Gewaltfreie Erziehung

Mein Kind hört nicht auf zu gamen! Was tun?

Im Stress ist es schnell passiert, bei Über­for­de­rung umso mehr: Das Kind macht nicht wie gewünscht – und die eigene Beherr­schung geht verlo­ren. Was hilft dagegen? Und warum ist das so wichtig für Kinder? Lesen Sie dazu unsere Serie mit konkre­ten Tipps für heraus­for­dernde Momente.


Ihr Kind macht einfach weiter

Abge­macht war noch eine Vier­tel­stunde. Doch Ihr Kind macht keine Anstal­ten, aufzu­hö­ren. Auch Ihr (erneu­ter) Hinweis bleibt unbe­ach­tet. Immer das gleiche Theater! Sie verlie­ren die Nerven: «Wenn du nicht sofort aufhörst, sperre ich alle Games!»

Das geht viel­leicht in Ihnen vor

«Gleich schmeisse ich das Gerät aus dem Fenster!», denken Sie viel­leicht. Oder: «Nie hält sie sich an Regeln!» Auf Abma­chun­gen mit dem Kind möchte man sich verlas­sen können. Klappt das nicht, kann das wütend machen. Umso mehr, wenn Sie etwas schon unzäh­lige Male gesagt haben. Nicht beach­tet zu werden, fühlt sich eben­falls nicht gut an. Gefühle von Ohnmacht können aufkom­men. Hat man gerade wenig Energie, nimmt man das Verhal­ten viel­leicht persön­lich: «Nie hört sie auf mich!» Solche Gefühle und Gedan­ken sind verständ­lich.

Situa­tion des Kindes

Sich von etwas zu lösen, das stark in Bann zieht, ist nicht einfach – für uns Erwach­sene ja auch nicht. Sollen Kinder eine Welt verlas­sen, in der sie sich gerade so schön wohl­füh­len und ange­regt sind, ist das frus­trie­rend. Sie finden es unfair, fühlen sich unver­stan­den. Schliess­lich wollten sie doch nur noch kurz das Level fertig­spie­len oder hätten «gleich» aufge­hört.

Spezi­al­fall Gamen und Co. Anders als etwa bei Lego oder Brett­spie­len haben viele digi­tale Games und Platt­for­men nur ein Ziel: Nutzende sollen so viel Zeit wie möglich damit verbrin­gen. Dafür zielen sie mit raffi­nier­ten Tricks auf unser Beloh­nungs­sys­tem ab. Ein mass­vol­ler Umgang braucht ausge­spro­chen viel Selbst­kon­trolle. Kinder haben diese noch nicht entwi­ckelt und brau­chen unsere Unter­stüt­zung.

Beden­ken Sie: Mit unserer Reak­tion leben wir Werte vor. Und Kinder schauen sich unser Verhal­ten ab. Manch­mal passiert es aber, dass wir dem Kind andere Werte vorle­ben, als wir meinen. Gerade im Stress. Zum Beispiel:

  • «Nie hältst du dich an etwas!» Sie werden laut oder vorwurfs­voll? Ihr Kind merkt sich: So reagiert man bei Konflik­ten.
  • «Jetzt musst du nicht kuscheln kommen wollen …» Sie werden schnip­pisch oder vermei­den zum Beispiel den Blick­kon­takt oder Nähe? Bei Kindern kann sich einprä­gen: Mama oder Papa haben mich nur gerne, wenn ich ihre Erwar­tun­gen erfülle.

Das könnten Sie statt­des­sen tun

Kinder brau­chen beim Über­gang zurück in die analoge Welt Unter­stüt­zung.

Helfen kann

  • Nahe ans Kind heran­ge­hen, so dass es Sie hören kann und ernst nimmt.
  • Inter­esse zeigen (z. B. «Zeig mal, wo bist du denn gerade im Spiel?», «Worum geht’s?», «Was gibt es zu gewinnen/verlieren?»)
  • Gefühle des Kindes beglei­ten (z. B. «Bist du gerade frus­triert, dass du aufhö­ren musst?», «Würdest du am liebs­ten endlos weiter­spie­len?»)

Ihr Kind reagiert immer noch nicht?

Dann hilft vor allem: dran­blei­ben. Setzen Sie sich daneben, schauen Sie mit in den Bild­schirm, bis das Level fertig gespielt ist. So zeigen Sie, dass Sie es ernst meinen. Auch können Sie die Konse­quen­zen Ihrer Abma­chun­gen aufzei­gen – sofern diese vorher klar getrof­fen worden sind (z. B. «Du hast eine wöchent­li­che Game-Zeit. Wenn du nun weiter­spielst, hast du morgen weniger Zeit.»)

Ihr Kind muss merken: Es geht nicht gegen dich. Ich verstehe, dass dir das Spiel Spass macht. Aber alleine kommst du da gerade nicht mehr raus. Den allfäl­li­gen Frust gilt es auszu­sit­zen. Er hat mit dem Sucht­fak­tor zu tun, nicht mit Ihrem Kind.

