«Aktivismus ist das beste Mittel gegen Ohnmacht»
Kinder für die Klimakrise sensibilisieren, ohne sie zu verängstigen: Das ist gar nicht so einfach. Was raten Fachleute?
«Ich war selbst ein Kind, das grosse Angst hatte», sagt Jonas Hostettler und schweigt daraufhin einen Moment. So hat die Zuhörende Zeit, sich vorzustellen, wie es damals wohl für ein fünfjähriges Kind war, zu hören, dass die Wälder sterben. Und wie sich ein Achtjähriger die Explosion im Kernkraftwerk Tschernobyl vorstellte und die radioaktive Wolke, die anschliessend unterwegs war.
Jonas Hostettler ist heute 42 Jahre alt und Mitinitiant der Schweizer «Eltern fürs Klima»-Bewegung. Er erinnert sich: «Die Zeitungen waren 1986 voll mit diesen Themen. Übers Waldsterben, das Ozonloch, ja auch schon die Klimaerhitzung sprachen mein Vater und meine Mutter in den 1980er Jahren häufig. Ich war vielleicht sensibler als andere Kinder, so richtig vorstellen konnte ich mir ja damals nicht, was die Klimaerhitzung bewirken würde, aber die Vorstellung, dass es viel heisser werden könnte, dass die Wälder in Gefahr sind, das machte mir Stress, ich fürchtete mich.»
Hostettler ist Chemielehrer und heute selber Vater von zwei kleinen Kindern. Er engagiert sich bei «Eltern fürs Klima», weil er nicht einfach nur zuschauen will, wie «Eltern so viel Energie in das Wohlergehen ihres Nachwuchses steckten, während die Wissenschaft eine erbärmliche Zukunft für die heutigen Kinder voraussagt, wenn jetzt nicht ernsthaft gegen die Klimakrise vorgegangen wird.» Der Aktivismus und die sichtbaren Veränderungen, welche die Klimabewegung innerhalb weniger Monate erreichte, sind für ihn Schutz vor Angst und Ohnmacht, wie er sagt: «Als mit Trump jemand gewählt wurde, der den Klimawandel leugnet, verlor ich die Hoffnung, dass wir diese Herausforderung noch schaffen können. Seit es die Klimabewegung gibt, geht es mir deutlich besser.» Hostettler erlebt ganz persönlich, was Psychologinnen und Therapeuten nicht müde werden zu sagen: Über Belastendes reden, selbst handeln und sich als wirksam erleben – all das ist wohltuend; während das Wegschauen, Nicht-wahrhaben-Wollen und Verdrängen von Unangenehmem und Belastendem auf die Dauer nicht gut tut – denn was den Menschen bewegt, nimmt sich seinen Platz ohnehin, früher oder später.
Engagement vorleben
Hostettlers siebenjährige Tochter bekommt auch bereits einiges mit, vom Klimawandel und vom Engagement ihres Vaters: «Sie ist eine, die wissen und verstehen will.» Wegen der Ängste, die er selber als Kind hatte, erzählte er ihr bis jetzt aber nicht viel von dem, was er weiss, sondern zeigte ihr viel mehr die Schönheiten der Natur: «Ich selber erfreue mich an vielem – das nehmen auch die Kinder auf.»
Sabine Brunner ist Psychologin und Psychotherapeutin am Marie Meierhofer Institut für das Kind (MMI), das zu Themen rund um das Kind forscht, bildet und berät. Das MMI ermuntert Erwachsene dazu, mit Kindern auch über schwierige Themen zu reden, und zeigt, wie das dem Alter entsprechend gut gelingt. Konfrontiert mit der Frage, wie man mit Kindern über die Klimaerhitzung sprechen könne, ohne sie zu verängstigen, sagt Brunner: «Es scheint mir wichtig, dass Kinder an die Thematik herangeführt werden und sich damit auseinandersetzen können. Bereits bei Kindern ab etwa fünf Jahren sieht man, dass sie sich gerne und sehr ernsthaft mit Umweltthemen beschäftigen, sobald sie damit in Kontakt kommen.» Man müsse sich allerdings gut überlegen, welche Bilder man ihnen zeige: «Wenn darauf Menschen zu Schaden kommen oder starke negative Emotionen erkennbar sind, kann das ein Kind sehr erschrecken.» Einen guten Umgang mit den Herausforderungen der Klimaerhitzung erlernen Kinder am besten, wenn die Eltern einen solchen vorleben, so die Psychologin: «Die Erfahrung, dass die eigenen Taten für die Umwelt Sinn machen und erst noch wirken, ist besonders wertvoll.»
