Studienergebnisse seit dem Lockdown

Plötzlich stand die Welt fast still – mit Folgen für Junge und Familien

Es ist schon einige Monate her, seit das Virus begon­nen hat, unser Leben durch­ein­an­der zu wirbeln. Verschie­dene Studien geben nun erste Einbli­cke, welche Auswir­kun­gen diese Zeit auf Junge und Fami­lien hatte. Beson­ders für Jugend­li­che in Heimen war die Situa­tion einschnei­dend.

Rück­bli­ckend stand die Welt während des Corona-Lock­downs fast still. Veran­stal­tun­gen wurden abge­sagt, viele Leute haben von Zuhause aus gear­bei­tet, der Unter­richt fand digital statt. Gerade für Jugend­li­che war diese Zeit nicht einfach. Ihre Lebens­zu­frie­den­heit ist während des Lock­downs insge­samt gesun­ken. So ergab sich bei der Zahl jener Schü­le­rin­nen und Schü­lern, die grund­sätz­lich mit ihrem Leben sehr zufrie­den sind, ein signi­fi­kan­ter Rück­gang von 33.9 auf 28.3 %. Das zeigt eine Online-Befra­gung der ZHAW, an der über 1 100 12- bis 20-jährige Jugend­li­che teil­nah­men. Gleich­zei­tig ging auch der Drogen­kon­sum zurück und gemäss der Umfrage fand kaum Cyber­mob­bing statt. Und das obwohl die Jugend­li­chen täglich fast zwei Stunden mehr vor dem Bild­schirm verbrach­ten. Laut den Aussa­gen der Jugend­li­chen hat sich die Bezie­hung zu ihren Eltern verbes­sert und die elter­li­che Gewalt in Fami­lien mit als auch ohne Migra­ti­ons­hin­ter­grund ist leicht zurück­ge­gan­gen. Gründe für diese Entwick­lun­gen wurden in der Studie nicht erfragt. Die Studie basiert auf einer Gele­gen­heits­stich­probe, die keine Rück­schlüsse auf alle Schü­le­rin­nen und Schüler im Kanton Zürich zulässt. Die Befunde müssen daher ohnehin zurück­hal­tend inter­pre­tiert werden.

Auswir­kun­gen auf Jugend­li­che in Heimen

Für junge Menschen in Kinder- und Jugend­hei­men hatte der Lock­down einschnei­dende Folgen: Der Kontakt zu ihren Fami­lien und Freun­den ausser­halb der Insti­tu­tio­nen wurde selte­ner oder fiel ganz weg. Gemäss einer Umfrage von EQUALS und Inte­gras hätten 65 % der Jugend­li­chen diese Zeit lieber zuhause mit ihren Fami­lien verbracht. Die Jugend­li­chen machten sich Sorgen um die Gesund­heit nahe­ste­hen­der Menschen sowie die eigene und fami­liäre Situa­tion in der Krise. Ängste über ihre beruf­li­che oder schu­li­sche Zukunft plagten sie und ein Drittel befürch­tete, dass die Familie in finan­zi­elle Schwie­rig­kei­ten geraten könnte. Das psychi­sche Wohl­be­fin­den hat sich bei 40 % der Jugend­li­chen im Verlauf der Krise verschlech­tert und bei 16 % verbes­sert. Die Krise wirkte dabei als Kata­ly­sa­tor: Denje­ni­gen, denen es zuvor bereits eher gut ging, ging es häufig weiter­hin gut oder gar besser. Das grösste Risiko für Verschlech­te­run­gen hatten die Jugend­li­chen (19 %), denen es schon vor der Krise schlecht ging.

Unsi­cher­hei­ten bei jungen Erwach­se­nen

Auch bei 20-Jähri­gen zeigten die Corona-Mass­nah­men Auswir­kun­gen bei ihrer Wahr­neh­mung des Alltags. Im Rahmen einer zwei­tei­li­gen Befra­gung der Univer­si­tät Zürich* im April und Mai von 22-jähri­gen Zürche­rin­nen und Zürchern gaben im April 57 %, im Mai 41 % an, dass ihr Leben stark aus der Bahn gewor­fen wurde. Das Fehlen sozia­ler Kontakte zu Familie und Freun­den einschliess­lich körper­li­cher Kontakte war eine der meist­ge­nann­ten nega­ti­ven Auswir­kun­gen. Beden­ken hinsicht­lich wirt­schaft­li­cher Konse­quen­zen und Unsi­cher­hei­ten betref­fend der Ausbil­dung wurden eben­falls häufig geäus­sert. Ein Teil der Teil­neh­men­den schätzte jedoch die Entschleu­ni­gung und den vermin­der­ten Stress im Alltag seit den Locke­run­gen.

