Angst im Kindesalter

Kinder bei Ängsten begleiten und stärken

Welches Kind kennt sie nicht, die Angst vor der Dunkel­heit, dem Einbre­cher, dem Monster unter dem Bett. Diese Ängste gehören zur Entwick­lung dazu. Wären sie doch manch­mal nur nicht so furcht­bar lähmend! Wie Sie sich gemein­sam mit Ihren Kindern mutig gegen Monster und Co. wappnen können, sagt Eltern­bild­ne­rin Yvonne Gahler Mehta.

Mato und Céline

Mato ist vier Jahre alt und macht nachts kein Auge zu. Zu furcht­ein­flös­send lauert der böse Wolf in der dunklen Zimmer­ecke. Céline ist zehn und ein einzi­ges Nerven­bün­del kurz vor dem Vortrag vor der ganzen Klasse. Was tun?

Das seien typi­sche Kinder­ängste, sagt Eltern­bild­ne­rin Yvonne Gahler Mehta. Sie würden zur natür­li­chen Entwick­lung von Kindern dazu­ge­hö­ren. Bevor die Eltern­bild­ne­rin Tipps gibt, wie Eltern Kinder wie Mato oder Céline bei ihren Alltags­ängs­ten unter­stüt­zen können, vorerst ein paar Hinter­grund­in­for­ma­tio­nen zur Angst.

Was ist Angst?

Angst ist eines unserer Grund­ge­fühle. Sie ist ein Warn­si­gnal und treibt Kinder dazu an, Gefah­ren aus dem Weg zu gehen und bei vertrau­ten Menschen Schutz zu suchen. Angst im gesun­den Rahmen schützt also!

Gedan­ken leisten einen grossen Beitrag dazu, wie es mit dem Gefühl von Angst weiter­geht. Die Frage ist also: Was mache ich mit der Angst in meinem Kopf? Lassen sich Kinder in einen nega­ti­ven Gedan­ken­stru­del ziehen (Oh Gott, gleich wird‘s richtig schlimm!), kann die Angst masslos anwach­sen. Ordnen sie ihre Gefühle hinge­gen positiv ein, gewin­nen sie viel eher die Kontrolle darüber. Dabei ist Angst wie eine Welle. Sie breitet sich im ganzen Körper aus. Als Gedanke hilft: Schaffe ich es, die Angst einen Moment lang auszu­hal­ten, werde ich merken, dass jede Welle wieder abebbt.

Entwick­lungs­be­dingte Ängste

Bei Kindern zeigen sich je nach Alter und Entwick­lungs­stufe typi­sche Ängste:

  • Säug­linge fürch­ten sich vor lauten Geräu­schen oder wenn sie alleine gelas­sen werden.
  • Ab 6 bis 8 Monaten löst es bei Babys Angst aus, wenn sie von ihren Bezugs­per­so­nen getrennt werden.
  • Kinder im Vorschul­al­ter fürch­ten sich typi­scher­weise vor der Dunkel­heit, vor Tieren, Einbre­chern und Mons­tern unter dem Bett.
  • Ab dem Grund­schul­al­ter beschäf­ti­gen die Themen Krank­heit und Tod die Kinder vermehrt. Hinzu kommen: Das Verglei­chen mit anderen und die Angst, nicht dazu­zu­ge­hö­ren oder nicht zu genügen.

Grund­hal­tung bei der Unter­stüt­zung

Als Grund­hal­tung bei allen Kinder­ängs­ten gilt: Ernst nehmen. Sicher­heit vermit­teln. Rüst­zeug mitge­ben und dabei beglei­ten, der Angst zu begeg­nen. Zeit geben.

So helfen Sie dem Kind

  • Erklä­ren Sie, dass wir Angst haben dürfen.
  • Benen­nen Sie die Angst und reden Sie darüber.
  • Teilen Sie die Anfor­de­run­gen in kleine Schritte ein.
  • Bespre­chen Sie Wenn-dann-Pläne und üben Sie diese Szena­rien mit dem Kind.
  • Suchen Sie gemein­sam nach krea­ti­ven Lösun­gen.
  • Seien Sie als sichere Basis spürbar. Geben Sie dem Kind Zeit.
  • Top: Finden Sie einen Weg, Humor in die Situa­tion zu bringen. Gemein­sam zu lachen hilft.

