Fragen zur Erziehung und Entwicklung Ihrer Kinder und zum Familienalltag? Die Fachleute unserer Kinder- und Jugendhilfezentren (kjz) beraten Sie gern.
Zum kjz-BeratungsangebotKinder leiden unter der Sucht ihrer Eltern
«Sucht Schweiz» schätzt, dass rund 100 000 Kinder und Jugendliche in der Schweiz mit suchtkranken Eltern zusammen leben. Diese Kinder sind auf Hilfe von aussen angewiesen. Aussenstehende Personen, die von solchen Umständen wissen, sollten darum irgendwie versuchen einzuschreiten, sagt Jeanette Wildhaber, Leiterin des kjz Bülach. Im Interview erklärt sie, warum das so wichtig ist und an wen man sich für Beratung und Hilfe wenden kann.
Rund 100 000 Kinder leben in der Schweiz mit suchtkranken Eltern, mit Vater und/oder Mutter, die zu viel trinken, Drogen oder Medikamente konsumieren – und damit nicht nur sich selbst, sondern auch ganz entscheidend ihren Kindern schaden. Die Arbeit mit betroffenen Familien gehört zum Alltag der Beratenden der Kinder- und Jugendhilfezentren (kjz) im Kanton Zürich. Jeanette Wildhaber, Leiterin des kjz Bülach, erzählt aus diesem Alltag der Beratenden und erklärt im Interview, wie man als aussenstehende Person auf Situationen reagieren kann, die einem problematisch erscheinen.
Jeanette Wildhaber, Beratungen von Familien, in denen die Eltern suchtkrank sind, gehört zu Eurem Alltag im kjz Bülach. Wie gelangen diese Fälle zu Euch? Wer meldet diese?
Jeanette Wildhaber: Da gibt es verschiedene Wege. Es kommt zum Beispiel vor, dass sich Angehörige bei uns melden, die wissen, dass in einer Familie die Kinder darunter leiden, dass ein Elternteil Suchtmittel konsumiert. Es gibt aber auch Familien, die aus anderen Gründen bereits bei uns in Beratung sind und die Suchtmittelthematik als ein Aspekt der Familiensituation angesprochen wird. Es sind zum Teil Lehrpersonen, die sich an uns wenden, wegen eines Kindes in ihrer Schulklasse und dann werden wir auch von der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) in Fälle involviert, wenn wir Beistandschaften für betroffene Kinder übernehmen.
Kommt es auch vor, dass betroffene Kinder selbst sich bei Euch melden?
Das gibt es, vor allem bei Jugendlichen. Oft kommen sie aber nicht explizit, weil ein Elternteil ein Suchtproblem hat, sondern wegen eigenen Problemen in der Schule oder mit dem Lehrbetrieb. Jugendliche kommen manchmal auch in Begleitung etwa von Schulsozialarbeitern. Die Sucht von Eltern kommt dann meist erst im Laufe der Beratung zur Sprache.
Dieses Thema ist definitiv für ganz viele Menschen schambehaftet. Ich persönlich finde, man spricht lieber einmal zu viel jemanden an als einmal zu wenig.
Oft ist es für betroffene Kinder aber fast nicht möglich, von sich aus zu reagieren. Einerseits geht es ja um die eigenen Eltern, die das Kind liebt und die es instinktiv auch beschützen will. So kann es vorkommen, dass Kinder beginnen, ihre Eltern zu decken, weil sie Angst haben die Eltern zu verlieren. Oder sie spüren umgekehrt die Angst der Eltern, dass man ihnen die Kinder wegnehmen und ausserfamiliär unterbringen könnte, wenn ihre Sucht bekannt wird. Und andererseits erkennen Kinder auch einfach gar nicht immer, dass etwas rsp. was nicht in Ordnung ist. Schon ganz junge betroffene Kinder lernen zum Beispiel zuhause die Verantwortung für sich selbst und den Haushalt zu übernehmen und sind sich gar nicht bewusst, dass das eigentlich die Aufgabe der Eltern wäre. Daraus entsteht oft eine Überforderung der Kinder, deren Ursache sie selbst aber nicht erkennen.
Wie merke ich als aussenstehende Person, wenn ein Kind in einer solchen Situation drin steckt und darunter leidet? Welche Anzeichen gibt es?
Mögliche Anzeichen gibt es verschiedene, die sich tendenziell in zwei Kategorien unterscheiden lassen. Die eine Richtung ist eher laut. Das heisst Kinder reagieren emotional aggressiv, neigen zu störendem Verhalten in der Schule oder zu Hyperaktivität. Die andere Richtung ist leise. Das heisst Kinder ziehen sich in sich zurück, zeigen sich sehr angepasst oder verschlossen und können Ängste oder depressive Züge entwickeln. Dazu können Schlaf- und Konzentrationsschwierigkeiten kommen und längerfristig Entwicklungsverzögerungen.
Und wie reagiere ich dann am besten, wenn ich das Gefühl habe, etwas sei nicht mehr gut in einer mir bekannten Familie? Spreche ich das betroffene Kind an oder die Eltern oder gehe ich gleich zu den Behörden?
Das ist eine schwierige Situation, keine Frage. Je nachdem wie gut man jemanden kennt, kann man sich dessen Reaktion vielleicht vorstellen, wenn man ihn oder sie auf das Trinkverhalten ansprechen würde. Aber dieses Thema ist definitiv für ganz viele Menschen schambehaftet. Ich persönlich finde, man spricht lieber einmal zu viel jemanden an als einmal zu wenig. Aber genau für solche Fälle, wenn man unsicher ist, gibt es Fachstellen, wie die kjz oder Suchtberatungsstellen, an die man sich wenden kann. Da bekommen alle Menschen, egal in welcher Beziehung sie zu betroffenen Personen stehen, Unterstützung bei der Frage, wie man jemanden auf dessen mutmassliche Probleme ansprechen kann. Gerade weil das Thema so schambehaftet ist, lohnt es sich ganz sicher, sich an Fachpersonen zu wenden, weil man ja die Situation verbessern und nicht noch verschlimmern will. Standardrezepte, die immer funktionieren gibt es nicht.
Es ist explizit das Ziel der «Aktionswoche für Kinder von suchtkranken Eltern», die Menschen dafür zu sensibilisieren, dass es viele Kinder gibt, die unter solchen Situationen leiden. Wer von einer solchen Situation weiss, soll sich an Fachpersonen wenden. Denn schliesslich steht das Wohl der betroffenen Kinder für alle – Angehörige, Eltern, Fachleute – an erster Stelle. Gemeinsam funktioniert es besser, Wege zu finden, um die Situation für die Kinder und die Eltern zu verbessern.
Informationen zur «Aktionswoche für Kinder von suchtkranken Eltern», die vom 8. bis 14. März 2021 stattfinden wird, finden Sie hier.
Umfangreiche Informationen zu Suchtkrankheiten und Kontakte zu Fach- und Anlaufstellen für Suchtberatungen finden Sie auf: