Das sagt die kjz-Expertin

Gemeinsam in die Elternschaft. Wichtige Themen für Paare vor der Geburt

Eltern­schaft ist eine komplexe Reise, die Paare vor viel­fäl­tige Heraus­for­de­run­gen stellt. Damit sie die Reise als starkes Team angehen können, brauche es Gesprä­che im Voraus, sagt kjz-Exper­tin Simone Gruen-Müller. Welche Fragen dabei wichtig sind, sagt sie im Inter­view.

Simone Gruen-Müller, die Geburt des ersten Kindes verän­dert die bishe­rige, bekannte Welt eines Paares grund­le­gend. Können sie sich auf diese Umstel­lung vorbe­rei­ten?
Elternschaft ist ein wunder­ba­res Aben­teuer. Gleich­zei­tig ist alles komplett neu, man kann beim ersten Kind auf keine Vorer­fah­rung zurück­grei­fen. Das ist anspruchs­voll. In unserem heuti­gen Lebens­stil ist zudem immer viel los. Wir haben Hobbys, treffen Freunde, sind unter­wegs, verrei­sen spontan. Sobald das Baby da ist, dreht sich alles auf einen Schlag um seine Bedürf­nisse. Wer den Gross­teil der Kinder­be­treu­ung über­nimmt, spürt diese Verän­de­run­gen umso mehr. Was diese neue Situa­tion mit einem macht, kann man nicht vorher­se­hen. Die Umstel­lung gelingt aber einfa­cher, wenn die gegen­sei­ti­gen Erwar­tun­gen zuvor gut mitein­an­der bespro­chen werden.

Was bedeu­tet das konkret?
Es geht um Fragen wie: Wie stellen wir uns unsere Rollen als Mutter und Vater vor? Was ist uns wichtig? Was erwar­ten wir vonein­an­der? Wo steckt wer zurück? Das sind sensi­ble Themen, die auch Emotio­nen auslö­sen können. Viel­leicht zeigt sich, dass sich die gegen­sei­ti­gen Ansich­ten nicht überall decken. In meinen Bera­tun­gen höre ich so oft, dass Paare davon ausge­hen, ihre unter­schied­li­chen Vorstel­lun­gen würden sich dann «schon ergeben». Dem ist aber nicht so, wirk­lich nicht. Was als Eltern klar sein muss, muss zuvor als Paar geklärt worden sein. Denn ist das Kind einmal da, fehlt es an Zeit und Energie für Ausein­an­der­set­zun­gen dieser Art.

Wie können Paare den Austausch angehen?
Nehmen wir an, die Eltern möchten die Verant­wor­tung teilen. Dann ist es hilf­reich, wenn sie diese Idee genau durch­spie­len: Wer arbei­tet wie viel? Wer über­nimmt die Betreu­ung tags­über, nach Feier­abend, in der Nacht oder am Samstag- und Sonn­tag­mor­gen? Wer ist zustän­dig für das Putzen, die Einkäufe, für Ferien oder Arzt­ter­mine? Auch sollten beide offen über ihre Bedürf­nisse nach­den­ken: Wo wird wer wie viel zurück­ste­cken? Und welche Bedürf­nisse sind für wen unver­zicht­bar? Wer beispiels­weise ohne Schlaf kaum erträg­lich ist, nur schwer auf Sport verzich­ten kann oder sich auf Spiel­plät­zen nicht wohl fühlt, wird nach einer Geburt nicht plötz­lich anders empfin­den. Das braucht Gesprä­che. Und Lösun­gen, die für beide stimmen.

