Fragen zur Erziehung und Entwicklung Ihrer Kinder und zum Familienalltag? Die Fachleute unserer Kinder- und Jugendhilfezentren (kjz) beraten Sie gern.
Zum kjz-Beratungsangebot«Hilfe zugänglich zu machen, ist ein ganz wichtiger Teil unserer Arbeit»
Wenn das Familienbudget stark einschränkt, spüren dies auch die Kinder – sei es beim Wohnen, bei der Gestaltung ihrer Freizeit oder im sozialen Miteinander. In den Kinder- und Jugendhilfezentren (kjz) des Kantons Zürich setzen sich Fachpersonen wie Sozialarbeiterin Anna Klieber dafür ein, die Folgen der prekären Situation für die Familien zu lindern.
Anna Klieber, wo wirkt sich ein knappes Familienbudget besonders auf den Alltag der Kinder aus?
Geldknappheit beeinflusst viele Lebensbereiche der Kinder – etwa die Wohnsituation. Bei Familien mit mehreren Kindern ist es längst nicht üblich, dass jedes Kind ein eigenes Zimmer hat. Meistens sind die Möbel alt, teils sogar kaputt. Ein weiteres Thema ist die Ferien- und Freizeitgestaltung. Oft liegen Ferien gar nicht drin. Ebenso wenig teure Hobbys. Der Beitrag für den Fussballklub mag gerade noch gehen, aber es scheitert dann an den Schuhen, der klubeigenen Ausrüstung oder am fehlenden Wissen über günstige Bezugsquellen. Bei Jugendlichen kommen die Kosten für den Ausgang hinzu: Konzert, Kino, Restaurant und so weiter. Da schränkt ein knappes Budget nicht zuletzt wegen den öV-Kosten sehr ein. Ein weiteres Thema ist die Nachhilfe, etwa zur Vorbereitung aufs Gymnasium. Familien mit geringem Einkommen können sich Nachhilfestunden schlicht nicht leisten.
Welche Rolle spielen dabei soziale Ausgrenzung und Scham?
Gerade in einem wohlhabenden Bezirk wie Meilen, wo ich arbeite, erleben Kinder aus finanziell benachteiligten Familien den Unterschied zu den anderen Kindern besonders deutlich. Statussymbole gewinnen in diesem Kontext eine besondere Bedeutung, weil sie Zugehörigkeit und Teilhabe signalisieren. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass der Zugang zu günstiger und qualitativ guter Ware Zeit, Wissen und Ressourcen voraussetzt – Dinge, die Familien in prekären Lebenslagen oft nicht zur Verfügung stehen.
Den Unterschied spüren diese Kinder auch bei den Freizeitaktivitäten. Sie können mit den anderen Kindern nicht mithalten. In solchen Fällen kommunizieren sie in ihrem Umfeld oft nicht, dass sie wenig Geld haben. Sie versuchen sich einfach durchzuschmuggeln. Oft spielt bei der Gestaltung der Freizeit aber auch die Einstellung der Eltern eine Rolle. Aus kulturellen oder schichtspezifischen Gründen hat es für manche Eltern keine Priorität, dass ihre Kinder ein Hobby pflegen. In solchen Fällen empfinden die Kinder das fehlende Hobby nicht unbedingt als Mangel – dass sie mit anderen nicht in den Ausgang gehen können jedoch schon.
Wir bemühen uns, dass die Kinder nicht unter der Geldknappheit ihrer Eltern leiden.
Wie unterstützen die kjz Familien mit knappem Budget?
Wir helfen den Familien niederschwellig und kostenlos. Wenn wir von der prekären finanziellen Situation einer Familie erfahren, reagieren wir darauf, indem wir zum Beispiel einem Kind ein Hobby empfehlen oder die Finanzierung sicherstellen, wenn es diesen Wunsch selbst äussert.
Unsere Beratung richtet sich ausschliesslich an den Bedürfnissen der Kinder aus. Können die Eltern zum Beispiel ihre Miete nicht bezahlen oder wenn eine Schuldensanierung geboten ist, fällt dies in den Zuständigkeitsbereich anderer Fachstellen. Wir haben immer das Kindeswohl im Blick und bemühen uns, dass die Kinder nicht unter der Geldknappheit ihrer Eltern leiden.
Welche Aufgaben übernehmen die Fachpersonen in den kjz konkret?
