Trotzreaktionen von Kindern (1/4)

«Ich will den gelben Pulli anziehen!»

Wenn Kinder Nein sagen und dieses Verhal­ten sich nicht mit den Vorstel­lun­gen ihrer Eltern deckt, beginnt oft ein emotio­na­ler Kraft­akt für alle Betei­lig­ten. In unserer vier­tei­li­gen Serie beleuch­ten wir typi­sche Szenen der Auto­no­mie­phase. Wir erklä­ren die Situa­tion des Kindes und zeigen, wie Sie als Eltern sinn­voll reagie­ren.


Was passiert gerade?

Es ist früher Morgen. Die Mutter macht ihre vier­jäh­rige Tochter für die Kita parat. Beide stehen vor dem Klei­der­schrank im Kinder­zim­mer. Die Zeit drängt, schliess­lich muss die Mutter nach dem Fahr­dienst zur Kita schnell ins Büro. Doch das Kleid­chen, das sie für ihre Tochter ausge­sucht hat, scheint diese nicht zu über­zeu­gen. Sie bringt laut­stark zum Ausdruck, dass sie den gelben Pull­over anzie­hen will.

Illustration einer Mutter mit Gedankenblase. In der Gedankenblase steht: Immer dieses Drama! Mir läuft die Zeit davon und ich habe keine Nerven mehr.

Die Perspek­tive des Kindes

Das Kind sagt: «Ich will den gelben Pulli anzie­hen!» Was es aber ausdrü­cken möchte, ist: «Ich will selbst bestim­men!» In diesem Moment erlebt es einen inneren Konflikt zwischen dem Bedürf­nis nach Auto­no­mie und der noch begrenz­ten Fähig­keit zur Impuls­kon­trolle. Das Kind will ernst genom­men und gehört werden, will eigene Entschei­dun­gen treffen, kann die eigenen Emotio­nen aber noch nicht gut regu­lie­ren, wenn es auf Wider­stand oder Grenzen stösst. Die Reak­tion des Kindes ist kein bewuss­tes böses Verhal­ten, sondern Ausdruck von emotio­na­ler Über­for­de­rung.

Weshalb reagiert das Kind so?

  • Wunsch nach Selbstständigkeit
    In der Auto­no­mie­phase entwi­ckeln Kinder den Willen, Entscheide selbst zu treffen. Das ist ein wich­ti­ger Entwick­lungs­schritt. Klei­dung ist ein Bereich, in dem Kinder beson­ders gern selbst bestim­men, weil er greif­bar und konkret ist.
  • Frus­tra­tion über mangelnde Kontrolle
    Wenn Eltern entschei­den, was das Kind anzie­hen soll, empfin­det es das Kind als Kontroll­ver­lust – auch wenn dies aus der Sicht der Erwach­se­nen völlig harmlos erscheint.
  • Zeit­druck
    Kinder spüren, wenn Eltern gestresst sind – und das über­trägt sich. Der Wunsch des Kindes, sich selbst zu behaup­ten, trifft dann auf die Unge­duld der Erwach­se­nen, wodurch eine Reibungs­flä­che entsteht.
  • Unaus­ge­reifte emotio­nale Regulation
    Ein vier­jäh­ri­ges Kind kann starke Gefühle wie Frust, Ärger oder Enttäu­schung noch nicht in Worte fassen oder ruhig verar­bei­ten. Daher zeigt es sie körper­lich und laut.

Wie Sie als Eltern reagie­ren könnten

  • Geben Sie dem Kind eine Wahlmöglichkeit.
    Bieten Sie Ihrem Kind eine Wahl an: «Willst du das Kleid­chen oder den gelben Pulli anzie­hen?» Das stärkt die Mitbe­stim­mung und verrin­gert den Wider­stand. Ist Ihr Kind gestresst, ist eine klare und begrün­dete Entschei­dung Ihrer­seits manch­mal besser. Denn sie gibt Ihrem Kind Orien­tie­rung. Auch Pseudo-Verhand­lun­gen wie «Heute entschei­dest du, morgen ich» können funk­tio­nie­ren.
  • Versu­chen Sie, Routine beim Anzie­hen aufzubauen.
    Suchen Sie die Klei­dung zum Beispiel schon am Vorabend gemein­sam mit dem Kind aus. So können Sie Konflikte im Morgen­stress vermei­den.
  • Bleiben Sie gelas­sen und beglei­ten Sie Ihr Kind.
    Auch wenn es schwer­fällt: Bleiben Sie ruhig und benen­nen Sie die Gescheh­nisse: «Du bist wütend, weil du den gelben Pulli anzie­hen möch­test, ich aber das Kleid­chen ausge­sucht habe.» So fühlt sich Ihr Kind verstan­den und beru­higt sich schnel­ler.