Selbstvertrauen bei Kindern stärken

Ist Lob schädlich? Der Unterschied zwischen loben und ermutigen

Die Frage nach dem geeigneten Erziehungsmodell beschäftigt alle Eltern, bewusst oder unbewusst. Eine Frage, die dabei meist irgendwann aufkommt: Wie und wofür soll ich mein Kind loben und wann und vor allem wie soll ich es kritisieren? Elternbildner Martin Gessler wagt im Interview eine Annäherung an diese kommunikative Gratwanderung.

Das hast du toll gemacht! Ich bin stolz auf dich! Als Eltern lobt man sein Kind nur zu gerne, um damit die eigene Wertschätzung auszudrücken. Manche Fachleute sagen aber, zu loben schade Kindern. Ist das so?
Martin Gessler:
So pauschal würde ich das nicht sagen. Denn umgekehrt hiess es früher: «Nicht kritisiert, ist Lob genug» und diese Haltung macht Kindern sicherlich auch keinen Mut. Die Schwierigkeit vom Loben ist aber, dass es die Orientierung nach aussen fördert. Es verführt das Kind dazu, sich beim eigenen Handeln in erster Linie nach der Reaktion der anderen zu richten – und das fördert weder die eigene Motivation noch das Selbstbewusstsein. Jeden Pieps des Kindes mit «super!» zu loben, kann daher tatsächlich falsche Akzente setzen.

Was können wir stattdessen tun, um unsere Wertschätzung auszudrücken?
Loben muss man sich nicht völlig verbieten, das darf durchaus auch sein. Doch Lob ist immer auch eine Form von Kritik – wir werten damit, auch wenn wir es positiv meinen. Wertschätzung dagegen findet auf der Beziehungsebene statt. Anstatt zu werten, was das Kind aus unserer Sicht «gut» gemacht hat, könnte man beispielsweise mitteilen, dass man sich darüber freut, dass das Kind die Aufgabe ganz selbstständig ausgeführt hat. So geht man in einen persönlichen Kontakt mit dem Kind und es fühlt sich von aussen wahrgenommen.

Die Schwierigkeit vom Loben ist, dass es die Orientierung nach aussen fördert.

Und wie können wir es ermutigen, wenn nicht mit Lob?
Die Unterscheidung von Lob und Ermutigung ist wesentlich. Ermutigung fokussiert viel mehr darauf, dass und was ein Kind macht, als wie es etwas in Bezug auf unsere Erwartungen oder im Vergleich mit anderen macht. Rückmelden ohne zu werten können wir beispielsweise, indem wir seine Gefühle spiegeln und sagen: «Ja, das macht dir Spass, mit den Bauklötzen einen so hohen Turm zu bauen!» oder «Och, jetzt ist der Turm eingestürzt, das ist aber schade.»

Wirklich ermutigend sind Rückmeldungen ausserdem, wenn sie auch das Bemühen miteinbeziehen und nicht nur das Resultat. «Hast du einen tollen Turm gebaut!» löst andere Gefühle im Kind aus als der Satz «Jetzt hast du aber viel Geduld gehabt, bis du diesen hohen Turm bauen konntest.» Das Kind wird ganzheitlicher angesprochen und daran erinnert, welche Fähigkeiten gefordert waren und dass es über diese verfügt. So lernt das Kind mit der Zeit, sich selbst ein- und wertzuschätzen.

Also weniger auf das Resultat fokussieren und stattdessen auf den Weg dahin?
Genau. Lob kann recht schnell in Richtung Konditionierung gehen. Für eine bestimmte Leistung gibt es Lob oder Belohnung. Das sind äussere Motivatoren. Das stärkt das Kind aber nicht als eigenständigen Menschen. Deshalb erhalten die Kinder im Kanton Zürich auch erst aber der zweiten Klasse Notenzeugnisse, weil eine alleinige Bewertung des Resultats im jungen Kindesalter nicht hilfreich ist.

Dann sind auch Belohnungen, zum Beispiel fürs Mithelfen im Haushalt, keine gute Idee?
Jede Familie hat ihre eigenen Regeln und Abläufe, die ihre guten Gründe haben. Auch hier gibt es daher kein pauschales Ja oder Nein. Ich würde allerdings in der Familie eher die Beziehung in den Vordergrund stellen: Dass man aufeinander angewiesen ist und dass ich als Mutter oder Vater froh bin, wenn ich meinem Kind etwas zumuten darf. Damit zeige ich ihm, dass ich ihm ein wichtiges Ämtli und damit eine Verantwortung für die Familie zutraue.