So helfen Sie nicht

  • «Du musst keine Angst haben.»
  • «Du schaffst das!»
  • «Dein kleiner Bruder hat auch keine Angst.»
  • die angst­ma­chende Situa­tion vermei­den
  • ins kalte Wasser werfen oder in die Situa­tion drängen

So nehmen Sie die Angst nicht ernst. Sie verun­si­chern Kinder eher noch mehr oder hindern sie daran, sich der Angst zu stellen.

Wann werden Ängste zum Problem?

Ein gesun­des Mass an Ängsten schützt und hilft. Nehmen diese aber über­hand, kann ein Kind sich nicht mehr gesund entwi­ckeln. Belas­ten die Ängste das Kind oder das ganze Fami­li­en­sys­tem stark, sollten Sie profes­sio­nelle Hilfe aufsu­chen. Beispiels­weise bei der Kinder­ärz­tin oder einem Psycho­lo­gen. Denn: Ängste lassen sich gut behan­deln. Auch das kjz in Ihrer Region hilft Ihnen gerne weiter.

Zurück zu Mato und Céline – Was heisst das nun konkret?

Was Mato helfen könnte: Sie als Eltern wissen, dass da kein böser Wolf sitzt und dass Dunkel­heit zwar auch für uns Erwach­sene unan­ge­nehm sein kann, uns aber nichts tut. Mato muss das erst lernen. Das braucht Zeit!

  • Zeigen Sie Verständ­nis für seine Ängste. In der Nacht kommen solche Gedan­ken.
  • Lassen Sie Mato erzäh­len: Wo sitzt der Wolf genau, wie sieht er aus? Was passiert mit Mato, wenn er Angst hat? Warum fühlt sich Mato in der Nacht allge­mein weniger wohl als am Tag?
  • Nehmen Sie Mato ernst, aber helfen Sie ihm dabei, Sicher­heit und Kontrolle zu gewin­nen. Leuch­ten Sie beispiels­weise gemein­sam das Zimmer im Dunkeln mit einer Taschen­lampe aus, um unheim­li­che Schat­ten zu bespre­chen und zuzu­ord­nen.
  • Reden Sie mit Mato über Dunkel­heit, Wölfe und Ängste. Ziel ist es, dass Mato allmäh­lich lernt: «Ich habe zwar Angst, aber da sitzt kein Wolf». – «Wir sind in unserer Wohnung auch im Dunkeln sicher.» Bis Mato soweit ist, braucht er aber Stra­te­gien.
  • Mögli­che Wenn-dann-Pläne: «Sitzt der Wolf da, atme ich tief ein und aus und schaue, ob er immer noch da ist.» – «Fürchte ich mich im Dunkeln, zünde ich meine Taschen­lampe an.» – «Halte ich es nicht mehr aus, hole ich Mama oder Papa.»
  • Bei klei­ne­ren Kindern helfen oft krea­tive Ideen zur Beru­hi­gung: Ein Plüsch­tier, das in der Nacht Wache hält, ein Mutstein im Pyja­ma­ho­sen­sack, allzeit griff­be­reit, ein Raub­tier­ab­wehr­duft (Raum­duft) oder Wolf­spray (Wasser­spray), eine Wolfs­klin­gel, ein spezi­el­les Wolfs­licht oder ein Zauber­spruch, um Wölfe mit sofor­ti­ger Wirkung zu vertrei­ben. Bezie­hen Sie Ihr Kind bei der Ideen­su­che mit ein.
  • Viel­leicht hilft Mato ein lusti­ger Name, den er dem Wolf gibt und der ihn zum Lachen bringt, wenn er ihn dem Unhold nachts laut zuflüs­tert? Lachen hilft gegen Angst.
  • Auch Sorgen­pup­pen oder ein Sorgen­fres­ser (selbst­ge­macht oder handels­üb­lich) können Ängsten vor dem Schla­fen­ge­hen vorbeu­gen.

Wichtig ist: Für jedes Kind sind indi­vi­du­elle Lösun­gen gefragt. Dabei muss auch beach­tet werden, was für die Familie als Ganzes machbar ist. Für die einen stimmt viel­leicht eine Zusatz­ma­tratze für Notfälle im Eltern­zim­mer, für die anderen ist es in Ordnung, wenn Mato in gröss­ter Not gar eine Weile im Eltern­bett schläft. Beden­ken Sie aber, dass in diesem Fall auch die Rück­füh­rung ins eigene Bett in kleinen Schrit­ten ange­gan­gen werden muss.

Was Céline helfen könnte: Ein gut gemein­tes «Du schaffst das!» wird Céline nichts nützen. Ihr das Gefühl zu geben, dass Sie als Eltern Céline etwas zutrauen, ist wichtig. Für die Not braucht sie aber konkrete Stra­te­gien.

  • Stellen Sie Fragen und hören Sie genau zu: Was ist es, das Céline Angst macht? Dass sie keine gute Bewer­tung von der Lehr­per­son bekommt? Dass sie ihren Text vergisst? Dass sie andere ausla­chen?
  • Zeigen Sie Verständ­nis und vermit­teln Sie Sicher­heit, indem Sie beispiels­weise aufzei­gen: «Lampen­fie­ber an Vorträ­gen gehört dazu. Es ist normal und geht fast allen so – auch uns Erwach­se­nen. Einigen fällt vortra­gen und vor Leute stehen einfa­cher, üben können es aber alle. Mit der Erfah­rung wird es immer einfa­cher.»
  • Mögli­che Wenn-dann-Pläne zum Durch­spie­len: «Komme ich ins Stocken, gebe ich meinem Publi­kum eine Denk­pause – darum ist das Publi­kum sogar oft dankbar. Dabei lese ich in Ruhe meine Notizen durch.» – «Habe ich ein Black­out, stehe ich breit­bei­nig hin, atme viermal tief ein und aus und ziehe dabei die Zehen hoch.» – Fürch­tet sich Céline, dass ihre Nervo­si­tät für alle sicht­bar ist, kann ein ehrli­ches «Bitte entschul­digt, ich bin furcht­bar nervös» entspan­nend sein.
  • Mögli­che vorge­fer­tigte Notfall­ge­dan­ken: Spürt Céline beispiels­weise ihr Herz rasen, wäre ein Gedanke: «Hallo Angst, gut, dass du da bist. Du bist mein Antrieb, bringst Adre­na­lin und machst mich leis­tungs­fä­hig und bereit!» – «Meine Wangen werden nun heiss und rot. Das ist unan­ge­nehm. Aber es gehört nun mal dazu und geht vielen anderen ähnlich.»
  • Mit Üben in kleinen Schrit­ten kann Céline lernen: «In einem anderen Zusam­men­hang habe ich es bereits geschafft.» Céline könnte den Vortrag zuerst nur vor einer Person halten, mit dem Text in den Händen, später zusätz­lich vor dem Bruder oder der Oma, ohne Text.
  • Mögli­che krea­tive Lösun­gen: Den Text mithilfe von Bildern einüben. – Im Schul­zim­mer ein Post-it an die hintere Wand kleben, auf das Céline ihren Wunsch­zu­hö­rer zeich­net. Da kann sie während des Vortrags hinse­hen.
  • Lachen hilft: Viel­leicht stellt sich Céline etwas Lusti­ges vor, sei es die Klasse auf dem Klo statt auf Stühlen oder ähnlich. Denkbar wäre auch ein vorge­fer­tig­ter Satz nach Célines Geschmack zur Aufhei­te­rung bei einem Black­out: «Bitte entschul­digt, ich habe gerade ein Black­out. Ich bin nur froh, passiert es nicht bei etwas Wich­ti­gem.»

Wichtig ist: Für jedes Kind sind indi­vi­du­elle Lösun­gen gefragt. Je älter die Kinder sind, desto mehr kann mit dem Kopf und «Notfall­ge­dan­ken» gear­bei­tet werden.

Yvonne Gahler Mehta

Yvonne Gahler Mehta ist angehende Psychologin und Elternbildnerin in der Geschäftsstelle Elternbildung vom Amt für Jugend und Berufsberatung (AJB) des Kantons Zürich. Sie ist Mutter von zwei Kindern.

Buch­emp­feh­lung

Viele der Infor­ma­tio­nen und Tipps im Beitrag stützen sich auf das Buch Huch, die Angst ist da! von Ulrike Légé und Fabian Groli­mund. Ein empfeh­lens­wer­tes Sach- und Mitmach­buch für Kinder von ca. 6 bis 11 Jahren.