Sie verlie­ren die Beherr­schung?

  • Benen­nen Sie eigene Gefühle. (z. B. «Das macht mich hässig, wenn du mich igno­rierst» anstatt: «Du machst mich hässig»)
  • Fokus­sie­ren Sie auf Regeln, anstatt Vorwür­fen Raum zu geben. (z. B. «Wir haben gesagt, noch eine Vier­tel­stunde. Sie ist jetzt um. Es frus­triert mich, dass du dich nicht an diese Abma­chung hältst»)
  • Verschaf­fen Sie sich Zeit. (z. B. «Die Vier­tel­stunde ist um. Ich will nicht wütend reagie­ren. Wenn ich vom WC zurück­komme, hast du abge­stellt», «Ich will nicht, dass wir einan­der igno­rie­ren. Wenn wir jetzt darüber reden, kommt es aber nicht gut. Wir schauen das später an»)

Beden­ken Sie: Wert­ver­mitt­lung klappt nicht im aufge­wühl­ten Zustand (von beiden). Erklä­ren Sie Ihrem Kind lieber später in einem ruhigen Moment: Warum ist mir mass­vol­les Gamen wichtig? Und warum will ich nicht, dass wir einan­der igno­rie­ren?

Wie weiter

Damit solche Über­gänge zukünf­tig besser gelin­gen, hilft die Frage: Wie kann mein Kind lernen, was ich von ihm möchte? Lassen Sie Ihr Kind mitden­ken. Helfen können Vorankün­di­gun­gen. Dabei sind Angaben in Game-Einhei­ten einfa­cher als Zeit­an­ga­ben.

Beispiele für Vorankün­di­gun­gen

  • münd­lich (z. B. «In fünf Minuten ist das Essen bereit. Bis dann musst du das letzte Level gespielt haben»)
  • ein Game-Wecker (z. B. ausge­fal­len: eine Eier- oder Kuckucks­uhr)
  • zwei Wecker (1x als Vorankün­di­gung, 1x für das letzte Level)
  • ein Lied, genug laut (am Ende vom Lied ist die letzte Runde gespielt)

Helfen kann auch

  • das Kind danach über das Spiel/die Sendung erzäh­len lassen oder die letzte Runde gemein­sam spielen
  • in einem ruhigen Moment über die Folgen von viel Medi­en­kon­sum reden (z. B. die Konzen­tra­tion in der Schule lässt nach, wenig Bewe­gung macht träge, viel Streit über das gleiche Thema ist für beide anstren­gend)
  • in einem ruhigen Moment über den Sucht­fak­tor reden (Spiele zielen auf unser Beloh­nungs­sys­tem ab: «Woran merkst du das, was kannst du gewinnen/verlieren? Was macht das Ausschal­ten so schwie­rig für dich? Wie fühlen sich Spielen und Aufhö­ren an?»)
  • Fami­li­en­rat durch­füh­ren: Was ist wem wichtig? Um welche Bedürf­nisse geht es? (z. B. beim Kind: «Warum gamest du? Zur Beru­hi­gung? Zum Abschal­ten nach der Schule? Bei Lange­weile oder Frust? Welche Alter­na­ti­ven dazu gibt es?»)

Reagie­ren Sie auch im Stress mehr­heit­lich konstruk­tiv,

  • entwi­ckelt Ihr Kind eher einen guten Selbst­wert,
  • kopiert es Ihr Verhal­ten vermut­lich und lernt es damit selbst,
  • kann Ihr Kind später besser mit schwie­ri­gen Situa­tio­nen und Krisen umgehen,
  • kann sich Ihr Kind besser auf seine kind­li­chen Entwick­lungs­auf­ga­ben und eigenen Stärken konzen­trie­ren,
  • erlebt das Kind weniger Stress,
  • kann Ihr Kind Sie als verläss­li­che Vertrau­ens­per­son erleben,
  • läuft Ihr Kind weniger Gefahr, sich für das Wohl von seinem Umfeld verant­wort­lich zu fühlen und dabei sich selbst zu verges­sen.

Der Beitrag ist in Zusam­men­ar­beit mit Adrian Weiss entstan­den, Eltern­bild­ner bei der Geschäfts­stelle Eltern­bil­dung des Amts für Jugend und Berufs­be­ra­tung, Kanton Zürich.

Adrian Weiss hat Soziale Arbeit studiert und arbeitet seit 2024 bei der Geschäftsstelle Elternbildung als Elternbildner.

Adrian Weiss

Adrian Weiss hat Soziale Arbeit studiert und arbeitet seit 2024 bei der Geschäftsstelle Elternbildung als Elternbildner. Davor hat er elf Jahre für die Sozialen Dienste Zürich als Beistand für Kinder und Jugendliche gearbeitet sowie mehrere Jahre in der offenen Jugendarbeit.