Überforderung bei Vätern

Vatersein zwischen Anspruch und Realität: Strategien gegen Überforderung

Vater­sein berührt, beschäf­tigt und fordert heraus. Es ist normal, dass Väter nicht in allen Berei­chen des tägli­chen Lebens zu 100 Prozent perfor­men und sich manch­mal erschöpft fühlen. Und trotz­dem gilt Über­for­de­rung bei Vätern als Tabu­thema. Väter­be­ra­ter Daniel Bünter und zwei Väter wirken dem entge­gen und teilen ihre Erfah­run­gen.

Die Ursa­chen für Über­for­de­rung im Fami­li­en­kon­text sind viel­fäl­tig. Häufig spiele der Alltags­stress eine zentrale Rolle: Familie, Job und Hobbys unter einen Hut zu bringen, führe oft zu einem soge­nann­ten Verein­bar­keits­di­lemma, sagt Väter­be­ra­ter Daniel Bünter, selbst Vater von zwei Kindern im schul­pflich­ti­gen Alter. Hinzu kommen Unsi­cher­hei­ten: Bin ich gut genug? Die gesell­schaft­li­che Erwar­tung an den «enga­gier­ten Vater» trifft auf tradi­tio­nelle Rollen­bil­der, die noch immer präsent sind. Väter müssen sich in ihrer Väter­lich­keit neu erfin­den. Sie wollen präsente Papis sein, aber das alte Bild des Ernäh­rers exis­tiert paral­lel weiter.

Wie sich Über­for­de­rung bei Vätern zeigt

Über­for­de­rung äussert sich bei Vätern auf unter­schied­li­che Weise. Manche reagie­ren mit Wut oder Aggres­sion, werden laut oder drohen – oft ein Verhal­ten, das im Nach­hin­ein mit Scham verbun­den ist und dass sie in ihrer Kind­heit selbst erfah­ren haben. Andere hinge­gen ziehen sich zurück und fühlen sich frus­triert. Erschöp­fung und Über­for­de­rung gehören zum Eltern­sein dazu und sind kein Zeichen von Schwä­che. Besorg­nis­er­re­gend wird es erst, wenn diese Gefühle über­wie­gen und zum Dauer­zu­stand werden. «Wenn Betrof­fene merken, dass sie aus dieser Stim­mung nicht mehr heraus­kom­men, spre­chen wir von laten­ter Über­for­de­rung», erklärt Daniel Bünter.

Ein zusätz­li­cher Stress­fak­tor ist die fehlende Orien­tie­rung. Es mangelt an Vorbil­dern, die zeigen, wie ein moder­ner Vater sein kann. Statt­des­sen domi­nie­ren polierte Bilder in den Medien – Väter, die schein­bar alles im Griff haben und das Leben spie­le­risch meis­tern. Daniel Bünter präzi­siert: «Das sind Moment­auf­nah­men. Niemand hat immer alles im Griff und das ist völlig in Ordnung. Vater­sein ist ein Lern­pro­zess.»

Phils Erfah­rung mit Über­for­de­rung

Phil arbei­tet 100 Prozent und macht zeit­gleich eine Weiter­bil­dung. Er ist Vater von zwei Jungs im Alter von 2½ Jahren und 4 Monaten.

In welchen Momen­ten spürst du die Über­for­de­rung beson­ders stark und wie gehst du damit um?
Phil: Bei zu wenig Schlaf und zu viel Stress und wenn ich das Gefühl habe, ich komme nicht vorwärts, egal was ich angehe. Auch wenn die Kinder eine schwie­rige Phase haben.

Wie gehst du mit dieser Über­for­de­rung um?
Bei schwie­ri­gen Phasen der Kinder gehe ich mit ihnen in die Natur oder auf den Spiel­platz. Bei den anderen Situa­tio­nen heisst es: Durch­hal­ten, Ruhe bewah­ren – auch dieser Tag geht vorbei.

Was hilft dir, dich zu entlas­ten oder den Stress abzu­bauen? Gibt es Stra­te­gien, die für dich funk­tio­nie­ren?
Zeitmanagement und To-do-Listen sind meine wich­tigs­ten Tools, um zu entlas­ten. Der Stress verrin­gert sich dann. Und nicht zu verges­sen: am Wochen­ende der Mittags­schlaf mit meinen Jungs.

Was rätst du anderen Vätern, die sich über­for­dert fühlen?
Redet mit eurer Part­ne­rin oder eurem Partner. Sagt ihnen, wie ihr euch fühlt, was bei euch los ist. Denn sie sehen das Äussere, nicht aber das Innere. Geht mit euren Kindern im Wald spazie­ren oder spielen. Oder redet mit Gleich­ge­sinn­ten, bei Vater-Kind-Treffs oder mit dem Väter­be­ra­ter.

Was hilft bei Über­for­de­rung?

