gewaltfreie Erziehung

Ständig muss ich ihm hinterherräumen! Was tun?

Im Stress ist es schnell passiert, bei Über­for­de­rung umso mehr: Das Kind macht nicht wie gewünscht – und die eigene Beherr­schung geht verlo­ren. Was hilft dagegen? Und warum ist das so wichtig für Kinder? Lesen Sie dazu unsere Serie mit konkre­ten Tipps für heraus­for­dernde Momente.


Ihr Kind hat – mal wieder – nicht gemacht, was es sollte

Wer Unord­nung macht, räumt danach auf. So die Regel. Daran hat sich Ihr Kind nicht gehal­ten. Einmal mehr. Überall liegen seine Sachen herum. Heute ertra­gen Sie das nicht. Ihnen platzt der Kragen. «Nie kannst du dich an Abma­chun­gen halten!»

Das geht viel­leicht in Ihnen vor

«Ständig muss ich ihm hinter­her­räu­men!», denken Sie viel­leicht. Oder: «Ich schmeisse hier den ganzen Haus­halt alleine!» Dieser Ärger ist verständ­lich. Als Eltern inves­tiert man viel in die Familie und den Haus­halt – während eigene Bedürf­nisse zurück­ge­steckt werden. Halten sich die Kinder dann nicht an Abma­chun­gen, können Wut oder Frust aufkom­men. Auch Ohnmachts­ge­fühle oder Erschöp­fung.

Situa­tion Ihres Kindes

Kinder denken sich nichts Böses dabei, wenn sie ihre Sachen liegen­las­sen oder andere Pflicht­auf­ga­ben nicht erfül­len. Im Gegen­teil, meist passiert es gedan­ken­ver­lo­ren und sie merken ihr Versäum­nis gar nicht. Ihr Fokus liegt auf dem Entde­cken und Auspro­bie­ren, und das ist auch gut so. Würden Kinder bereits mit einem perfek­ten Ordnungs­sinn oder Pflicht­be­wusst­sein auf die Welt kommen, wäre es für ihre Entwick­lung wohl hinder­lich.

Um zuver­läs­sig und pflicht­be­wusst zu werden, braucht es kind- und alters­ge­mässe Schritte in diese Rich­tung. Das braucht Zeit, viel Wieder­ho­lung sowie eine posi­tive Fehler­kul­tur. Dabei gilt: Bean­stan­den wir Dinge, wenn wir sonst schon genervt sind, werden Situa­tio­nen schnel­ler emotio­nal oder explo­siv. Die Gefahr besteht, dass Pflicht­auf­ga­ben zum stän­di­gen Reiz­thema werden.

Beden­ken Sie: Mit unserer Reak­tion leben wir Werte vor. Und Kinder schauen sich unser Verhal­ten ab. Manch­mal passiert es aber, dass wir dem Kind andere Werte vorle­ben, als wir meinen. Gerade im Stress. Zum Beispiel:

  • «Wenn du jetzt nicht sofort …» Drohun­gen geben uns in der Ohnmacht das Gefühl, wieder mehr Kontrolle zu haben und für Ordnung zu sorgen. Nach­hal­tig sind sie aber kaum. Kinder verste­hen dadurch nicht, warum ein bestimm­tes Verhal­ten wichtig oder richtig wäre und folgen höchs­tens aus Angst vor Konse­quen­zen. Mit Drohun­gen belas­ten wir ausser­dem die Bezie­hung und vermit­teln: Dein Bedürf­nis ist nicht wichtig.
  • «Du machst mich wahn­sin­nig!» Sie reagie­ren emotio­nal oder nehmen das Verhal­ten persön­lich? (z. B. fortan kurz ange­bun­den oder schnip­pisch sein) Sie reagie­ren rat- oder hilflos? (z. B. Hände verwer­fen, «Ich kann so nicht mehr») Sie vermit­teln Schuld­ge­fühle? (z. B. «Ich bin so enttäuscht», «Ich mache hier den ganzen Haus­halt und du kannst nicht einmal …») So setzen wir Kinder emotio­nal unter Druck. Für sie bedeu­tet das: Papa oder Mama haben mich nur gern, wenn ich mache, was er oder sie will. Auch meinen Kinder dann oft, sie seien verant­wort­lich für die Gefühle der Eltern. So laufen sie Gefahr, sich für unser Wohl oder das von anderen zustän­dig zu fühlen. Das schränkt sie in ihrer gesun­den Entwick­lung ein.

Das könnten Sie statt­des­sen tun

Dass alles immer genau läuft wie abge­macht, ist schlicht nicht realis­tisch. Die Sache daher einfach­heits­hal­ber «schnell» selbst zu erle­di­gen, ist verlo­ckend. Und zwischen­durch tatsäch­lich die einfachste Lösung. Ist es Ihnen aber wichtig, dass Ihr Kind mit der Zeit pflicht­be­wusst und zuver­läs­sig wird, braucht es Stand­haf­tig­keit und Unter­stüt­zung. Ansons­ten kann Ihr Kind diese Werte nicht entwi­ckeln.

Bei der Umset­zung hilft

  • Markie­ren Sie Präsenz. Statt etwas aus der Ferne zuzu­ru­fen, gehen Sie lieber (gemein­sam) an den Tatort.
  • Sagen Sie, was Sie möchten, nicht, was Sie nicht möchten. So zeigen Sie, dass es Ihnen ernst ist. (z. B. «Ich will, dass du in zehn Minuten aufge­räumt hast», anstatt: «Immer muss ich dir hinter­her­räu­men»)

Sie verlie­ren die Beherr­schung?

  • Verschaf­fen Sie sich Zeit. (z. B. mit Aussa­gen wie: «Damit bin ich nicht einver­stan­den. Reden wir nach dem Essen darüber», oder mit Hand­lun­gen wie: ein Glas Wasser trinken, aufs WC gehen, von 10 rück­wärts zählen, bewusst atmen)
  • Bleiben Sie beim Verhal­ten und reden Sie nur von sich selbst und Ihren Werten. So haben Ihre Gefühle Platz, ohne dass Sie Ihr Kind persön­lich angrei­fen. (z. B. «Mir ist Zuver­läs­sig­keit wichtig» anstatt: «Nie hältst du dich an Regeln», «Mich ärgert, dass du dich nicht an unsere Abma­chung gehal­ten hast» anstatt: «Du machst mich hässig», «Ich fühle mich unwohl, wenn es so unor­dent­lich aussieht» anstatt: «Du bist so ein Chaot»)
  • Auch ein Slow-Motion-Modus kann helfen. Das heisst: langsam bewegen, langsam und tief reden, langsam atmen, sich setzen, zurück- und nicht nach vorne lehnen. Denn: Stress ist ein körper­li­cher Prozess. Alles, was Ihrem Körper signa­li­siert, dass eigent­lich alles in Ordnung ist, hilft daher. Auch summen (leise für sich selbst) signa­li­siert Ihrem Körper, dass keine Gefahr besteht.

Wie weiter

  • Defi­nie­ren Sie für sich, warum Ihnen diese Pflicht­auf­gabe wichtig ist. (z. B. «Mir ist wichtig, dass mein Kind auch seinen Teil zum Zusam­men­le­ben beiträgt», «Ich möchte meinem Kind Zuver­läs­sig­keit als Wert mitge­ben»)
  • Reden Sie mit Ihrem Kind über diese Werte. Fragen Sie, warum es dem Kind noch schwer­fällt, der Aufgabe zuver­läs­sig nach­zu­kom­men und finden Sie gemein­sam Lösun­gen.

Fühlen Sie sich öfters ohnmäch­tig oder ratlos, hilft es, sich mit anderen auszu­tau­schen. Fühlen Sie sich erschöpft, ist es wichtig, gut zu sich selbst zu schauen und sich Unter­stüt­zung zu holen. Zum Beispiel bei den Mütter- und Väter­be­ra­te­rin­nen oder Erzie­hungs­be­ra­tern im kjz in Ihrer Nähe.

Reagie­ren Sie auch im Stress mehr­heit­lich konstruk­tiv,

  • entwi­ckelt Ihr Kind eher einen guten Selbst­wert,
  • kopiert es vermut­lich Ihr Verhal­ten und lernt es damit selbst,
  • kann Ihr Kind später besser mit schwie­ri­gen Situa­tio­nen und Krisen umgehen,
  • kann sich Ihr Kind besser auf seine kind­li­chen Entwick­lungs­auf­ga­ben und eigenen Stärken konzen­trie­ren,
  • erlebt das Kind weniger Stress,
  • kann Ihr Kind Sie als verläss­li­che Vertrau­ens­per­son erleben,
  • läuft Ihr Kind weniger Gefahr, sich für das Wohl von seinem Umfeld verant­wort­lich zu fühlen und dabei sich selbst zu verges­sen.

Der Beitrag ist in Zusam­men­ar­beit mit Adrian Weiss entstan­den, Eltern­bild­ner bei der Geschäfts­stelle Eltern­bil­dung des Amts für Jugend und Berufs­be­ra­tung, Kanton Zürich.

Adrian Weiss hat Soziale Arbeit studiert und arbeitet seit 2024 bei der Geschäftsstelle Elternbildung als Elternbildner.

Adrian Weiss

Adrian Weiss hat Soziale Arbeit studiert und arbeitet seit 2024 bei der Geschäftsstelle Elternbildung als Elternbildner. Davor hat er elf Jahre für die Sozialen Dienste Zürich als Beistand für Kinder und Jugendliche gearbeitet sowie mehrere Jahre in der offenen Jugendarbeit.