Das Gute sehen und abschalten können
Was immer das Kind bezüglich Umweltproblemen lerne, sagt Sabine Brunner, das Wichtigste sei, «dass es seinen Lebensmut behalten kann.» Während des Corona-Shutdowns habe sich zum Beispiel gezeigt, wie schnell sich die Luft erholen kann, «das macht Mut. Kinder brauchen diese positiven Perspektiven, diese Zuversicht, dass sich etwas zum Besseren verändern kann, damit sie hoffnungsvoll in die Zukunft blicken können. Davon sollten die Eltern auch erzählen!»
Als Letztes sagt die Expertin: «Wichtig ist auch, dass Kinder einfach abschalten und spielen können, freudig und fröhlich.» Und das gelte eigentlich auch für die Erwachsenen: Pausen einzulegen und sich zu erholen sei wichtig. Auch, um wieder handeln zu können: «Wir Menschen brauchen das Denken und das Handeln: Ersteres erlaubt uns die Analyse einer Situation, aber wir können uns darin auch verlieren. Das Handeln gibt uns Kontrolle, wir erleben uns damit als wirksam und gewissermassen mächtig. Das gemeinsame Handeln potenziert die eigene Wirksamkeit und auch die Freude am Handeln.»
Asti Roesle nickt nachdenklich – die langjährige Greenpeace-Campaignerin aus Zürich erlebt es immer wieder: «Aktivismus ist das beste Mittel gegen Ohnmacht und Depression.» Die Klimabewegung habe als Massenbewegung nicht nur eine Wirkung auf politischer Ebene, sondern auch für die jungen Menschen: «Jede Demonstration, jedes Zusammenstehen macht einem bewusst: Ich bin nicht alleine, wir sind viele! Man kann uns nicht ignorieren! Wir haben Botschaften und sind laut!» Sie erzählt von Kindern, die kürzlich auf einem Feuer Kräutertee kochten und verkauften – die Einnahmen spendeten sie der Klimabewegung. Roesle: «Wenn Erwachsene das hören, denken sie vielleicht: ‹Jöh, herzig. Zum Glück wissen diese Kinder nicht, dass das kaum einen Unterschied macht.› Aber das ist falsch: Erstens macht jede noch so kleine Aktivität einen Unterschied, und zweitens ist die Klimaerhitzung doch für diejenigen viel schlimmer, die darum wissen, aber nichts machen.»
Tipps für Eltern, von Gabriela Leuthard, Leiterin Geschäftsstelle Elternbildung im AJB
Vermitteln von Wissen, Werten und Haltungen
- Mit Kindern über die Themen sprechen, die sie interessieren – altersgerecht und anhand aktueller Erlebnisse und Situationen (z. B. beim Einkaufen, Kochen, Entsorgen).
- Spüren, wenn das Kind Informationen möchte, wieviel, in welcher Form – und diese dem Kind gut «dosiert» geben. Das ist anspruchsvoll. Hier können z. B. auch gut gemachte Kindersendungen helfen.
- Ausserdem und noch wichtiger: Das, was man sagt und von den andern erwartet, auch selbst vorleben.
- Besprechen und Planen, was man als Familie im Alltag tun kann, um Ökologie und Nachhaltigkeit zu fördern – und danach handeln (nicht «nur» reden). Kinder lernen so, was sie und die ganze Familie beitragen können. Nachhaltig zu leben wird so bis zu einem gewissen Grad selbstverständlich.
- Mit Kindern die Schönheit der Natur erleben.
Gefühle, Offenheit, Empathie
- Offen über eigene schwierige Gefühle sprechen, z. B. indem man eigene Unsicherheiten benennt und auch sagt, dass es manchmal schwierig ist, Ungewissheit auszuhalten.
- Dabei auf die «Dosierung» achten und die eigene Gefühlswelt gut «managen»: Das Kind ist nicht dazu da, als Abladeplatz für eigene negativen Gefühle zu dienen.
- Genauso wichtig: positive Gefühle mitgeben! Man kann offen sagen, dass man nicht weiss, ob alles gut kommt. Aber es ist wichtig, dem Kind trotzdem zu vermitteln: Es macht Sinn, dass wir daran glauben, dass wir etwas bewirken können und es einen Weg geben wird.
- Üben, mit den vielen Unsicherheiten im Leben umzugehen. In einer Welt, die gesellschaftlich so kontrolliert scheint, es aber nur sehr beschränkt ist, sind wir gefordert, mit unseren Kindern das Leben mit Unsicherheiten zu üben: sich ihrer bewusst sein und einen guten Umgang mit ihnen finden.
- Dem Kind Sinnhaftigkeit und Selbstwirksamkeit mitgeben: Zeigen, warum es sich lohnt, nachhaltig zu leben und den Alltag entsprechend zu gestalten.
Text: Esther Banz