Aufhor­chen lassen die Aussa­gen bezüg­lich Gewalt­er­fah­run­gen im April und Mai: 44 % der Befrag­ten haben in dieser Zeit verbale Gewalt erlebt, bei 10 % kam es zu körper­li­cher Gewalt. Letz­tere war im häus­li­chen Kontext oft wech­sel­sei­tig: 59 % der Opfer waren gleich­zei­tig auch Täter/innen. Im Unter­schied zur ZHAW-Studie, bei der nur nach elter­li­cher Gewalt gefragt wurde, ging es in dieser Studie um häus­li­che Konflikte im Allge­mei­nen, unab­hän­gig von der Wohn­form (bei den Eltern, mit Partner/in, in einer WG).

Erhöh­ter Kinder­be­treu­ungs­auf­wand

Für Fami­lien war die Schlies­sung der Schulen und Ausbil­dungs­stät­ten eine beson­dere Heraus­for­de­rung. Die Sotomo-Analyse des SRG-Corona-Moni­tors ging der Frage nach, wie sich die behörd­lich verord­ne­ten Mass­nah­men auf das Fami­lien- und Berufs­le­ben von Frauen und Männern in der Schweiz ausge­wirkt haben.

Bemer­kens­wert ist, dass sich der erhöhte Kinder­be­treu­ungs­auf­wand nach Geschlecht unter­schied­lich auf die Erwerbs­tä­tig­keit auswirkte. Er führte für Frauen deut­lich häufiger zu einer Reduk­tion der berufli­chen Arbeits­ka­pa­zi­tä­ten als für Männer. Frauen mit hoher Bildung und hohem Einkom­men gaben am häufigs­ten an, aufgrund von Kinder­be­treu­ungs­pflich­ten über redu­zierte Arbeits­ka­pa­zi­tä­ten zu verfü­gen. Mental waren Frauen und Männer durch den erhöh­ten Kinder­be­treu­ungs­auf­wand glei­cher­mas­sen belas­tet.

Weitere Unter­su­chun­gen laufen

An verschie­de­nen Univer­si­tä­ten laufen zurzeit weitere Studien zu den Auswir­kun­gen der Corona-Situa­tion. So unter­sucht eine Studie der Univer­si­tä­ten Bern und Zürich, wie die Corona-Krise sich bei Kindern und Jugend­li­chen im Alter von 1 bis 17 Jahren auf deren psychi­sches Wohl­be­fin­den auswirkt. Dazu wurden Kinder im Alter von 1 bis 10 Jahren bzw. deren Eltern/Erziehungsberechtigte und Jugend­li­che ab 11 Jahren online befragt. Aktuell läuft die Auswer­tung. Die Hoch­schule Luzern geht der Frage nach, wie Eltern und wich­tige Bezugs­per­so­nen die Auswir­kun­gen der Corona-Pande­mie auf ihre Kinder (2 bis 17 Jahre) wahr­neh­men. Diese Studie läuft bis Ende 2021.

* Zürcher Projekt zur sozia­len Entwick­lung von der Kind­heit ins Erwach­se­nen­al­ter (z-proso): Unter­sucht seit 2004 die Lebens­läufe von über 1300 Stadt­zür­cher Kindern, die erst­mals im Alter von 7 Jahren kontak­tiert wurden und nun 22 Jahre alt sind, Jacobs Center für Produc­tive Youth Deve­lo­p­ment der Univer­si­tät Zürich. Drei Befra­gun­gen im April und Mai: 1. Befra­gung 786 TN, 2. Befra­gung 650 TN, 3. Befra­gung 569. Kurze Befra­gung für Septem­ber geplant.

Ladina Gart­mann

Ladina Gartmann hat Soziologie, Wirtschafts- und Sozialgeschichte und Sozial- und Präventivmedizin in Zürich und Kopenhagen studiert. Nach einigen Jahren in der angewandten Forschung ist sie seit 2017 als Projektleiterin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Kinder- und Jugendhilfe vom AJB tätig und begleitet verschiedene Forschungs- und Pilotprojekte, u.a. die Erprobung der Methode Familienrat oder die beiden Greenhouse-Saatboxen «Care 4 Young Carers» und «Rudel der Löwinnen».