Auch wenn Über­for­de­rung zum Vater­sein dazu­ge­hört, gibt es Stra­te­gien, um besser damit umzu­ge­hen. Sich selbst etwas Gutes tun, sich auszu­tau­schen und im Zwei­fels­fall Hilfe anzu­neh­men, sind Schritte in die rich­tige Rich­tung. Denn letzt­lich zählt nicht die Perfek­tion, sondern das Enga­ge­ment – und die Freude an der gemein­sa­men Zeit mit den Kindern.

Diese Tipps können Vätern bei Über­for­de­rung helfen:

  1. Mit anderen im Gespräch bleiben
    Darüber reden hilft. Ob mit der Part­ne­rin oder dem Partner, anderen Vätern oder in der Familie – es tut gut, sich zu öffnen. Oft hören Väter dann von anderen: «Das kenne ich auch.» Schon das allein kann entlas­tend wirken.
  2. Sich Sorge tragen
    Zeit für sich einpla­nen. Joggen, am Töff werkeln oder einfach ein gutes Buch lesen – was immer den Akku auflädt, ist erlaubt. Dabei muss man nicht unbe­dingt allein etwas machen. Diese wert­volle «Me Time» kann man auch als Paar erleben und bewusst die Zeit zu zweit genies­sen.
  3. Gefühle zulas­sen und akzeptieren
    Es ist keine Schwä­che, sich selbst einzu­ge­ste­hen, dass man sich über­for­dert oder erschöpft fühlt. Im Gegen­teil: Sich mit den eigenen Gefüh­len ausein­an­der­zu­set­zen, ist ein Zeichen von Stärke.

Svens Erfah­rung mit Über­for­de­rung

Sven ist Haus­mann und auf der Suche nach einem Teil­zeit­job als Koch. Er ist Vater einer Tochter (3) und eines Sohns (1½).

In welchen Momen­ten spürst du die Über­for­de­rung beson­ders stark?
Sven: Beson­ders am Abend, wenn bei allen die Batte­rie langsam leer ist. Wenn die «kleinen Raub­tiere» nach Hause kommen, muss alles schnell gehen. Ich versu­che, so gut wie möglich alles vorzu­be­rei­ten, damit das Essen schon parat ist. Danach lasse ich Musik laufen, es wird noch ein biss­chen getanzt, um die Kids auszu­powern, das Pyjama ist dann auch schon bereit. Und immer wieder sage ich mir: Nur noch ein, zwei Stunden bis die Kleinen im Bett sind.

Wie gehst du mit dieser Über­for­de­rung um?
Eine gute Vorbe­rei­tung hilft, ebenso eine tägli­che Routine. Und ganz wichtig, die eigenen Grenzen kennen, sich abgren­zen. Nicht immer das Gefühl haben, man müsse überall dabei sein oder Termine Monate im Voraus abma­chen. Meine Part­ne­rin und ich nehmen es lieber Tag für Tag. Wir haben aufge­hört, zu viel zu wollen.

Was hilft dir, dich zu entlas­ten oder den Stress abzu­bauen? Gibt es Stra­te­gien, die für dich funk­tio­nie­ren?
Ich gehe fünfmal pro Woche ins Gym. Die Kids nehme ich jeweils mit, es gibt eine Kinder­be­treu­ung vor Ort. Jeden Frei­tag­abend treffe ich mich zudem mit meinen alten Pfadi-Kolle­gen und kann abschal­ten. Wir spielen Spiele und es wird auch mal «dumm gschnur­red». Das tut gut.

Was rätst du anderen Vätern, die sich über­for­dert fühlen?
Wer vergleicht, verliert! Man kann es nie allen recht machen, also mach dein eigenes Ding. Geniesse jeden Moment mit den Kids, lege das Handy weg und fokus­siere dich auf die Kinder. Schau ihnen zu, wie sie lachen, spielen und Freude haben. Das entlöhnt für all den Stress.

Wann profes­sio­nelle Hilfe sinn­voll ist

Situa­tive Über­for­de­rung kennt jeder Vater. Doch wenn Stress und Erschöp­fung die Ober­hand gewin­nen, ist es Zeit, aktiv zu werden. Daniel Bünter bietet als Väter­be­ra­ter des Kantons Zürich nied­rig­schwel­lige Unter­stüt­zung – in einem persön­li­chen Gespräch, z. B. bei einem Spazier­gang, per E-Mail, oder Telefon. «Das Angebot ist unge­zwun­gen und kosten­los. Es geht darum, gemein­sam Wege zu finden, wie es besser gehen kann,» erklärt Daniel Bünter.

Die Rolle des Umfelds

Auch die Part­ne­rin oder der Partner, der Freun­des­kreis und die Familie können helfen. Wichtig dabei ist, dass sie nicht beleh­rend auftre­ten, sondern den erschöpf­ten Vater auf emotio­na­ler Ebene anspre­chen. «Fragen wie ‹Wie geht es dir wirk­lich?› oder ‹Fühlst du dich wohl dabei?› schaf­fen Nähe und Vertrauen», weiss Daniel Bünter. Sensi­bi­li­sie­rung ist ein weite­rer Schlüs­sel: Der perfekte Vater exis­tiert nicht – gut genug ist mehr als ausrei­chend.