«Um Gleichstellung zu erreichen, braucht es ein Umdenken aller»
Das Treffen mit Yannick Staubli, Projektmitarbeiter der Fachstelle Gleichstellung, findet in einem Zürcher Primarschulhaus statt. In einfachen Worten erklärt er den Kindern einer 6. Klasse, wie vorgefertigte Geschlechterbilder ihre Berufswahl unbewusst einschränken. Spielerisch bricht er veraltete Rollenbilder auf. Die Kinder sind voll bei der Sache, der Lerneffekt ist greifbar. Seine Botschaft bleibt hängen. «Wir sollen uns nicht einschränken und einen Beruf lernen, der uns Spass macht», sagen sie am Ende der Lektion.
Was hat Sie dazu bewogen, das Thema «Gleichstellung der Geschlechter» zu Ihrem Beruf zu machen?
Yannick Staubli: Von einer Gesellschaft, in der alle Frauen und Männer die gleichen Chancen und Möglichkeiten haben, profitieren letztlich alle. Um diese Vision Realität werden zu lassen, braucht es uns alle. Mein Job bei der Fachstelle Gleichstellung war mein erster Studentenjob. Die Ideen und Ziele, die hier entwickelt und umgesetzt werden, sind Teil meines Verständnisses einer fairen Gesellschaft, in der sich alle Menschen auf Augenhöhe begegnen.
Ihre Aufgaben sind vielseitig. Von der Projektarbeit bis zur Arbeit mit Schülerinnen und Schülern. Was machen Sie am liebsten?
Ich finde genau diese Vielseitigkeit attraktiv. Mein Job fordert mich laufend heraus. Manchmal mit intensiver Projektplanungs- und Umsetzungsarbeit, zum Beispiel für unseren Stand an der Berufsmesse Zürich. Dann steht ein Schul- oder Unternehmensworkshop zu Berufswahl oder der Prävention von sexueller Belästigung an. Es ist diese wechselnde Herausforderung sowie die unterschiedlichen Zielgruppen, die mir an meinem Job am besten gefallen.
Spüren Sie eine Wirkung eurer Bemühungen? Gelingt es euch an Messen oder in Schulklassen, einen Aha-Effekt beim Publikum zu erzeugen?
Seit ich vor acht Jahren angefangen habe, habe ich definitiv einen positiven Wandel erlebt. Die MeToo-Bewegung und der Frauenstreik 2019 haben unsere Arbeit ins Scheinwerferlicht gerückt. Unsere Themen werden aktueller, wichtiger, aber auch als dringlicher denn je wahrgenommen. Das ist enorm wichtig. Denn: Für das Erreichen der Gleichstellung sind Gesetze und Vorschriften zweifelsohne essentiell. Doch die von uns angestrebten Veränderungen in der Gesellschaft sind grösstenteils eine Frage des Zwischenmenschlichen. Also eine Frage eines Kulturwandels. Solche Prozesse laufen sehr langsam ab. Sie dauern Jahrzehnte oder noch länger, das braucht einen langen Atem und kann auch frustrierend sein. Die MeToo-Bewegung und der Frauenstreik haben viel ins Rollen gebracht, vor allem in Bezug darauf, wie, von wem und mit welcher Dringlichkeit über die verschiedenen Aspekte von Gleichstellung gesprochen wird. Die Wirkung unserer Arbeit können wir vor allem im Direktkontakt beobachten – also unter anderem in Beratungen, an Workshops oder an der Berufsmesse. Unser Ansatz ist es, Leute in ihrer jeweiligen Situation zu ermächtigen und zu befähigen. Wir erweitern ihr Wissen und zeigen ihnen Möglichkeiten auf, wie sie die täglichen Herausforderungen möglichst kompetent und erfolgreich bewältigen können – sei das eine Lohnverhandlung, eine untypische Berufswahl oder sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz.
Stereotype Geschlechterbilder halten sich hartnäckig. Mädchen und Buben haben oft einen eingeengten Fokus bei der Berufswahl. Wie erweitert ihr ihren Horizont?