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Was hilft, wenn das Baby da ist?
Wert­voll ist es, wenn Paare das Unbe­kannte als etwas Gemein­sa­mes angehen. Und wenn beide bereit sind, bei diesem Aben­teuer einfühl­sam aufein­an­der einzu­ge­hen. Ähnlich wie bei einem guten Team im Sport, etwa beim Klet­tern, muss dafür klar sein, wer was braucht. Dabei gilt wieder: Reden ist wichtig. Wir können nie davon ausge­hen, dass unser Gegen­über merkt, was wir brau­chen. Unsere Wahr­neh­mun­gen sind viel zu verschie­den dafür. Ebenso unser Empfin­den von Stress oder Über­las­tung. Wir helfen einan­der, wenn wir fragen «Was brauchst du?» und selber Dinge ausspre­chen wie «Ich mag heute nicht kochen» oder «Ich kann nicht mehr, bitte über­nimm du eine Stunde lang». So kann es ein Mitein­an­der werden und das Gefühl kommt auf, dass sich beide aufein­an­der verlas­sen können.

Inter­es­san­ter­weise spielt hierbei auch oft eine Rolle, wie der Ablö­sungs­schritt von den eigenen Eltern gelun­gen ist. Manche Fami­lien stellen hohe Erwar­tun­gen an junge Eltern, die Bezie­hun­gen können manch­mal rich­tig­ge­hend verstrickt sein. Umso wert­vol­ler ist ein eindeu­ti­ges Bekennt­nis zum Team: Wir als Eltern machen es so. Und so stimmt es für uns.

Wie wichtig ist es, auch mit Kind weiter­hin Zeit als Paar zu verbrin­gen?
Momente der unge­teil­ten Aufmerk­sam­keit fürein­an­der sind wichtig. Hilf­reich ist, wenn sie von Anfang an einge­plant werden. Sie lassen sich aber auch später immer irgend­wie orga­ni­sie­ren. Dabei muss es nicht unbe­dingt ein gemein­sa­mer Abend sein. Zu Beginn kann nur schon ein Spazier­gang zu zweit wert­voll sein, um wieder einmal Zeit für ein Gespräch zu haben und es auch zu Ende führen zu können. Selbst wenn er nur eine Vier­tel­stunde dauert.

Wenn Eltern die Verant­wor­tung teilen möchten, ist die Umset­zung dennoch nicht ganz einfach, da selten beide Eltern­teile genau gleich viel Zeit mit dem Säug­ling verbrin­gen können. Wie können Paare damit umgehen?
Einen Säug­ling richtig zu lesen, braucht viel Erfah­rung und Übung. Wer zu Beginn mehr Zeit mit ihm verbringt, ist hier im Vorteil. Das kann zu einem schwie­ri­gen Ungleich­ge­wicht in der Bezie­hung führen. Hierbei dürfen gerade die Mütter manch­mal lernen, noch mehr loszu­las­sen. Und die Väter sich von Beginn an zutrauen, sich auf den Säug­ling einzu­las­sen. Zur geteil­ten Verant­wor­tung gehört, dass beide akzep­tie­ren und aushal­ten, wenn Situa­tio­nen mit dem Kind unter­schied­lich gehand­habt werden. Denn Väter und Mütter können gleich gut Eltern sein, sie brau­chen nur beide Raum dafür und das notwen­dige Vertrauen. Ich habe aber den Eindruck, dass hier viel im Umbruch ist. Es ist schön, immer mehr Paare zu sehen, bei denen beide ihr Eltern­sein sehr ernst nehmen und an der Erzie­hung glei­cher­mas­sen betei­ligt sein wollen.

Simone Gruen-Müller ist Erziehungsberaterin im kjz Affoltern. Sie ist Fachpsychologin SBAP in Kinder- und Jugendpsychologie, Kinder- und Jugendpsychotherapeutin SBAP und Spezialistin bei OHG-Befragungen.

Simone Gruen-Müller

Simone Gruen-Müller ist Erziehungsberaterin im kjz Affoltern. Sie ist Fachpsychologin SBAP in Kinder- und Jugendpsychologie, Kinder- und Jugendpsychotherapeutin SBAP und Spezialistin bei OHG-Befragungen. Während vieler Jahre war sie im schulpsychologischen Dienst, in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie in der eigenen Praxis tätig.