kjz-Sprechstunde

«Meine Stieftochter (16) lässt sich nichts sagen. Sollen wir sie einfach machen lassen?»

Mütter und Väter wissen am besten, was gut ist für ihr Kind. Doch ab und zu sind sie auch bei gröss­ter Eltern­liebe froh um ein biss­chen Unter­stüt­zung. Bei allen Fragen rund um Familie und Erzie­hung weiss das Fach­team unserer kjz-Sprech­stunde Rat. Kompe­tent, anonym und unkom­pli­ziert. Was immer Sie bewegt – wir sind für Sie da!


Liebes kjz
Meine Stief­toch­ter (16) ist depres­siv und schi­zo­phren. Sie hat einen Freund (18) und wir haben das Gefühl, dass er sie mani­pu­liert. Er meint, sie brauche keine Hilfe. Auch sein Vater denkt, dass wir ihr die Krank­hei­ten nur einre­den. Aber die Diagno­sen sind eindeu­tig.
Sie büxt dauernd aus. Wenn wir nicht wollen, dass sie zu ihrem Freund fährt, macht sie es trotz­dem. Sie denkt, sie wisse alles besser. Die Thera­pie bringt auch nichts, da sie von nieman­dem Hilfe annimmt. Wir kommen nicht mehr an sie heran. Was können wir tun?

Liebe Stief­mama

Hier treffen zwei Aspekte aufein­an­der, die sich ungüns­tig ergän­zen: eindeu­tige Diagno­sen und ein eindeu­ti­ges Alter. Die Diagnose Schi­zo­phre­nie bringt einige Schwie­rig­kei­ten mit sich. So kann nur ein bestimm­tes Verhal­ten die Gesun­dung begüns­ti­gen. Dazu gehört im Regel­fall Medi­ka­tion, aber auch ein selbst­scho­nen­des und eher reiz­ar­mes Verhal­ten. Dem läuft das Jugend­al­ter Ihrer Stief­toch­ter zuwider. Selbst­scho­nung inter­es­siert nicht wirk­lich, die ange­strengte Suche nach neuen Impul­sen hinge­gen sehr. Es wird auf Teufel komm raus auspro­biert, alle Möglich­kei­ten ausge­reizt. Dazu kommt ein über­bor­den­des Grös­sen­selbst und damit die Gewiss­heit, alles besser zu wissen – was grund­sätz­lich nicht falsch ist, aber gepaart mit der Diagnose Schi­zo­phre­nie eine schwie­rige Mischung darstellt. Grund­sätz­lich ist es für Ihre Stief­toch­ter wichtig und richtig, Erfah­run­gen zu sammeln, die sich von den Weis­hei­ten der Eltern stark unter­schei­den. Das betrifft eben auch die Wahl des Freun­des.

Leider folgt ein «Aber»: Als Eltern müssen Sie Ihr Kind (nicht nur, aber auch wegen der Diagno­sen) best­mög­lich vor Selbst­ge­fähr­dung, lies: vor sich selbst, schüt­zen.

Viel­leicht müssen Sie in der Folge unter­schei­den zwischen Fakto­ren, die Sie kontrol­lie­ren können, und solchen, die Sie nicht kontrol­lie­ren können. Und ja: Die Unkon­trol­lier­ba­ren sind in der Über­zahl. Kontrol­lier­bar sind Ihre bedin­gungs­lose Liebe für Ihre Stief­toch­ter, Ihre Fürsorge, das Vertrauen, das Sie ihr schen­ken. Und viel­leicht die Medi­ka­mente, die sie einnimmt. Nicht kontrol­lie­ren können Sie alle anderen Fakto­ren: den alters­be­ding­ten erhöh­ten Frei­heits­drang (Ablö­sungs­pro­zess); die Iden­ti­täts­su­che, die bei Schi­zo­phre­nie schwer­fällt; die Anzie­hungs­kraft der Nacht; die Wahl des Freun­des und noch einige mehr. Viel­leicht können Sie beim Freund und seinem Vater anset­zen, indem sie das Gespräch suchen und Aufklä­rungs­ar­beit leisten. Schliess­lich haben nicht Sie die Diagno­sen gestellt, sondern Ärzte. Und Sie konnten bereits Erfah­run­gen sammeln. Damit wissen Sie grund­sätz­lich Bescheid darüber – im Gegen­satz zu den anderen.

Trotz­dem errei­chen Sie vermut­lich am meisten, wenn Sie Ihrer Tochter immer wieder Vertrauen schen­ken – auch wenn sie es gefühlt pausen­los bricht. Selbst wenn Ihnen das Verhal­ten Ihrer Tochter aus vielen Gründen wider­spricht, lohnt es sich lang­fris­tig, wenn Sie mit Ihrer Tochter in Bezie­hung bleiben.

Ich lege Ihnen über­dies einen Besuch im kjz in Ihrer Nähe ans Herz. Dort können Sie das Thema vertie­fen.

Claude Ramme (Erzie­hungs­be­ra­ter) und das kjz-Team

Haben Sie eine Frage?

Haben Sie eine Frage zur Erzie­hung, zum Zusam­men­le­ben in der aktu­el­len Situa­tion oder ganz allge­mein zum Fami­li­en­le­ben? Das kjz-Team beant­wor­tet regel­mäs­sig Fragen in der «kjz-Sprech­stunde».