Wir wissen, welch positiven Einfluss Vorbilder in diesem Kontext haben. Aber auch, wie stark Vorurteile unsere Entscheide einschränkend beeinflussen können. Studien zeigen, dass Vorbilder wesentlich dazu beitragen, dass junge Menschen sich mit einem Beruf oder einem Hobby identifizieren. Je mehr weibliche Vorbilder wir in Berufen haben, die traditionell als männlich gelten, desto eher können sich Mädchen vorstellen, selber so eine Karriere anzustreben. Dasselbe gilt natürlich auch für junge Männer. Auf dieser Idee basiert unser interaktives Berufswahlspiel, der «JobMatcher», bei dem Berufe Menschen zugeordnet werden. Der springende Punkt ist, dass die Kombinationen ziemlich unerwartet und untypisch sind. Die Jungs und Mädchen merken beim Spielen, dass eben auch Frauen als Informatikerinnen und Männer als Pflegefachmänner arbeiten. Je mehr Vorbilder junge Menschen in solchen Berufen erleben, desto kleiner wird die Hemmschwelle, den Beruf selber zu wählen. Das ist auch das Konzept hinter unserem Berufswahlworkshop «Dem Beruf ist dein Geschlecht egal!». Wir bieten diesen im ganzen Kanton Zürich für alle Schulen an, von der 5. Primarklasse bis zur 3. Sek. Gemeinsam diskutieren wir die Auswirkungen von veralteten, traditionellen Rollenbildern auf die Berufswahl. Ziel ist es, dass Mädchen und Jungs die möglichen Konsequenzen ihrer Wahl kennen und eine gute Entscheidung für sich selber treffen können. Neben der eingeschränkten Berufswahl sprechen wir auch Themen an wie Lohn und Lohnverhandlung, Flexibilität von Arbeitsmodellen oder Vereinbarkeit von Beruf und Privatem. Zudem ist unsere Fachstelle als Teil der Trägerschaft des Nationalen Zukunftstags engagiert. Junge Menschen erhalten die Möglichkeit, einen Tag lang einen geschlechtsuntypischen Beruf kennenzulernen. Weitere Projekte mit Lehrpersonen, aber auch Kita-Mitarbeitenden sind in Planung.
Neben Eltern und Lehrpersonen beeinflusst die Peer-Group die Berufswahl. Gibt es Bestrebungen, Gleichaltrige direkt zu sensibilisieren?
Das stimmt, die Peer-Group spielt eine wichtige Rolle bei dieser Entscheidung. Deshalb wollten wir vor einiger Zeit mit der Jugendarbeitsorganisation «okaj» das Projekt «PEER» aufgleisen, um kantonsweit mit Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeitern Workshops zu organisieren. Damit würden wir das Thema informell direkt bei den Jugendlichen ansprechen. Leider mussten wir das Projekt aus Ressourcengründen vorübergehend auf Eis legen. Abgesehen davon sind wir daran, unsere Social-Media-Präsenz auszubauen, um noch mehr Menschen zu erreichen. Twitter: @ffg_ktzh
Was wünschst du dir für die Zukunft?
Ich wünsche mir für die Fachstelle mehr Ressourcen, damit wir unsere Botschaften breitflächiger an die Öffentlichkeit tragen und Veränderungen herbeiführen können. Gleichzeitig wünsche ich mir, dass junge Menschen die Dynamik der MeToo- und Frauenstreikbewegung noch stärker nutzen und vehementer für gleiche Chancen der Geschlechter einstehen – und sich auch in die Politik einbringen. Für viele junge Menschen ist Gleichstellung eine Selbstverständlichkeit. Doch die Vision einer gleichgestellten Gesellschaft ist noch nicht Realität. Es braucht neben einer starken Fachstelle vor allem auch ein aktives Mitwirken und ein Umdenken in der Bevölkerung und der Wirtschaft.
Kantonaler Elternbildungstag, 10. Mai 2025
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