Damit es uns gut geht, müssen wir immer wieder die Erfahrung machen, dass wir anderen etwas bedeuten, dass wir für sie wichtig sind – und dass wir ihnen etwas geben können, das ihnen gut tut. So funktioniert der «seelische Güterkreislauf» von Gemeinschaften und den lernen wir am einfachsten in der Familie.

Lob kann recht schnell in Richtung Konditionierung gehen.

Ein Kind soll auch lernen, sich selbst realistisch einzuschätzen. Also zu merken, wenn es etwas noch nicht so gut kann, oder zumindest, dass es sich zu wenig Mühe bei einer Tätigkeit gegeben hat.
Auch die Kompetenz sich selbst – auch mal kritisch – einzuschätzen, lernt ein Kind am ehesten in der Beziehung zu seinen Eltern. Ganz wichtig ist, dass es lernt zu unterscheiden, zwischen sich als Person und einer Fertigkeit, zum Beispiel Malen. Das Kind muss die Erfahrung machen, dass es ein liebenswerter Mensch ist, auch wenn es keine so schöne Blume malen kann wie sein Gspänli. Es wird dann eher weitermalen, seine Freude bewahren und die Erfahrung machen, dass es durch Übung auch Fortschritte erzielt. Vergleiche mit anderen machen uns klein, aber wenn wir uns mit uns selbst vergleichen und zurückschauen, was wir gelernt haben, dann stärkt uns das auf unserem Weg.

Wie bringt man als Eltern denn sein Kind dazu, etwas besser zu machen oder zu lernen, ohne äussere Anreize?
Die Antwort auf diese Frage würde das Selbstbewusstsein des Kindes nicht fördern. Denn eigentlich heisst das doch: «Wie bringe ich das Kind dazu, dass es das macht, was ich für richtig finde, ohne dass ich ihm das befehle?» In letzter Konsequenz ersetzt man damit die alte autoritäre Forderung nach Gehorsam durch die Manipulation.

Als Eltern machen wir uns ständig Vorstellungen und haben Bilder im Kopf, was jetzt gut wäre für das Kind. Aber Kinder sind nicht die Klone ihrer Eltern. Was macht dem Kind Mut? Was spornt es an? Am ehesten, wenn Eltern mit ihrem Kind mitfühlen, und zwar bei seinen erfolgreichen und seinen weniger erfolgreichen Bemühungen. Besserwisserei und Vorwürfe machen klein. Aber wenn man zum Beispiel sagt: «Ich habe den Eindruck, du warst nicht konzentriert bei der Sache», dann ist das eine Rückmeldung, mit dem man das Kind nicht abwertet, sondern ihm einen Denkanstoss gibt. Und zugleich die Botschaft vermittelt: «Ich trau dir mehr zu».

Kann man einem Kind Selbstvertrauen beibringen?
Selbstvertrauen entsteht, wenn wir die Erfahrung machen, dass wir eine Aufgabe bewältigen können, dass wir Herausforderungen bewältigen können. Dafür muss ein Kind Dinge ausprobieren und dabei auch einmal auf die Nase fallen dürfen. Denn Erfolge kann nur feiern, wer auch das Scheitern kennt. Der Kommentar bei einem Missgeschick «Ich has dir ja gseit» mag dabei die Eltern stärken, aber nicht das Kind. Es wird gestärkt, wenn es merkt, dass die Eltern da sind, ihm etwas zutrauen und ihm bei einem Misserfolg aufhelfen. Wenn es das Wasserglas umgestossen hat, dann gibt man ihm beispielsweise einen Lappen. Wenn es gestürzt ist, nimmt man es in den Arm und verbindet das blutende Knie.

Keine Panik zu verbreiten oder möglichen Ärger und Belehrungen herunterzuschlucken, wird als Mutter oder Vater nicht immer gelingen. Aber wir dürfen auch mit uns selbst Geduld haben, beim Wachsen in der Elternrolle. Denn diese wandelt sich ständig mit dem Aufwachsen unserer Kinder.

Martin Gessler

Martin Gessler arbeitet als Eltern- und Erwachsenenbildner bei der Geschäftsstelle Elternbildung im Amt für Jugend und Berufsberatung. Sein Arbeitsschwerpunkt ist die Entwicklung und Durchführung von Elternbildungskursen zu allgemeinen Erziehungsthemen und für Mütter und Väter in Trennung oder Scheidung.