Wir informieren die Eltern über Hilfsangebote, vermitteln ihnen passende Stellen oder setzen uns bei Behörden, Organisationen und Stiftungen für ihre Anliegen ein. Im Weiteren liefern wir im Rahmen einer Beistandschaft den Sozialhilfestellen die Begründung für Kostenübernahmen, etwa für ein Ferienlager. Unsere Begründungen haben oft mehr Gewicht als diejenigen der Familien. Wir sind also eine Art anwaltschaftliche Vertretung der Kinder gegenüber den Sozialhilfestellen. Auch versuchen wir, bei den Eltern die Scheu und Scham abzubauen vor staatlicher Unterstützung wie der Sozialhilfe oder der Prämienverbilligung. Wir machen ihnen klar, dass es ihr Recht ist, diese Leistungen in Anspruch zu nehmen.
Können Sie uns einen konkreten Fall schildern?
Eine Gemeinde hat zum Beispiel einer alleinerziehenden Mutter die «Tischlein deck dich»-Karte verweigert. «Tischlein deck dich» rettet Lebensmittel und gibt sie zu einem symbolischen Preis an bedürftige Menschen ab. Dann habe ich für die Mutter im Kanton eine andere Ausgabenstelle gesucht und wurde in einem anderen Bezirk fündig. So konnte ich ihr zu einer neuen «Tischlein deck dich»-Karte verhelfen. Hilfe zugänglich zu machen, ist ein ganz wichtiger Teil unserer Arbeit.
Wie sollen betroffene Familien bei der Suche nach Hilfsangeboten am besten vorgehen?
Natürlich schaden eigene Recherchen im Internet nie. Jedoch braucht es dazu den Zugang und ein gewisses Wissen. Hinzu kommt ein grundsätzliches Problem: Es sind zwar viele Hilfsangebote vorhanden, die Hürden sind aber oft hoch. Da führt die Eigeninitiative von betroffenen Eltern leider nicht immer ans Ziel. Deshalb ist es ratsam, wenn sich die Eltern beim zuständigen kjz melden. Auch die Wohngemeinde ist eine sinnvolle Anlaufstelle. Die Qualität der Sozialberatung hängt allerdings vom Engagement der Fachperson ab und davon, wie stark sich die Gemeinde zur Hilfe verpflichtet fühlt. Ein ablehnender Entscheid der Gemeinde ist jedoch noch keine Katastrophe. Oft ist er eine Voraussetzung, um bei einer Stiftung Hilfe beantragen zu können.
Wir kompensieren fehlendes Wissen und fehlende Erfahrung.
Wenn das Geld nicht für alle Bedürfnisse reicht: In welchen Bereichen sollten Familien versuchen, sparsam zu bleiben, und in welchen nicht?
Familien mit knappem Budget sind Expertinnen darin, mit wenig Geld über die Runden zu kommen. Da staune ich oft – zum Beispiel wie die Tochter trotz der beschränkten finanziellen Möglichkeiten neue Turnschuhe zum Geburtstag bekommt. Mir ist aber ganz wichtig zu erwähnen, dass ich nicht moralisiere und belehre. Darum geht es in unseren Beratungen nicht. Wir unterstützen Familien bei finanziellen Angelegenheiten, die wir pädagogisch oder existentiell begründen können – etwa bezüglich Freizeitgestaltung oder Grundbedarf.
Wie können Eltern ihre Kinder trotz begrenzter finanzieller Mittel stärken und sie vor Ausgrenzung schützen?
Die Eltern sollten sich nicht schämen, finanzielle Unterstützung zu beantragen, um ihren Kindern Hobbys zu ermöglichen. Denn Freizeitaktivitäten sind wichtig für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen – zum Beispiel das Erlernen eines Musikinstruments. Musikschulen haben oft einen internen Fonds, der teils sämtliche Kosten übernimmt. Das Beispiel zeigt, dass es sich lohnt, gezielt nach Vergünstigungen zu fragen.
Ihre Ausführungen verdeutlichen: Um gesellschaftlich integriert zu sein, sind nicht nur die finanziellen Möglichkeiten entscheidend.
Ja. Es geht nicht nur um Geld und darum, was man sich leisten kann und was nicht. Genauso wichtig ist das Wissen um Hilfsangebote und Stiftungen und das Wissen, wie man sie findet. Aber genau hier setzt die Unterstützung in den kjz an. Wir kompensieren fehlendes Wissen und fehlende Erfahrung.